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Hymne und Klagelied eines Popmusikliebhabers

Bob Dylan, Nikki Sudden oder doch Robyn Hitchcock? In seinem Pop-Tagebuch "Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee" berichtet der Kölner Musikjournalist Eric Pfeil aus dem Leben eines Musikkritikers. Als leidenschaftlicher Musikhörer setzt er sich mit den Wurzeln der Popmusik auseinander.

Von Claudia Cosmo | 02.08.2010
    Es ist ein riskantes Unterfangen, wenn Musikjournalisten Bücher über Musik schreiben. Pures Fachwissen kann nicht nur Langweile hervorrufen, sondern auch einen unmittelbaren und emotionalen Zugang zur Musik verwehren.

    Der Kölner Autor und Musikjournalist Eric Pfeil weiß um die Urteilsanmaßungen, mit der sich seine Zunft gerne wichtig macht. Deshalb nimmt er seinen Lesern Vorurteile und gesteht ein, dass Musikkritik von Behauptung lebt. So ist in Eric Pfeils popmusikalischen Tagebüchern "Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee" die Bahn frei für erfrischende Subjektivität.

    Der Autor scheut sich nicht davor, sein Tagebuch-Ich als Suchenden und Beklagenden darzustellen. Als leidenschaftlicher Musikhörer setzt sich Pfeil mit den Wurzeln der Popmusik auseinander, rühmt die Virtuosität eines Udo Jürgens, wundert sich über zu perfekt inszenierte Konzerte von Popbands wie "Take That" und ekelt sich vor Schmusesängern.
    "Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee" ist gleichsam Hymne und Klagelied eines Popmusikliebhabers, der immer wieder um seine Leidenschaft ringt

    " Im Grunde handelt das Buch, mehr noch als von Musik, mehr noch vom Zweifeln. So ein bisschen vom Zweifeln daran, ob das, was man da macht, man mit Leidenschaft macht, vielleicht früher mit mehr Leidenschaft gemacht hat. Wie lange man das noch machen kann und welchen Wert das überhaupt hat. Und es ist ja kein "Steile Thesen"- Buch, wo man sagt: Die Popmusik im Jahr 2010 ist nicht mehr das, was sie mal war. Sondern es ist ein Buch, was sich fragt. Und sobald es zu einer Erkenntnis kommt, alles auch wieder umwirft und hinterfragt. Es geht schon so ums Zweifeln. Insofern ist es schon die Ballade des Abstiegs des Musikjournalismus. Das ist das sicherlich auf eine Art. "

    Eric Pfeils Tagebuch beginnt im November 2007 und endet im September 2009.
    Es ist ein pointiert formulierter Streifzug, bei dem über die Wichtigkeit von Konzertauftakten philosophiert wird, Songtexte in ihrer Absurdität entlarvt werden und häufig gespielte Melodien bereits als popkulturelle Bedrohung durchgehen.

    " Bei meinem Physiotherapeuten werde ich zum wiederholten Male mit den Unvermeindlichkeiten des Dudelradios konfrontiert. Während ich unter einer einlullend wirkenden Fangopackung liege, dringt plötzlich ein Stück an mein Ohr, das ich nie wieder in meinem Leben hören wollte. Es ist ein Lied, das die unangenehmsten Schattierungen eigentlich diametral zueinander stehender Begriffe wie "süßlich" und "spröde" in sich ballt: Das Lied heißt `"wist in my sobriety" von Tanita Tikaram, einer Musikerin vom Typus "stille, aber empfindsame Glockenrockträgerin mit Strohhut. Hass ist ein Gefühl, dem man sich nur äußerst sparsam hingeben sollte. Für den Tanita Tikaram-Song aber habe ich in den finsteren Hallen meiner Seele stets ein Plätzchen frei. Es mag übrigens am eingesetzten Fagott liegen, ein Instrument, das hier eine Stimmung erzeugt wie eine Januar- Depression auf Sylt. Verantwortlich für den Einsatz des Fagotts dürfte übrigens Mitproduzent Rod Argent sein, der früher bei der tollen Kammer-Pop-Band "The Zombies" war, deren Platte "Odessey & Oracle" zum Feinsinnigsten gehört, was die Sechziger an Popmusik hervorgebracht haben. "

    Ganz bewusst wechselt Eric Pfeil in seinem Buch zwischen familiärem Plauderton und fachmännischer Analyse. Und so muten seine Tagebücher mal wie eine heitere Biografie an, in der ein Neffe, eine Nachbarin und die besten Freunde auftauchen. Dann ist es auch eine Sammlung musikjournalistischer Beobachtungen, die von großem Wissen zeugen.

    Eric Pfeil vermeidet Verabsolutierungen: Die Gitarrensoli des amerikanischen Rockers Bruce Springsteen nicht zu mögen, bedeutet nicht zwingend, die gesamte Arbeit des US-Musikers in Frage zu stellen. Bei Eric Pfeil gibt es das "Sowohl als Auch".

    " Eine Situation, die ja vollkommen unmöglich und zum Scheitern verurteilt ist, ist ja folgende: Man trifft das berühmte schönste Mädchen der Welt und es ist schlicht unmöglich zu dem zu sagen: Liebes schönstes Mädchen der Welt. Das hier ist Bob Dylan, das ist der beste, den du dir vorstellen kannst und doch du findest den jetzt gut! Auch wenn du dir denkst, das ist eine Meckerziege mit umgeschnallter Mundharmonika. Doch, der ist großartig! Das wird nie funktionieren. Was aber geht- und das ist es, worum es mir geht bei diesem Schreiben über Musik- ist: dass man seine eigene Leidenschaft und Begeisterung auf eine Art und Weise abbilden kann, dass andere Leute vielleicht sagen: Wenn dem das so gefällt, dann könnte da glatt was dran sein, dann interessiere ich mich mal dafür! Und auf so eine Art. Nicht nur Musik- bin ich anderen Sachen immer nahe gekommen und deswegen werfe ich mich da mit meiner ganzen Persönlichkeit, auch mit Informationen, die die Leute vielleicht auch gar nicht interessieren mit rein und versuch mich eigentlich auch haftbar zu machen. "

    In der Tat kann man einige Passagen und Sätze guten Gewissens überspringen. Trotzdem nimmt man Eric Pfeil beim Wort, wird mitgerissen und lernt auch unbekanntere Musiker wie den Songwriter Robyn Hitchcock kennen. Nicht nur letzterer zählt zu Pfeils großen Idolen. Neben Nikki Sudden gehört Bob Dylan zu seinen Lieblingen.

    " Ich bin ja wesentlich mehr beeinflusst tatsächlich von diesen Songwritern, die ich höre, als von Thomas Mann, den ich sehr mag und der tatsächlich mein großer Lieblingsautor ist, oder Richard Brautigan, der ja am anderen Ende der Literatur ist, ein amerikanischer Verknapper und Hippie- Autor. Wesentlich wichtiger sind tatsächlich Songwriter für die Art wie ich schreibe, das hat mich geprägt. Und ganz wichtig ist der hier nahezu völlig unbekannte Robin Hitchkock, ein englischer Songwriter, der eine sehr surreale Wahrnehmung der Welt hat, der es einfach schafft eine Durchlässigkeit zu erzeugen, oder eine Uneditiertheit, ein Sich-Nicht-Selbst-Zensieren herzustellen und dadurch zu einer Sprache zu kommen, die ich so sonst nie in meinem Leben gehört habe, genauso ist Bob Dylan extrem wichtig für mich oder ein anderer, Loyd Cole. Das sind Leute, die haben große Sätze geschrieben. Die sind wirklich wichtiger als Schriftsteller für mich. "

    Zu den Höhepunkten des Tagebuchs gehören auch jene knappe Sätze, die am Duktus der Songwriter inspiriert zu sein scheinen.

    " Die Tage sind von ungnädiger Mürbe, der Daseinsgraupel peitscht unerbittlich, und so schlappe ich gerade ein wenig müde durchs Laub des Lebens. "

    Eric Pfeil adaptiert den Weltschmerz seiner musikalischen Vorbilder und rhythmisiert seine Sätze.

    " Meine Verfassung spielt heute ins Graumelierte, ich fühle mich vom späten November etwas ungnädig in den Tag geschubst. "

    Nicht nur theatralische Formulierungen sorgen für viel Humor in Eric Pfeils Pop-Tagebüchern. Die Passagen, in denen sich der Autor zum Beispiel als fünftes, verschmähtes Mitglied der Beatles stilisiert, beweisen Sinn für Absurdität.

    Eric Pfeil: Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee. Die Pop- Tagebücher, Kiepenheuer & Witsch, 384 Seiten, 14.95 Euro.