Dienstag, 19. März 2024

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"Ich bin entsetzt"

Der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Volkhard Knigge, fürchtet, dass die umstrittene Rede des stellvertretenden Kulturbeauftragten der Bundesregierung, Hermann Schäfer, bei der Eröffnung des Weimarer Kunstfestes den Auftakt zu einem "erinnerungspolitischen Kulturkampf" darstellen könnte. Es sei "glatter Unsinn", wenn Schäfer sage, unklare Absprachen und eine andere Erwartungshaltung des Publikums hätten zu dem von den Zuhörern erzwungenen Redeabbruch geführt. Schäfer habe eine programmatische Rede gehalten.

Moderation: Burkhard Müller-Ullrich | 27.08.2006
    Burkhard Müller-Ullrich: Zu denen, die sich über Schäfers Rede empörten, gehört der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Volkhard Knigge. Herr Knigge, was genau hat denn der Vortrag von Herrn Schäfer in Ihnen ausgelöst, und wodurch genau?

    Volkhard Knigge: Ja, ich bin entsetzt, denn die Einladung erfolgte, eine kurze Gedenkrede aus Anlass des Konzertes "Gedächtnis Buchenwald"", das den Konzentrationslagerhäftlingen Buchenwalds gewidmet ist, zu halten. Dieses Konzert gibt es als Auftakt des Kunstfestes seit drei Jahren. Bisher wusste jeder Redner, was "Gedächtnis Buchenwald" meint.

    Müller-Ullrich: Kann es sein, dass das Publikum nicht genügend informiert war, denn Herr Schäfer meint auch, dass eine gewisse Erwartungshaltung im Saal einfach auf die Musik gerichtet gewesen sei, der er gewissermaßen zum Opfer fiel?

    Knigge: Ich halte das für glatten Unsinn. Das Publikum, in dem Fall möchte man sagen, die Zivilgesellschaft, es war ein festliches Publikum aus ganz Deutschland angereist, dieses Publikum wusste offenbar besser als der Redner, warum es gekommen war, welche Widmung dieser Abend hatte und wem eingedacht werden sollte. Es hat ja zunächst sehr verhalten und diskret und höflich leise gehüstelt, als man merkte, der Redner verfehlt das Thema vollends, es hat dann etwas lauter gehustet, es wusste sich dann nicht mehr zu helfen, als zu klatschen, denn immerhin war diese Rede durch eins gekennzeichnet: Es ist nicht ein Mal das Wort Buchenwald gefallen, es ist nicht ein Mal der Opfer dieses Lagers gedacht worden. Ich saß neben dem Präsidenten des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommando, Bertrand Herz, als ganz junger Mann nach Buchenwald verschleppt, sein Vater hier gestorben. Man konnte sehen, wie ihm das Herz aus dem Körper fiel, wie er versteinerte und nicht mehr wusste, was passierte. Das Publikum hat die Ehre dieses Abends und die Ehre, ja, die Ehre dieser Veranstaltung gerettet, das muss man so deutlich sagen.

    Müller-Ullrich: Verunglückte Reden unterlaufen gelegentlich, Ungeschicklichkeiten eines Redners sowieso. Woher kommt die Wucht des Skandals und der Skandalisierung, die jetzt erfolgt?

    Knigge: Also ich glaube, die Wucht des Skandals kommt daher, dass der Redner mit seiner Rede den eigentlichen Gedenkanlass, die Widmung und die Menschen, die mit dieser Widmung gemeint waren, die Häftlinge Buchenwalds, schlichtweg ignoriert und durchgestrichen hat. Was er dann gemacht hat, war, so muss man jedenfalls denken, er hat das neue Geschichtsbild des Staatsministeriums für Kultur verkündet, er hat Günter Grass ein bisschen weiter abgewatscht, er hat ausführlich über die Vertreibung der Deutschen gesprochen, er hat die erste Wehrmachtsausstellung noch einmal in Grund und Boden verdammt und er hat auch über das Schwarzbuch des Kommunismus parliert - über Buchenwald, wie gesagt, kein einziges Wort.

    Müller-Ullrich: Sind das alles politische Eckpfeiler, die Sie gerade genannt haben, die Ihnen sehr unsympathisch sind?

    Knigge: Die sind mir unsympathisch, wenn sie historisch entkontextualisiert, wenn Ursache und Wirkung verwechselt. Und was mir Sorgen macht, ist, dass man sich nun fragen muss, war das der Auftakt für einen erinnerungspolitischen Kulturkampf, den niemand brauchen kann, der niemandem nützt, der das hohe Niveau der Erinnerungskultur in Deutschland beschädigt und der einen zwingt, permanent Retrodebatten zu führen? Wir arbeiten in die Zukunft, ich muss nicht die Debatten der 50er oder 60er Jahre wiederholen. Ich würde gerne einfach vernünftige, sachliche Geschichtsbildungsarbeit machen, demokratisches Bewusstsein fördern, aber doch nicht immer wieder Dinge diskutieren, die forschungsmäßig und die auch sozusagen erinnerungsethisch längst ihren Platz auch im Gedächtnis dieser Republik haben. Und jetzt werde ich, lassen Sie mich das so klar sagen, ich werde, im Moment kriege ich einen Anruf von Buchenwaldhäftlingen auf den anderen aus der ganzen Welt, die fragen, bedeutet dieser Abend die Aufkündigung des Konsenses zwischen Bundesrepublik und Opfern des Nationalsozialismus im Blick auf die Vergangenheit, weil es hat ein Kidnapping dieser Art einer solchen Gedenkveranstaltung bisher noch gar nicht gegeben?

    Müller-Ullrich: Kennen Sie die übrige und bisherige Arbeit von Herrn Schäfer?

    Knigge: Ja, sicher. Ich habe mit Herrn Schäfer sechs Jahre in der Sachverständigenkommission für die Bundesgedenkstättenförderung gesessen, und deswegen denke ich auch, dass Herr Schäfer weiß, was Gedenkkonzert Buchenwald heißt, was Erinnerungskultur in Deutschland auf hohem Niveau heißt.

    Müller-Ullrich: Ist Ihnen vor dem Hintergrund Ihrer bisherigen Zusammenarbeit schon mal so etwas unterlaufen, dass Sie das Gefühl haben, es geht hier um nicht etwa Ungeschicklichkeiten, sondern um einen, Sie sagten, Kulturkampf?

    Knigge: Also ich will nicht hoffen, dass es das ist, aber Akzentverschiebungen, Umgewichtungen, Proportionsverlagerungen, historische Entkontextualisierung erleben wir ja nun doch in den vergangenen Monaten außerordentlich stark.

    Müller-Ullrich: Das ist aber nicht gerade das, wofür das Haus der Geschichte der Bundesrepublik steht.

    Knigge: Ja, deswegen bin ich eigentlich umso fassungsloser, das ist ja das Verrückte. Aber aus dem Staatsministerium sind bis jetzt doch einigermaßen merkwürdige und zum Teil sehr unglückliche Signale gekommen, und man fragt sich wirklich, wohin die Reise gehen soll, denn das, was da gehalten wurde, war eine programmatische Rede.