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"Ich bin kein Klassiker aus dem Elfenbeinturm"

Er bezeichnet sich als musikalisches Genie und nennt sich ganz unbescheiden 'the unspeakable' - der unglaubliche Chilly Gonzales. Er mischt alles, was ihm in die Quere kommt: Hip-Hop und Klassik, Jazz, Elektronik und Hardrock. Doch auf seinem neuen Album "Solo Piano2" spielt er klassisches Klavier.

Mit Jan Tengeler | 01.09.2012
    Chilly Gonzales: Solo Klavier - das bin ich ganz allein, ohne Hilfsmittel, ohne Extras. Es ist die direkteste und einfachste Weise, etwas zu dokumentieren und in dieser Einfachheit liegt die Kraft. Vermutlich ist dieses Album auch deshalb mein erfolgreichstes. Die Hipster, bei denen ich sonst bekannt bin, kaufen ja nichts, die laden sich die Sachen im Internet runter. Mit Solo Piano erreiche ich ein Publikum, das sich tatsächlich noch CDs kauft, ältere Leute, die sonst Klassik und Jazz hören. Aber selbst Rapper wie Drake oder die Popband Scissor Sisters lieben dieses Album für seine Schlichtheit. Musik ist heutzutage meistens sehr aufwendig produziert, so, dass man gar nicht genau erkennen kann, welche Instrumente zu hören sind. Das ist bei Solo Piano ganz anders, es fällt aus dem Rahmen und trotzdem erscheint es modern, wenn ich es mache. Da bekommt dieses alte Instrument sogar heute noch etwas Relevanz. Das ist mein größter Trumpf: Ich bin kein Klassiker aus dem Elfenbeinturm. ich bin modern und unterhaltsam, ich rappe mit Streichquartett, ich habe den Humor der Comicserie 'South Park', man kann mir vertrauen. Den meisten Jazzern oder Klassikern traut man ja deshalb nicht über den Weg, weil sie von vorneherein in einer Abwehrhaltung sind, sie haben Angst, dass ihre Musik stirbt, sie denken, sie müssen sie beschützen und öffnen nicht ihre Arme. In der Popmusik dagegen hat man offene Arme, alles ist immer willkommen.

    Jan Tengeler: Wer hat ihnen bei diesem Album geholfen?

    Chilly Gonzales: Die Sängerin Leslie Feist ist eine große Hilfe, sie ist eine sehr emotionale Zuhörerin. Sie hat mich auch schon bei meinem ersten Solo Piano Album unterstützt. Es gibt noch andere Ersthörer und es sind auch immer Leute dabei, die von Musik nicht so viel Ahnung haben. Aber der wichtigste Faktor bei der Entstehung einer solchen CD ist Zeit: Jeden Morgen versucht man, die Stücke mit frischen Ohren zu hören, um dann die richtige Mischung zu präsentieren. Ich habe sechs Monate komponiert und geübt, dann war ich drei Monate im Studio für die Aufnahmen, dann habe ich noch einmal drei Monate über die Titelfolge, die Namen und solche Sachen nachgedacht. Ein Jahr alles in allem. Die Leute denken ja immer: Klavier Solo, das ist ganz einfach. Tatsächlich ist das viel schwieriger als alles Andere. Denn es gibt keine Schnitte, keine Tricksereien, keine nachträglich Retusche am Computer. Die Aufnahmen sind wie alte Fotografien - so und nicht anders. Entweder es stimmt und berührt die Zuhörer oder eben nicht. Dann kann man alles wegschmeißen.

    Jan Tengeler: Erstmal müssen die Stücke ja sie überzeugen, wo kommt die Inspiration her?

    Chilly Gonzales: Wenn ich komponiere, dann mache ich das ganz bewusst wie nebenbei: Ich gehe während einer Tour an ein neues Klavier, mache mich warm, klimpere ein Motiv. Das merke ich mir, greife es später noch mal auf, nach einer Weile ist ein Stück fertig, ohne, dass ich mich jemals ausdrücklich hingesetzt hätte, um genau diese Stück zu schreiben. Musik ist dann wie atmen, essen, ein Toilettengang, wie das tägliche Leben. Dann gibt es keinen Druck, um auf diese eine göttliche Botschaft zu warten. Daran glaube ich sowieso nicht, ich glaube, dass die Inspiration im Hörer stattfinden muss.

    Jan Tengeler: Dann ist das alles bloß Zufall?

    Chilly Gonzales: Nein, aber ich habe eben das Glück, dass ich jeden Tag Musik machen kann. Und ich nehme mir die Freiheit, Musik zu komponieren, ohne dass ich damit einen bestimmten Zweck verfolge. Es ist manchmal wie ein schnelles Frühstück, man schiebt sich etwas in den Mund, weil man eben Hunger hat. Wenn jemand kommt und sagt, dass sei ein wunderbares Stück, haben sie dabei den Mond angehimmelt? Dann ist die Antwort meistens: nein. Ich hatte da noch irgendwelche Ideen, die eigentlich für einen Werbeauftrag bestimmt waren und daraus ist ein Klavierstück geworden. Das hört sich nicht besonders sexy an, aber es ist so gut, wie beim Komponieren Wein zu trinken und den Mond anzuschauen.

    Jan Tengeler: Ihre erste Solo Klavier CD entstand 2004, jetzt gibt es sieben Jahre später eine ähnliche CD, wo ist der Unterschied?

    Chilly Gonzales: Die erste CD war eher ein Zufall. Ich hatte viel elektronische Musik gemacht und mir einen Fankreis erarbeitet, mit dem mich vor allem der Humor verband. Aber musikalisch habe ich mich da nie wirklich zu Hause gefühlt, ich bin viel altmodischer und konservativer. Irgendwann beschloss ich, dieses Geheimnis preiszugeben und Solo Piano eins zu veröffentlichen. Die vielen positiven Reaktionen haben mich sehr überrascht und gezeigt, dass der Spagat machbar ist: Ich bin ein Mann meiner Zeit und spiele gleichzeitig dieses alte Instrument. Seitdem bin ich viel stärker in die Welt des klassischen Klavierspiels eingetaucht, die Naivität der ersten Zeit ist verschwunden. Aber ich setze mich dem Vergleich zum ersten Album ganz bewusst aus, denn viele Menschen haben eine ehrliche, tiefe Verbindung zu dieser Musik. Noch immer reden die Leute von Solo Piano 1, alle meine anderen Alben sind längst vergessen. Denn hier geht es nicht um Hipness oder darum, cool zu sein. Es geht um diese emotionale Verbindung.

    Jan Tengeler: Aber nochmal, für jemanden von außen, wie kann man denn den Unterschied hören?

    Chilly Gonzales: Mein erstes Solo Klavier Album hört sich an wie Satie. Damit können die meisten jungen Leute ja etwas anfangen. Das passt auch, weil es in einer Zeit entstand, als ich gerade nach Paris gezogen war. Diese Einsamkeit in einer für mich fremden Stadt spiegelt sich in der Musik wieder. Jetzt habe ich Paris gerade verlassen, ich öffne mich der Welt, das neue Album ist auch offener, es ist poppiger, minimalistischer und moderner.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.