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Hungerkrise in Nigeria
Die zugesagte Hilfe bleibt aus

Im Nordosten Nigerias hungern in einem ehemaligen Gebiet der Terrormiliz Boko Haram 244.000 Kinder. Die EU hat Gelder für die Krise zugesagt. Auch der nigerianische Präsident Buhari hatte angekündigt, schnell Hilfe zu schicken. Doch bisher bekommt die Regierung das Problem nicht wirklich in den Griff.

Von Dunja Sadaqi | 23.07.2016
    Von der Terrorgruppe Boko Haram zerstörte Kirche in Mubi im Nordosten Nigerias
    Der Nordosten Nigerias war eine Hochburg der Terrorgruppe Boko Haram. Hier eine von ihr zerstörte Kirche in Mubi. (Deutschlandfunk/ Katrin Gänsler)
    "Es ist ein Elend" - das sagt Jean-Harvé Bradol von "Ärzte ohne Grenzen". Bradol ist gerade aus dem Nordosten Nigerias zurückgekommen. Aus Bama, der zweitgrößten Stadt im nördlichen Bundesstaat Borno. Bama war eine Hochburg von Boko Haram. Die nigerianische Armee konnte die Stadt befreien. Dadurch wird jetzt erst das Ausmaß einer humanitären Katastrophe sichtbar.
    "Alle Dörfer sind verlassen, zerstört. Man sieht Wracks am Straßenrand: Autos und gepanzerte Wagen. Und wenn man in Bama ankommt – die Stadt selbst ist menschenleer, abgesehen von den Flüchtlingen, die wir in einem alten Krankenhaus untergebracht haben. Es ist eine Geisterstadt. Alle Häuser sind zerstört, haben keine Dächer mehr. In den Brunnen der Stadt, die nicht geschützt wurden, liegen Kadaver. Das ist eine extrem prekäre Situation."
    "Ärzte ohne Grenzen" schlugen Alarm, nachdem sie in Bama über 1.000 Kinder und Frauen sofort evakuieren mussten, um sie vor dem Hungertod zu retten. Seitdem versucht "Ärzte ohne Grenzen" die Lage für die Menschen zu verbessern.
    Bewohner des Camps erzählen eine andere Geschichte als die Militärs
    Andere Hilfsorganisationen würden das auch gerne tun. Aber: Bradol schildert, warum es so schwierig ist, Hilfe in den Nordosten Nigerias zu bringen.
    "Ein Hindernis in diese Regionen zu gehen, ist die Angst: Auf den Straßen müssen wir fürchten, auf Minen zu treten, wir haben Angst zwischen die Fronten von Boko Haram-Kämpfern und nigerianischer Armee zu geraten."
    Die Mischung aus Unterernährung und Infektionen habe viele Tote gefordert. Während Leitende Militärs vor Ort sagen, der Hunger sei "relativ" unter Kontrolle, erzählen Bewohner des Camps eine andere Geschichte. Wie dieser Mann, der einer Journalistin des "Guardian" vom Leben in Bama erzählt. Er wirft der Regierung vor, die Zustände vertuschen zu wollen:
    "Wir haben so oft um Hilfe gerufen, so oft! Die Armee hatte uns schon unsere Handys abgenommen, als wir noch in Banki waren, erzählt – das liegt in der Nähe von Kamerun. Wenn die Soldaten gesehen haben, dass wir telefonieren … wow haben die uns dann verprügelt."
    Bradol sagt, die Bereitschaft der Militärs über die schwierige Lage in den Camps zu reden, sei mittlerweile größer geworden. Das ändert aber wenig an den katastrophalen Zuständen in den Flüchtlingslagern. Kaum Essen, kaum sanitäre Anlagen, viele Krankheiten.
    Die Ernten sind seit drei Jahren dürftig
    So zum Beispiel auch in Maiduguri, der Hauptstadt des Bundesstaates Borno im Nordosten Nigerias. Die Masse der Menschen flüchtet hier her. Vor den brutalen Kämpfern der Terror-Miliz Boko Haram. Vor dem Klimawandel, der die Region um den Tschad-See hat austrocknen lassen. Das Ackerland, das einst die gesamte Region ernährte, ist zunehmend verwüstet und immer weniger bewirtschaftet.
    Erschöpft berichtet dieser Mann, was er im Camp erlebt. "Ich habe drei bis vier Leute erst letzte Woche sterben sehen. Sie sind geflohen mit nichts und als sie hier ankamen, waren sie so erschöpft, so müde und hatten nichts zu essen – sie mussten sterben. Ich habe auch zwei Kinder sterben sehen, an Mangelernährung, Hunger, Entkräftung."
    Maiduguri hatte einst eine Million Einwohner. Jetzt leben 2,6 Millionen Menschen hier. Der Großteil der Flüchtlinge lebt aber nicht in Lagern, sondern wird von Landsleuten aufgenommen und notdürftig versorgt. Und: Jeden Tag kommen hunderte mehr. Das macht das Leben für alle teurer, erzählt diese Frau auf einem Markt in der Stadt:
    "Wenn ich vorher hier auf den Markt gegangen bin mit 500 Naira" - 1,60 Euro, erzählt die Frau, "dann konnte ich genug kaufen um meine ganze Tasche zu füllen. Und jetzt kommst du mit 1.000 Naira – rund drei Euro - und kannst noch nicht einmal zwei oder drei Dinge kaufen. Die Leute in Maiduguri weinen, und die außerhalb Maiduguri weinen auch".
    Die Ernten sind seit drei Jahren dürftig – auch das treibt die Preise in die Höhe. Die Hungerkrise war eine absehbare Katastrophe, sagt die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Sie wirft den Vereinten Nationen vor, zwar schon vor zwei Jahren auf die Lage aufmerksam gemacht zu haben. Die Hilfe sei aber nicht wirklich angekommen.
    In der Hauptstadt versucht man, handlungsfähig zu erscheinen
    Aus den Flüchtlingslagern wird die Kritik an der Regierung immer lauter. Verantwortliche in Dörfern sollen Lebensmittelrationen gestohlen haben. Gleichzeitig gebe es in Camps manchmal nur eine Mahlzeit pro Tag. Hilferufe hätten die Verantwortlichen ignoriert. Herbe Vorwürfe an die Regierung, die durch die akute Krise unter Druck gerät.
    In der Hauptstadt Abuja versucht man unterdessen handlungsfähig zu erscheinen. Das Hilfspaket "eine Millionen Leben retten" soll mit einem 450-Millionen-Euro-Kredit der Welt-Bank die prekäre Situation von Frauen und Kindern im Land verbessern. Die Krise im Nordosten des Landes offenbart erhebliche Mängel im Hilfssystem. Das versucht die nigerianische Regierung jetzt insgesamt effizienter zu machen. Und das ist dringend nötig, sagt der Manager des Hilfspakets Ibrahim Kana:
    "Ich bin davon überzeugt, dass Geld für sichtbare Ergebnisse der richtige Weg ist. Die Regierung hat nicht mehr genug Geld mehr, um einfach so Fonds zu verteilen. Die Regierung sollte nur noch dorthin Gelder geben, wo wirklich transparent damit umgegangen wird."
    Deshalb sollen die Finanzspritzen auch ergebnisorientiert verteilt werden. Am nötigen Geld fehlt es jetzt also nicht in Nigeria. Entscheidend wird allerdings sein, wie schnell und effizient es eingesetzt wird.