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Ice Bucket Challenge
Warum sich Menschen einen Eimer Wasser über den Kopf schütten

Sich für einen guten Zweck einen Kübel Eiswasser über den Kopf schütten: Das ist die Ice Bucket Challenge. Medienwissenschaftler untersuchen, wie eine scheinbar alberne Handlung im Netz eine Massen-Euphorie auslösen kann. Wichtig für die Teilnehmer ist auch eine psychologische Komponente.

Von Katharina Peetz | 29.08.2014
    Michael Otto, der Hamburger Ehrenbürger und Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group, lässt sich in Hamburg von Sonja Oevermann von der Unternehmenskommunikation für einen guten Zweck einen Eimer Wasser über den Kopf kippen.
    Der Hamburger Ehrenbürger Michael Otto lässt sich einen Eimer Wasser über den Kopf kippen. (dpa / picture alliance / Daniel Bockwoldt)
    (Atmo im Beitrag aus YouTube-Videos)
    So klingt es, wenn sich der Basketballer Tony Parker, Sängerin Jennifer Lopez, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, Tennis-Spielerin Sabine Lisicki und der ehemalige US-Präsident George W. Bush einen Eimer Eiswürfel über den Kopf schütten.
    Die sogenannte "Ice Bucket Challenge", auf deutsch: Eis-Kübel-Herausforderung war in den vergangenen Wochen der Hit auf Internetplattformen wie YouTube und Facebook. Zweck ist, Aufmerksamkeit und Geld für die Bekämpfung der Nervenkrankheit ALS zu generieren.
    Virale Videos dieser Art, die über soziale Medien verbreitet werden, gab es schon häufiger. Vorhersehbar ist ihr Erfolg oder Misserfolg selten, sagt Guido Zurstiege, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Tübingen. Er kennt aber mögliche Faktoren, die den Erfolg wahrscheinlicher machen:
    "Zunächst einmal Audiovisualität. Alles, was bewegte Bilder, Töne beinhaltet, übt an sich sozusagen eine mediale Faszinationskraft aus. Darüber hinaus müssen diese Angebote ganz bestimmte "Nutzwerte" für ihre Rezipienten beinhalten, beispielsweise auf eine ganz bestimmte Art und Weise Humor transportieren. Sie können aber auch Unterhaltungsqualität darstellen."
    Astrid Carolus, Medienpsychologin von der Universität Würzburg, betont den Darstellungscharakter der Aktion:
    "Das machen wir eh, wir Menschen, also das ist keine neue Erfindung seit dem Internet. Aber der Unterschied ist, dass, wenn wir so im "echten Leben" uns darstellen wollen, dann ist unser Publikum, zumindest bei den meisten, überschaubar. Und im Internet hat man das Gefühl, man macht das vor der ganzen Welt. Und man bedient sich Techniken – zum Beispiel man macht einen Film von sich, das machen ja sonst nur Prominente. Also ich kann mich als ein bisschen verrückt darstellen oder als altruistisch, das heißt, ich helfe, indem ich bei dieser Challenge mitmache."
    Sozialer Druck durch öffentliche Nominierung
    Sich in solchen viralen Mutproben darzustellen, ist beliebt: Anfang des Jahres kursierten im Internet Videos von eher unbekannten Menschen, die auf möglichst spektakuläre Weise einen halben Liter Bier tranken und anschließend Freunde herausforderten. Auch Psychologie ist mit im Spiel:
    "Also ich versuch' das mal zu erklären: Wenn ich jetzt herausgefordert werde, dann bin ich in meiner "peer group", also bei meinen Bezugspersonen, "nominiert" worden, wie das heißt, also es ist schon eine ganz spezielle Sprache mit dabei. Und ich stehe jetzt sozusagen unter Zugzwang, in 24 Stunden zu reagieren. Das heißt, da ist ein gewisser Druck."
    Der Promi-Faktor erhöhe den Anreiz. Man könne sich quasi in eine Reihe mit Persönlichkeiten wie einem ehemaligen US-Präsidenten stellen, sagt Astrid Carolus. Die Ice Bucket Challenge ist außerdem einer der erfolgreichsten Fälle von viralem Marketing, bei dem sich Werbeinhalte vor allem aufgrund ihres Unterhaltungswerts in den sozialen Medien verbreiten. Der Tübinger Medienwissenschaftler Guido Zurstiege erklärt:
    "Diese Kampagne ist ja zunächst einmal ein mustergültiges Beispiel für Aufmerksamkeitsökonomie. In der Aufmerksamkeitsökonomie gibt es im Grunde genommen zwei Währungen: nach wie vor Geld. Aber eben dann auch Aufmerksamkeit. Der Erfolg dieses Formats liegt also darin, dass beide Optionen, die der Eingeladene hat, für den Werbetreibenden positive Optionen sind. Wenn er kein Geld zahlt, vollzieht er eine Handlung, die Aufmerksamkeit produziert. Wenn er Geld zahlt, zahlt er Geld und das ist natürlich auch willkommen.
    Momentan sieht es so aus, als bekäme die ALS-Stiftung tatsächlich beides: Während die Stiftung im August des vergangenen Jahres rund 2,7 Millionen US-Dollar an Spenden eingenommen hat, sind es im gleichen Zeitraum in diesem Jahr 94,3 Millionen US-Dollar.