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"Ich brauche einen Neustart"

Heute kommt mit dem Psychothriller "Side Effects" der letzte Film von Steven Soderbergh bei uns in die Kinos. Zumindest vorerst hat sich der Starregisseur vom Filmgeschäft verabschiedet. Bei Corso spricht er über die Gründe für seinen Ausstieg.

Das Interview führte Sigrid Fischer | 25.04.2013
    Sigrid Fischer: Ihr letzter Kinofilm Side Effects schlägt mehrere Haken. Es scheint, Sie wollen Ihr Publikum zum Schluss noch mal richtig verwirren.

    Steven Soderbergh: Das gefiel mir so am Drehbuch. Dass man erst denkt: Oh, es geht um eine Frau mit einem Problem, aber dann passiert eben nicht das Offensichtliche. Ich fand das eine tolle Idee, weil in den Staaten einige Leute gesagt haben: Also mir wäre lieber, es wäre ein Film über diese Frau und ihre Depressionen. Da hab ich gesagt: Was? Das meinst Du nicht ernst, das ist doch dumm. Ich will das nicht sehen. Niemand will das sehen, das sehen wir doch jeden Tag auf der Straße. Ich fand es gerade klug, dass das soziale Thema nur als trojanisches Pferd dient, um den Thriller darin zu verstecken.

    Fischer: Wenn man auf Ihr Gesamtwerk zurückblickt, stellt man fest: Der nächste Film war immer anders als vorherige. Was ist für Sie das Verbindende zwischen allen?

    Soderbergh: Ich weiß es nicht, wahrscheinlich weil ich die Innensicht habe, kenne ich die Außenwirkung nicht. Aber es muss wohl irgendein Muster geben, das alle meine Filme verbindet, weil ich sie ja alle gedreht habe. Offensichtlich habe ich viele Interessen und mag viele Arten von Filmen. Irgendetwas muss sie verbinden. Das Unvorhersehbare ist mein Genre, und das ist vorhersehbar.

    Fischer: Sie haben in den letzten Jahren immer mal wieder durchblicken lassen, dass Sie aufhören wollen. Niemand hat das so recht geglaubt, aber jetzt ist es wohl amtlich. Im Januar sind Sie 50 geworden, und das war's jetzt?

    Soderbergh: Ja, ich höre auf, mal sehen, für wie lange. Ich brauche einen Neustart, einen anderen Zugang zu den Dingen. Seit meinem zwölften Lebensjahr hab ich mit Filmen zu tun, das ist eine lange Zeit, um jeden Tag von etwas besessen zu sein. Ich habe das ja über fünf Jahre geplant. Und es war ein gutes Gefühl, beim Dreh zu meinem letzten Film zu wissen, das ist jetzt das letzte Mal, dass ich die Kamera auf den verdammten Wagen hieve. Es wäre auch meiner Crew gegenüber sehr unfair gewesen, den letzten Film zu drehen und dann zu sagen: So, das war's. Die Leute brauchen Arbeit, und so hatten sie genug Zeit, etwas Neues zu finden. Bei mir haben sie alle neun Monate einen neuen Film bekommen. Das heißt, ich habe für ihren Lebensunterhalt gesorgt.
    Die Frage in den nächsten Jahren wird sein: Kann ich an den Punkt zurück kommen, wo es sich "neu" anfühlt? Kann ich wieder zum Amateur werden?

    Fischer: Dieser allerletzte Film, "Behind the Candelabra" über den berühmten US-Entertainer und Pianisten Liberace mit Michael Douglas und Matt Damon als Liebespaar, haben Sie fürs Fernsehen gedreht, weil die Studios in Hollywood ihn als zu schwul empfanden. Konnte man lesen. Und es kaum glauben im Jahr 2013.

    Soderbergh: Sie haben gesagt, sie schätzen den Film als so schwul ein, dass nur ein schwules Publikum reingehen wird, und das sind zu wenig Zuschauer, um das investierte Geld wieder einzuspielen. Also den Studios ging es ums Geld. Ich habe das auch verstanden, dachte aber, mit dem Drehbuch und der Besetzung, also wenn man sich da nicht draufstürzt, worauf dann? Ich halte den Film für sehr publikumsfreundlich. Tja. Ich weiß noch, dass ich dachte, vor fünf Jahren hätte jemand zugegriffen, die Zeiten haben sich geändert. Aber ich bin froh darüber, wie alles gekommen ist. Und wer weiß, am Ende werden ihn vielleicht sogar mehr Leute sehen als im Kino.

    Fischer: Ist denn Fernsehen eine Alternative? Viele Ihrer Kollegen arbeiten fürs Fernsehen, ein wahrer Serienboom ist ausgebrochen.

    Soderbergh: Ich habe die Rechte an einem Buch, aus dem ich ein Skript für zwölf einstündige Episoden geschrieben habe. Also wenn ich zurückkehre, würde ich das vielleicht als Erstes umsetzen.

    Fischer: Was wäre da anders als jetzt, was macht Fernsehen reizvoller als das Kino?
    Soderbergh: Ich glaube ein großer Teil des Publikums, das die Filme schaut, die ich mag, ist in den USA zum Fernsehen gewechselt. Und es scheint so, dass das, was man macht und was einen von den anderen unterscheidet, unterstützt wird und gefragt ist. Während bei Kinofilmen genau das in letzter Zeit nur noch mit Angst und Skepsis betrachtet wird, nicht nur von den Geldgebern, auch vom zahlenden Publikum. Wirtschaftlich geht es der Filmbranche nicht gut. Es ist unglaublich teuer, Filme herauszubringen. Dazu kommt, dass keiner mehr DVDs kauft, und dass die Filme im Internet gestohlen werden. Die einzige Wachstumsbranche im Unterhaltungsgeschäft sind einstündige Erstausstrahlungen im Fernsehen. Oder so was wie das Streamingportal Netflix, wo man alle Teile einer Serie gleichzeitig abrufen kann. Denn: Exzessives Seriengucken ist die neue Freitagabendbeschäftigung. Ich kenne Leute, die sparen sich alle Folgen einer wöchentlichen Serie auf und gucken sie am Stück. Für einen Geschichtenerzähler wie mich ist das natürlich sehr reizvoll. Was kommen wird, ist Super Premium Video on demand, wo sie den neuen Fluch der Karibik vorab in High Definition anbieten, für ca. 60 Dollar, das wird kommen, die Jeannie ist aus der Flasche, es gibt kein zurück mehr, weil der Kostendruck, einen Film zu vermarkten, so immens ist. Sie haben keine andere Wahl.

    Fischer: Also ist 3D nicht die Zukunft des Kinofilms, die Rettung des Kinos?

    Soderbergh: Es ist nur ein Instrument, es wird nie das Standardformat werden. Was ich an 3D-Fernsehen gesehen habe, hat mich nicht überzeugt. Ich bleibe dabei: Auch in 2D ist "Avatar" der großartigste Film der Welt. Ich glaube, 3D ist für die meisten Leute kein entscheidender Grund, ins Kino zu gehen. Für mich ist es ganz blöd, ich kann diese Brille nicht zwei Stunden ertragen, ich muss die ja auf meine Brille drauf setzen, und die Dinger sind schwer. Außerdem wirkt die Leinwand kleiner und dunkler. Ach, ich weiß nicht.
    Fischer: Steven Soderbergh, Sie haben 26 Filme in 24 Jahren gedreht, ohne Atempause einen nach dem anderen, da muss Ihnen doch jetzt was fehlen?

    Soderbergh: Ich habe neulich meinen Bruder nach längerer Zeit wiedergesehen. Und er meinte, ich wirke jetzt ganz anders. Viel präsenter. Und da fiel mir selbst auf, dass es daran liegt, dass ich zum ersten Mal in 15 Jahren mal nichts in Vorbereitung habe, das mich ablenkt, weil ich dauernd überlege, wie ich dieses und jenes Problem löse. Mal nichts vor sich zu haben, ist wirklich angenehm. Aber es klingt natürlich dumm, besonders in der wirtschaftlichen Situation in den USA, einen gut bezahlten Job aufzugeben.

    Fischer: Sie haben ja gewisse Maßstäbe gesetzt mit einigen Filmen, mit "Erin Brokovich" als Ökothriller oder mit "Traffic", wenn es um Drogenkartells geht. Macht Sie die Tatsache, dass Sie der Filmwelt da ja etwas Nachhaltiges hinterlassen, ein bisschen stolz?

    Soderbergh: Ich kann die Qualität meiner Arbeit nicht beurteilen, was ich beurteilen kann, ist, dass es mit allem Positiven und Negativen meine Arbeit ist. Denn ich hatte die komplette Kontrolle. Das können nicht viele über den gesamten Zeitraum ihrer Karriere sagen. Ich schätze ja Leute sehr, die nicht viel reden, sondern machen. Deshalb bin ich auf den Umfang meiner Arbeit sehr stolz, weil es einen starken Willen erfordert, einen Film auf die Beine zu stellen. Heute mehr denn je. Und Leute, die tun, was ich tue, wissen, dass es nicht normal ist, alle neun Monate einen Film zu drehen und immer wieder mit Gegenwind zu kämpfen, um es hinzukriegen. Deshalb ist es für mich jetzt auch okay, einfach zu gehen. Ich bin lange Zeit sehr schnell in eine Richtung gelaufen, das muss ich jetzt mal abstellen. Darüber hinaus weiß ich nicht, welche Bedeutung mein Werk als Ganzes hat.