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Hungersnot im Jemen
"Sorgt dafür, dass Hilfe ins Land kann"

Unterernährte Kinder im Krankenbett und Mütter, denen vor Hunger die Kraft zum Helfen fehlt: Seit 19 Monaten tobt im Jemen der Bürger- und Bombenkrieg und keiner schaut hin. Ein Mitarbeiter des Welternährungsprogramms zeichnet im UNO-Sicherheitsrat ein düsteres Bild von Hunger und Hoffnungslosigkeit.

Von Georg Schwarte | 01.11.2016
    Ein Junge steht im Jemen zwischen Häusertrümmern.
    Etwa 370.000 Kinder unter fünf Jahren sind derzeit akut durch den Hungertod bedroht. (picture alliance / dpa/ EPA/ Yahya Arhab)
    25 Jahre arbeitet Muhannad Hadi jetzt für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Er hat Hunger gesehen. Tod. Unterernährung. Aber nach sieben Tagen unterwegs in Jemen und einem Besuch eines Krankenhauses in der schwer bombardierten Hafenstadt Houdeidah sitzt er im Sicherheitsrat in New York und sagt: "Ich habe Kinder und Bilder gesehen, die ich nie wieder vergessen werde."
    Menschengemachtes Elend durch 19 Monate Krieg
    Rund 10.000 Kinder seit 2015 im Jemen gestorben an vermeidbaren Krankheiten, an nicht erfolgten Impfungen, an Infektionen durch Unterernährung. 370.000 Kinder unter fünf Jahren akut durch den Hungertod bedroht. Nicht Dürre, nicht Natur, menschengemachtes Elend durch 19 Monate Bürger- und Bombenkrieg: Und mittendrin der hilflose Helfer des Welternährungsprogramms:
    "Ich wusste nicht, mit wem ich mehr Mitleid haben sollte. Einem unterernährten Kind im Krankenbett, zu schwach zu müde zu weinen. Oder mit der Mutter, zu hungrig, zu schwach, ihrem Kind zu helfen."
    UNO-Koordinator fordert Waffenstillstand
    19 Monate Krieg im Jemen. Eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition bombt aus der Luft. Gerade erst am Wochenende 60 Tote in einem Gefängnis in Houdeidah. Anfang Oktober 140 Tote bei einem Luftangriff auf eine Beerdigung. 10.000 Tote seit Ende 2014. Über 35.000 Verletzte, 80 Prozent der Bevölkerung angewiesen auf Hilfe von außen. Muhannad Hadi schaut in den Sicherheitsratssaal. "Kinder verhungern. Diese Augen, der Hunger eingegraben in die Gesichter."
    Das habe ihn nicht nur als humanitären Helfer, sondern als Vater am meisten getroffen. Er hat in die Gesichter der Jemeniten geschaut und brachte ihre Botschaft mit in den Sicherheitsrat: Der jemenitische Staat zerbrochen, sie hätten den Eindruck sie stürben allein und die Welt habe sie vergessen:
    Jemen - der vergessene Krieg. Der UN-Nothilfekoordinator Steven O'Brien appellierte an alle mit Einfluss auf die Saudis, die Amerikaner, die Briten, die den amtierenden Präsidenten Hadi unterstützen und den Iran, der die Houthi-Rebellen angeblich militärisch berät und unterstützt:
    "Sorgt für einen Waffenstillstand. Sofort. Sorgt dafür, dass Hilfe ins Land kann."
    Stadt Hodeidah ist nahezu zerstört
    Houdeidah, der Hafen, nahezu zerstört. Ladekräne bombardiert. 80 Prozent der Nahrung im Jemen wird importiert. Houdeidah, die Lebensader, kaputt. Es gebe 61 bestätigte Cholerapatienten. 1.700 Verdachtsfälle. Die Dunkelziffer, hoch, denn längst gibt es keine Choleratests mehr im Land. Der Jemen. Der vergessene Krieg, das vergessene Land. Und ein kollektives, verzweifeltes Gebet aller Menschen im Jemen, dass Muhannad Hadi im Saal des Sicherheitsratssaales wiederholt:
    "Al Allah. Wir sind alle in Gottes Hand."