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"Hundewege"
Anonyme Choreografien des Alltags

Menschen, die Post in Briefkästen werfen, Mopedfahrer auf der Landstraße oder ein Park, in dem Hundebesitzer ihre Tiere ausführen - mit diesen Bildern dokumentiert Jens Klein in der Ausstellung "Hundewege" in der Kunsthalle Erfurt die aberwitzige Totalüberwachung der DDR-Bürger durch die Stasi. Wirklich gespenstisch ist aber etwas Anderes.

Von Carsten Probst | 17.12.2013
    In einem Bunker sind an einer Wand ein Telefon und mehrere andere elektronische Geräte angebracht.
    Die Nachrichtenzentrale im ehemaligen Stasi-Bunker in Machern bei Leipzig (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Hätte Jens Klein diese Fotografien selbst gemacht, dann wären sie ohne Weiteres Konzeptkunst – verwandt etwa mit denen der Französin Sophie Calle, die seit den siebziger Jahren verkleidet mit Perücke und Mantel Passanten durch die Stadt folgte, sie dabei fotografierte und Notizen machte oder sich später als Zimmermädchen in einem Hotel anstellen ließ, um die privaten Gegenstände in den Zimmern der Gäste zu fotografieren. Das künstlerische Prinzip der "abenteuerlich anmutenden Einbrüche in die fremde Privatsphäre" unterliegt auch den Serien des jungen Leipziger Fotografen Jens Klein.
    Aus der Ferne sieht man darauf zum Beispiel einen Briefkasten, grob verpixelt, wie es sich für Spionageaufnahmen mit Teleobjektiv gehört. Der Bildausschnitt ist immer derselbe und zeigt Menschen, die sich unbeobachtet wähnen, während sie ihre Post in den Briefkasten einwerfen – eine in ihrer Schlichtheit verblüffende Studie über die unzähligen Haltungen, die sie dabei einnehmen: dringlich, ungeduldig, konzentriert, beiläufig, ungestüm, verträumt, militärisch aufrecht. Irgendetwas, so meint man, scheint sich in diesen Haltungen auch anzudeuten über den Inhalt der Post, die sie da einwerfen.
    Historische Dokumente der alltäglichen Bespitzelung
    Es ist ja der Reiz gerade solcher Aufnahmen, sich mögliche Geschichten hinzu zu erfinden. Andere Serien zeigen den Ausschnitt einer Landstraße, auf der aus immer demselben Winkel Mopedfahrer von vorn aufgenommen werden, oder einen bestimmten Bereich eines Parks, in dem Hundebesitzer ihre Tiere ausführen. Bis auf eine Kleingartenanlage in Leipzig bleiben die Orte auf diesen Bildern anonym.
    Der Unterschied der Spionagefotografien von Jens Klein gegenüber denen von Sophie Calle ist, dass Jens Klein die seinen eben nicht selbst aufgenommen hat. Das ändert vieles, um nicht zu sagen: alles. Die Herkunft der Aufnahmen wird bei Jens Klein nicht verschwiegen, sie stammen aus der Stasi-Unterlagenbehörde, die Kopien dieser Bilder dem Künstler zur Verfügung gestellt hat. Es handelt sich also um historische Dokumente der alltäglichen Bespitzelung durch die Stasi. Klein hat die Bilder bearbeitet und in Serien oder Tableaus angeordnet, was sie wie anonyme Choreografien des Alltags wirken lässt.
    Das Wissen um den Entstehungsgrund dieser Bilder aber lässt sich nicht ausschalten. Anders als bei Sophie Calle, wo der Betrachter unmittelbar zum Voyeur, zum Mitwisser gemacht werden soll, distanziert er sich bei Jens Klein innerlich von dem Großen Bruder, der da die unbekannten Mitbürger überwacht hat. Es sind geschichtliche Zeugnisse, die auch für Jens Klein ursprünglich vor allem dem Zweck dienten, sich seiner eigenen Herkunft anzunähern, der DDR, in der er immerhin noch die Hälfte seines Lebens verbracht hat.
    Die Nutzlosigkeit der aberwitzigen Totalüberwachung
    Für ihn steht das absurd Lebensferne dieser Maßnahmen im Vordergrund – die Nutzlosigkeit der aberwitzigen Totalüberwachung, die höchst schwierige Identifikation von Personen nur anhand von Gesichtern und Aufenthaltsorten zur damaligen Zeit, als es ja noch keine elektronisch vernetzten Bilddatenbanken und elektronische Gesichtserkennung gab. Derzeit arbeitet er an einem Projekt über den größten Bankraub der DDR, bei dem einst in den 80er Jahren 400.000 Ost-Mark erbeutet worden waren, ohne dass die Täter je gefasst wurden. Daran sehe man doch schon, sagt Klein, wie wenig die Überwachung in der DDR letztlich wirklich geleistet habe.
    Doch wie ist es mit diesen Bildern für Betrachter ohne DDR-Hintergrund? Spionage ist schließlich kein rein sozialistisches oder historisches Thema, wie der NSA-Skandal beweist. Eine Ästhetik des Seriellen wohnt all diesen Überwachungsbildern als Faszinosum inne. Darüber hinaus vermitteln sie eigentlich nichts an Information, außer jenen möglichen konspirativen Geschichten, die man sich zu den abgebildeten Figuren hinzudenken kann. Dass an diesen Bildern im engeren Sinn nichts "künstlerisch" zu sein scheint, dass sie eine echte historische Realität repräsentieren, mag den Reiz solcher Geschichten sogar erhöhen.
    Aber nie hat sich eine auf diesen Bildern zu sehende Person bei ihm gemeldet, erzählt Jens Klein. Nie hat jemand sein Recht auf das Bild von seiner Person eingeklagt oder sich scheinbar auf den Fotografien wiedererkannt, obwohl einige der Bilder inzwischen auch im Internet zu finden sind. Das ist das eigentlich Gespenstische daran. Stattdessen erzeugen die Bilder bei manchen offenbar Wehmut. So, als seien mit der DDR auch alle in ihr Ausspionierten verschwunden.