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"Ich bin der Wind"

Beschwörend-quälende Dacapos von Wörtern, Sätzen und rhetorischen Figuren, scheinbar leeren Symbolen und Strukturen sind das Markenzeichen von Jon Fosse. Er ist einer von Norwegens fulminantesten Dramatikern und gilt als der beste seit Henrik Ibsen. Die deutschsprachige Erstaufführung seines minimalistischen Todesstücks: "Ich bin der Wind" war in Zürich in einer Inszenierung von Matthias Hartmann zu sehen.

Von Christian Gampert | 23.02.2009
    Es ist der norwegische Nebel, durch den das Publikum zu den Plätzen watet und der die ganze Zeit über der Szene steht, den Matthias Hartmann zur Grundmetapher dieses dunklen Stücks erhebt. Zwei Männer in einem Segelboot draußen vor der Küste, in den Schären, die Bootsfahrt als Metapher für das Leben und das Sterben: in dieser existentialistischen Verdichtung schreibt sonst kein Gegenwartsautor. Und keiner ist in seiner Sprach-Lakonie, in seinem achselzuckenden dialogischen Ping-Pong näher bei Beckett als Jon Fosse – bei dem freilich Becketts verzweifelte Komik meistens fehlt.
    Es geht um eine Schwermut, die im Selbstmord enden wird – und um die vergebliche Mühe, jemanden davon abzuhalten. Man sieht die Schauspieler zunächst nur als Schemen, man hört ihre Stimmen; man hört vor allem, wie wenig Worte ausrichten, wie viel sie verschweigen, wie viel sie offenlassen. Elliptische Dialoge.

    "Das Meer ist erschreckend. – Ja. – Es füllt alles aus. – Aber es ist schön, das Meer ist auch schön. – Vielleicht. – Du findest es nicht schön. – Vor allem erschreckend."

    Auf einer schmalen, rautenförmigen Scheibe fahren zwei Figuren durch die See. Sie haben nichts – außer einer kleinen, beleuchteten Kiste mit Proviant. Das Verdienst, das Stück in diese filmische, transitäre, magische, neblige Atmosphäre übersetzt zu haben, gebührt dem Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann und dem Lichtbildner Peter Bandl. Sie erzeugen dieses Vage, Unklare, Schwimmende, das ja auch die Depression oft hat.

    Vor dem auf beiden Seiten des Saals sitzenden Publikum schieben sich zeitlupenhaft zwei Scheinwerfer und zwei Steine durch den Nebel und simulieren die Fahrbewegungen des Bootes. Auf halber Höhe spannt sich eine leuchtende Schnur zum Festhalten, ein Orientierungspunkt im Raum. Manchmal Musik, am Anfang, am Ende, sonst nur Sprache, ritualhaft verknappt, wie ein beschwörendes, vergebliches, furchtsames Gebet.

    "Du musst ja mal richtig auf’s Meer raus. – Und wenn Wind aufkommt? – Aber die See ist doch ziemlich ruhig. Der Wind, der ist gut. – Aber er schlägt so schnell um. Können wir nicht umkehren? – Noch nicht."

    So hätte Matthias Hartmann in Zürich öfter inszenieren sollen, so nah am Text, an der Tragödie, am Wesentlichen; ohne all den Schickimicki-Hochglanz, mit dem er seine Inszenierungen meist aufpeppt. Hartmann kann viel, aber er nutzt seine Gaben oft nur zu Gefälligkeiten. Programmatisch dafür die Botho-Strauß-Uraufführung "Nach der Liebe beginnt ihre Geschichte", mit der Hartmann im Herbst 2005 seine Züricher Intendanz begann.

    Wenn Hartmann sich allerdings selber beim Verfertigen eines Theaterabends zusieht, meist mit dem verdoppelnden Video wie bei Mark Ravenhills "Pool – No Water" oder der schon klassischen "1979"-Aufführung nach Christian Kracht, dann kommt etwas in Bewegung. Aber auch da tendiert er dazu, seine Mittel allzu stolz vorzuzeigen – sogar bei der schmalen Fosse-Inszenierung mussten ein paar akustische, völlig artifizielle Mätzchen sein.

    Als Intendant freilich hat er ein solides Programm geliefert, viele andere, zum Teil auch anarchische Regie-Handschriften zugelassen. Gleichzeitig hat er die oft nur imaginierten Bedürfnisse des konservativen Züricher Publikums bedient. Das macht ihn unangreifbar, aber auch ungreifbar. Es ist nicht recht klar, für was Hartmann eigentlich steht. Diese grandiose Abschieds-Inszenierung ist nun ein melancholisches Raunen: auch Hartmann verschwindet - nach Wien, so wie seine Hauptfigur im Wasser verschwindet.

    "Ich bin der Wind": Die Aufführung hat fast etwas Heiliges, ohne dabei kitschig und eitel zu wirken. Nur bei ganz wenigen allzu sentimentalen Sentenzen und Sprach-Loops schreckt man auf. Ansonsten sehen wir zwei Männer, die sich mögen, aber sich nicht erreichen können: Den einen, der vom Wegsein träumt, den anderen, der ihn retten will und das nicht kann.

    Sebastian Rudolph, der von der Melancholie Besessene, der sich wie ein Stein fühlt, und Tilo Nest, der hilflos staunende Freund, der ihn zum Leben überreden will. Sie spielen das alte Spiel von der Lebens-Angst – aber so reduziert, so virtuos, dass man fast erschrickt, als sie dann tatsächlich weit draußen sind, im Sturm und der eine über Bord stolpert.

    Eine großartige Inszenierung voller sprachlicher Musikalität und Traurigkeit, eine Reise durch die Düsternis. Und, absurder Weise: Matthias Hartmanns beste Arbeit in Zürich.