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Hybrides Genre

Franz Dobler gehört nicht zu jenen Autoren, die kreuzbrav, weil sie sich nun mal dafür entschieden haben, Jahr für Jahr das Bücherregal mit einem weiteren Werk aus eigener Produktion füllen. Er wärmt nicht die Stühle in stickigen Räumen des Schriftstellerverbandes und salbadert nicht in Talkshows über wichtige Themen. Viel lieber legt er Platten auf, trinkt ein Bier in der Kneipe unten im Haus oder gibt CDs mit unvergesslichen "Perlen deutschsprachiger Popmusik" heraus.

Von Ralph Gerstenberg | 13.05.2004
    Dabei ist das gedruckte Oeuvre des in Augsburg lebenden Autors keineswegs schmal. Dem furiosen Debütroman Tollwut von 1988 folgten Westerngedichte, mit denen er in verdienstvoller Weise die deutschsprachige Lyrik rehabilitierte, Erzählungen und Theaterstücke sowie sein großartiges Buch über Johnny Cash, in dem er auf sehr persönliche Weise dem unsterblichen "Man in Black" seine Referenz erweist.

    Auch in seinem neuen Buch Sterne und Straßen, in dem er Texte vereint, die er unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die taz, die Junge Welt und den Südwestfunk geschrieben hat, geht es um Vorbilder und Geistesverwandte. Da wären zum Beispiel der jüdisch-texanische Countrysänger und Krimiautor Kinky Friedman, Herbert Achternbusch oder Jack Kerouac und die Beatniks, die Dobler als "folgenreichste Literatengruppe des Jahrhunderts" bezeichnet. Die Kolumnen Jörg Fausers veranlassten den im Allgäu aufgewachsenen Dichter Dobler Anfang der achtziger Jahre das Berliner Stadtmagazin TIP zu abonnieren. Er hat die Artikel ausgeschnitten und gesammelt. Erst später wurde ihm klar, wie viel er von Fauser gelernt hat:

    Im Grunde konnte der über fast alles schreiben und hat zum Beispiel gefragt, was hat das mit mir zu tun, mit meinem Leben, was hat das mit den Leuten dort draußen zu tun. Und was könnte das einfach übergeordnet bedeuten. Deshalb fand ich die so toll, war aber überhaupt noch nicht soweit, um das selber machen zu können. Deshalb habe ich gesagt: Ich glaube, ohne dass mir das da bewusst war, habe ich unglaublich viel gelernt.

    Feuilletons nennt Franz Dobler die Texte seines neuen Buches, in dem vorwiegend bereits publizierte Artikel enthalten sind, aber auch unveröffentlichte Leserbriefe, ein Hörspiel sowie der Beginn einer Erzählung von 1983. Dobler hat sie so arrangiert, dass ein neuer Zusammenhang entsteht, dass die Formen wechseln und die Inhalte miteinander korrespondieren. Die Grenzen zwischen literarisch und journalistisch sind bei ihm sowieso fließend. So beginnt zum Beispiel ein Text mit einer nicht ganz koketteriefreien Betrachtung über das von Dobler selbst lancierte und immer wieder falsch zitierte Satzungetüm: "Ich bin der darf ich sagen letzte gottverdammte Punkrocker aus meiner Generation in dieser wunderbaren deutschen Literaturszene." - und endet mit einem selbstironischen Traumtanz mit der Hollywooddiva Sharon Stone, die ihm kichernd eine Träne von der Wange küsst und anschließend irgendwo allein zu zweit über Literatur diskutieren will:

    Es ist eh so ein Ding von mir, einfach abzuschweifen und auch Dinge mit rein zu nehmen, die erstmal entfernt scheinen, für mich aber halt dazu gehören. Das mache ich immer bei solchen Arbeiten, ich versuche die so ernst wie möglich zu nehmen – also keinen Unterschied zu machen zur Literatur. Es ist natürlich ein Unterschied, ob man einen Artikel in der Zeitung veröffentlicht oder einen Roman schreibt. Das ist ganz klar. Aber in dem Moment, wo ich das mache, versuche ich einfach so gut wie möglich zu sein und nicht zu sagen: Scheiß drauf, in zwei Stunden ist Abgabetermin, was soll’s, übermorgen weiß es keiner mehr. Und deswegen macht es auch Spaß, wenn aus den Sachen eben ein Buch wird, weil das für mich dann natürlich die Bestätigung ist: Es ist okay, selbst für geringes Honorar. Ich bin jemand, der sehr langsam arbeitet. Jeder Profijournalist würde sagen: Was soll dieser Wahnsinn? Du kannst jetzt nicht eine Woche an einem Artikel arbeiten und kriegst dann 300 Euro. Du spinnst!

    In den Texten des schmalen Bandes forscht Franz Dobler dem Sinn und Ursprung eines Werbespruches des Media-Markts nach, nennt zirka tausend gute Gründe, warum sich eine Frau zur Abtreibung entschließen kann, und rezensiert einen Band von Jerry Cotton ohne jeden Hauch von bildungsbürgerlichem Snobismus. Natürlich geht es in dem Buch auch um die Fäulnis im Staate Bayern, in dem ein CSU-Bürgermeister den Augsburger Flughafen nach Willi Messerschmitt benennen will, dessen Betrieb von der Nazi-Herrschaft profitierte wie kaum ein zweiter. Immer wieder schlägt Dobler aber auch ganz persönliche Töne an, wenn er zum Beispiel vom Tod seiner Mutter schreibt oder seiner Tochter eine Rede zur Konfirmation hält. Und bei all dem spürt man stets, worum es ihm geht: um eine Haltung, die das Überleben von Geist, Geschmack und Gefühl ermöglicht in Zeiten wie diesen. Schreibend bewegt Dobler sich voran, ohne je die Bodenhaftung zu verlieren. "On The Road" gewissermaßen, während die Gedanken schon mal zu den Sternen schweifen. Nicht umsonst heißt sein Buch "Sterne und Straßen":

    Das hat es dann am besten ausgedrückt, eben die Straße, die auch im wörtlichen Sinne immer sehr wichtig für mich war und auch immer noch ist, und eben das Gegenteil davon: Du schaust hoch und wenn’s Nacht ist und du Glück hast, siehst du die Sterne. Und du schaust irgendwohin, wovon man gewisse Vorstellungen hat, aber die sind nicht mehr exakt, man weiß nicht genau, was da alles los ist. Und natürlich ist das Wort Sterne auch eine Anspielung. Es geht manchmal auch um Stars - um Andy Warhol, um Johnny Cash. Stars sind Leute, die können nicht mehr so einfach auf der Straße rumlaufen, wie ich das kann. Deswegen will ich auch kein Star sein.

    Franz Dobler
    Sterne und Straßen
    Edition Tiamat, 128 S., EUR 12,-