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Hungern aus Protest

Vor genau einem Monat sind 300 Migranten in Griechenland in den Hungerstreik getreten. Sie fordern ihre Legalisierung. Prominente erklären sich solidarisch und die griechische Regierung ist in einer Zwickmühle.

Von Alkyone Karamanolis | 25.02.2011
    In einem Hof gegenüber vom Archäologischen Museum in Athen haben sie ihre Zelte aufgeschlagen. Helfer räumen Müll weg, zwei erschöpft wirkende Männer putzen sich an einem Wassertank die Zähne. Reden möchten sie nicht. Das tut Ahmet für sie. Ihr Sprecher:

    "Ich heiße Ahmet, ich bin 2004 aus Marokko nach Griechenland gekommen","

    erzählt der schmale Mann. Seit einem Monat hat er nichts zu sich genommen außer Wasser, Salz und Zucker. Wie alle hier: rund 250 Männer, die meisten aus Nordafrika. Sie sind in den Hungerstreik getreten, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen, sagen sie. Einige hatten in der Vergangenheit Papiere und konnten sie nicht verlängern, weil sie ihre Arbeit verloren haben. Andere leben und arbeiten seit Jahren im rechtsfreien Raum. Was zunächst als Aktion einiger Migranten am Rande der Gesellschaft begonnen hatte, hat bald breite Unterstützung vor allem in Kreisen der Linken gefunden und gleichzeitig eine Diskussion um Schwarzarbeit ausgelöst. Auch aus dem Ausland kam Unterstützung: Viele Intellektuelle, unter ihnen Alain Badiou, Noam Chomsky, Slavoj Zizek, aber auch Regisseur Ken Loach und Nobelpreisträger Dario Fo bekundeten ihre Solidarität. Ebenso über 100 griechische Akademiker. Unter ihnen die Verfassungsrechtlerin Ifigenia Kamtsidou von der Aristoteles-Universität in Thessaloniki:

    ""Artikel 5 unserer Verfassung sichert jedem Menschen, der sich auf griechischem Boden befindet, den absoluten Schutz seines Lebens, seiner Würde und seiner Freiheit zu. Ob diese Menschen legal oder illegal sind, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Es geht vielmehr darum, dass Griechenland nicht von seiner Verfassung abweicht. Hier steht Griechenlands Existenz als Rechtsstaat auf dem Prüfstand."

    Der Gesundheitszustand der Streikenden ist indes schon seit Tagen kritisch. Einige Männer wurden bereits ins Krankenhaus eingeliefert. Innenpolitisch sorgt ihr Hungerstreik schon seit Wochen für heftige Diskussionen zwischen der regierenden Pasok-Partei und dem Linksbündnis, welches als Strippenzieher der Aktion verantwortlich gemacht wird. Indes wächst der Kreis derer, die die Hungerstreikenden unterstützen, täglich. Namhafte griechische Musiker haben ein Benefizkonzert veranstaltet, und auf den Unterschriftenlisten zugunsten der Hungerstreikenden finden sich die Namen bekannter Künstler. Angesichts der immer größeren Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Sparpolitik der Regierung könnten die Hungerstreikenden einen Protest auslösen, der weit über ihr eigenes Anliegen hinausgeht, schätzt der Pädagoge Panayiotis Politis - auch er gehört zu den Akademikern, die die Hungerstreikenden unterstützen:

    "Zunächst einmal glaube ich nicht, dass es in unserer Gesellschaft keinen Platz für diese Menschen gibt. Allerdings beobachten wir in Griechenland den Zerfall des Sozialstaats. Heute gibt es angeblich keinen Platz für Migranten. Morgen wird es keinen Platz für die Arbeitslosen geben, die Alten, die Berufseinsteiger. Sollte dieser Hungerstreik aber erfolgreich enden, so wäre das ein Zeichen für viele gesellschaftliche Gruppen, dass sich die Regierungspolitik kippen lässt."

    Ohnehin wächst der Unmut der Bevölkerung angesichts der immer neuen Sparprogramme. Erst gestern hat der griechische Finanzminister weitere Einschnitte im öffentlichen Sektor angekündigt. Und je breiter die Unterstützung für die Hungerstreikenden wird, desto brenzliger wird die Lage für die Regierung. Der Stadtrat von Thessaloniki unter dem neuen Bürgermeister, dem Winzer Giannis Boutaris, hat sich einstimmig hinter die Aktivisten gestellt. In Athen wiederum hat die Angelegenheit zum Rücktritt zweier Stadträte geführt. Der Hungerstreik der 300 Migranten wirkt als Katalysator für lange bestehende Verwerfungen innerhalb der griechischen Gesellschaft. Und er hält jedem einzelnen den Spiegel vor, sagt die Anglistikprofessorin Aspasia Velissariou von der Athener Kapodistrias-Universität:

    "Wir unterrichten angeblich an demokratischen, liberalen Institutionen. Wir können alles lehren: Feminismus, Marxismus, Queer Studies - in der Theorie. Ich kann also ein Seminar über Postkolonialismus halten. Ich kann aber nicht mit meinen Studenten auf die Straße gehen, um ihnen zu zeigen, dass sich der Kolonialismus heute in anderer Form fortsetzt. Da stoßen wir an unsichtbare Wände, die wir selbst aufgestellt haben, um unsere Karrieren nicht zu gefährden."

    Indes sucht die Regierung fieberhaft nach einer Lösung. Denn sollte es Opfer unter den Hungerstreikenden geben, würde vermutlich eine Protestwelle folgen. Doch die 300 Männer aus dem Maghreb stellen nicht nur für die griechische Regierung eine Bewährungsprobe dar, sondern für die gesamte EU, ist die Verfassungsrechtlerin Ifigenia Kamtsidou überzeugt:

    "Seien wir aufrichtig: Auf Lampedusa warten schon die nächsten 5000 Menschen aus Nordafrika. Und es werden noch mehr kommen. Heute ist es der Hunger, der sie nach Europa treibt, morgen wird es der Durst sein. Und die westliche Welt ist für ihre Probleme mit verantwortlich. Wir müssen uns also als Europäische Union gemeinsam Gedanken über das Problem der Einwanderung machen."