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"Ich denke, das sollte ein Paukenschlag sein"

Biologie.- Das soziale Umfeld oder auch das sorgfältige Abwägen von Argumenten: Viele Faktoren gelten als mitbestimmend für die politische Meinung eines Menschen. In einer neuen Wissenschaftszeitschrift versuchen Forscher nun aber zu belegen, dass etwas ganz anderes für die politische Auffassung verantwortlich ist: die Gene.

Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth im Gespräch mit Ralf Krauter | 23.02.2011
    Ralf Krauter: Sind fünf Euro mehr für Hartz-IV-Empfänger genug? Darf der entzauberte Doktor der Reserve, K.T. zu Guttenberg, sein Ministeramt behalten? Und sollte die EU die Auslandskonten von des libyschen Diktators Gaddafi einfrieren? Auf politische Fragen wie diese bekommt man sehr unterschiedliche Antworten. Der Grund dafür gilt unter Politologen als ausgemacht: Neben objektiven Argumenten für oder gegen etwas spielt auch das soziale Umfeld eine entscheidende Rolle dabei, was wir für richtig halten. Die Vorbildfunktion der Eltern, der eigene Bildungsgrad und die Ansichten der Freunde – all das beeinflusst unsere politischen Überzeugungen. Aber wenn man einem aktuellen Artikel in der Zeitschrift Journal of Politics glauben darf, gibt es neben Argumenten und sozialen Faktoren noch eine weitere Einflussgröße: unsere Gene nämlich. Frage an den Wissenschaftsjournalisten Volkart Wildermuth, der die Arbeit gelesen hat und uns jetzt aus Berlin zugeschaltet ist: Politische Überzeugung und Gene – macht es überhaupt Sinn, das zusammen zu bringen?

    Volkart Wildermuth: Ja, in jedem Fall. Das wird schon seit gut 40 Jahren untersucht. Da hat man schon alle möglichen Ansätze gehabt. Man hat das Wahlverhalten ganzer Familienstammbäume analysiert, gefragt, ob Adoptivkinder in dieser Hinsicht eher ihren biologischen oder eher den sozialen Eltern gleichen. Man hat Zwillingspaare verglichen. Und unterm Strich hat sich herausgestellt: Die Gene haben durchaus einen Einfluss. Die meisten dieser Studien kommen aus den USA. Und dann hat man geguckt, ob die Menschen eher konservativ oder liberal denken. Das darf man sich jetzt nicht wie bei uns vorstellen, hier CDU, da SPD oder die Linken, sondern konservativ. Das heißt, auf Sicherheit bedacht, gegen Veränderung, starke Abgrenzung zu anderen Gruppen, liberal das Gegenteil. Und bei dieser Frage, auch, wo man sich auf dieser Unterscheidung bewegt, da spielen die Gene offenbar schon eine Rolle.

    Krauter: Wenn diese Studien, wie Sie es erwähnten, zum Teil schon so alt sind, was trägt dann die aktuelle, heute erschienene Arbeit jetzt neues bei?

    Wildermuth: Die hat zum ersten Mal wirklich systematisch danach gesucht, wo in unserem Erbgut denn Faktoren liegen, die die politische Überzeugung beeinflussen. Man hat schon früher versucht, einzelne Sachen herauszugreifen, ein Gen, das die Ängstlichkeit beeinflusst, hat festgestellt, okay, das hängt irgendwie mit dem konservativen Denken zusammen. Aber das ist jetzt die erste Arbeit, die wirklich ganz systematisch das ganze Erbgut in den Blick nehmen. Das war auch wirklich aufwendig. Peter Hatemi und seine Kollegen – das sind Australier, die in der Zwischenzeit zwar in den USA arbeiten, aber die Arbeit stammt noch aus Australien – haben 13.000 ihrer Landsleute befragt, haben ihnen Blut abgenommen, haben denen zu 50 aktuellen politischen Themen die Meinung abgefragt. Und dann haben Sie diese beiden Datensätze zusammengebracht. Und siehe da: An vier Regionen, auf dem Erbgut, gab es Auffälligkeiten, die eben mit der politischen Überzeugung zusammenhingen. Konkret ging es um die Chromosomen zwei, vier, sechs und neun.

    Krauter: Heißt das, die Forscher konnten da jetzt jeweils also praktisch ein liberales Gen oder ein konservatives Gen ausmachen?

    Wildermuth: So einfach ist die Sache leider nicht. Diese Methode ist nur dazu geeignet, interessante Regionen auf dem Erbgut einzukreisen. Da sitzen jeweils Dutzende von Genen und die kann man sich jetzt im Detail anschauen und dann ein bisschen rumspekulieren. Und das machen die auch in ihrer Arbeit. Besonders angetan hat es ihnen ein Gen, das heißt NARG1. Und das ist eng mit Lernvorgängen verknüpft und auch mit der geistigen Flexibilität. Da gibt es einen bekannten Test. Da wird mit dem Probanten ein Kartenspiel gemacht. Die sollen rausfinden, nach welchen Regeln das funktioniert – und mittendrin wechseln die Wissenschaftler die Regeln. Und es ist sehr unterschiedlich, wie schnell die Leute das bemerken, wie flexibel sie da sind. Und es wenig überraschend: Konservative brauchen im Durchschnitt etwas länger, um die einmal gefassten Überzeugungen wieder aufzugeben. Und das könnte eben mit diesem Gen NARG1 zusammenhängen. Und auch eines der anderen Gene hat etwas mit Gedächtnisvorgängen zu tun. Also das passt schon so ein bisschen zusammen.

    Krauter: Zwei Gene haben Sie genannt. Also für geistige Flexibilität und Gedächtnis – die sind wichtig. Was machen die anderen Gene, die man entdeckt hat. Hat man da schon eine Ahnung von?

    Wildermuth: In einer Region ist ein Gen, das etwas mit dem Botenstoff Serotonin zu tun hat. Das ist der Wohlfühlstoff im Gehirn. Wer davon viel produziert, fühlt sich einfach prima. Die Kehrseite davon ist, dass Menschen mit niedrigem Serotoninspiegel eben zu Ängstlichkeit neigen. Und Ängstlichkeit, das haben wiederum psychologische Studien schon lange bestätigt, begünstigt konservative Überzeugungen – besonders eine Ablehnung gegenüber Fremden. Also das könnte auch zusammenpassen. Und zum Schluss: In der Region auf dem Chromosom 9 liegt eine ganze Reihe von Genen, die für den Geruchssinn wichtig sind. Und auch darüber kann man trefflich spekulieren. Der Geruch ist ja bekanntermaßen wichtig für die Paarbindung. Und bei Ehepaaren gibt es eine besonders hohe Übereinstimmung in der politischen Meinung. Also: Könnte das ein Gen sein, das die Fitness erhöht, indem es Menschen mit ähnlichen Überzeugungen füreinander attraktiv macht?

    Krauter: Spannende Frage. Klingt alles plausibel und inspirierend. Aber Hand aufs Herz, Herr Wildermuth: Ist das denn alles noch Wissenschaft oder doch auch ein Tacken Kaffeesatzleserei dabei?

    Wildermuth: Das ist dann keine Wissenschaft mehr. Die Autoren selbst weisen auch darauf hin, dass ihre Methode eben wirklich nur diese Regionen im Erbgut identifizieren kann und keine einzelnen konkreten Gene. Aber immerhin: Jetzt wissen die Genetiker, wo sie genauer hinschauen können und können das dann im Detail untersuchen. Klar ist aber auch, dass die meisten interessanten psychologischen Faktoren nicht auf einem Gen oder von einer Handvoll Gene bestimmt wird, sondern dass da Hunderte von Erbanlagen zusammenspielen mit Umweltfaktoren auf ganz komplexe Weise. Und die Frage 'liberal oder konservativ?' ist da sicher keine Ausnahme. Auf der anderen Seite: Einer dieser Unterschiede, den sie gefunden haben, erklärt rund zehn Prozent der Frage 'liberal oder konservativ?'. Zehn Prozent – das ist wirklich schon ein ziemlich starker Befund. Den findet man nicht eben mal so. Das heißt, da lohnt es sich wirklich nachzubohren.

    Krauter: Die Gene haben also einen Einfluss, aber er ist begrenzt. Ist das auch die Erklärung dafür, dass mancher im Lauf seines Lebens ja auch ganz unterschiedliche politische Positionen einnehmen kann? Denken wir zum Beispiel an Otto Schily, der war erst ganz links verortet und zuletzt als Innenminister aber eher dem rechten Spektrum zuzuordnen – oder rechts der Mitte jedenfalls.

    Wildermuth: Also ich kann jetzt ja die Gene von Otto Schily nicht analysieren. Deshalb beteilige ich mich jetzt mal an den Spekulationen. Es ist nämlich in diesem Fall ganz interessant, weil da zwei ganz unterschiedliche Interpretationen möglich sind. Einerseits ist es so, dass die Gene im Alter immer mehr an Bedeutung gewinnen. Als Jugendlicher lässt man sich noch leicht beeindrucken. Und im Alter findet man sozusagen zu seinen "inneren Werten". Und das würde bedeuten, Otto Schily hat sozusagen konservative Gene. Man kann die Sache natürlich auch andersherum drehen: Er hat im Lauf seines Lebens die Überzeugung gewechselt, hat sich belehren lassen, ist flexibel – das spricht eher für ein liberales Genom. Aber wie gesagt: Hineinschauen kann ich da nicht. Das sind pure Gedankenspielerein.

    Krauter: Nachdem was Sie sagten, höre ich raus, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass wir in ferner Zukunft mal einen DNA-Test machen statt unsere Stimme an der Wahlurne abzugeben. Also: Zeig mir deine Gene und ich sag dir, wen du wählst. Das funktioniert so einfach nicht?

    Wildermuth: Nein, das funktioniert so einfach nicht. Aber es ist ganz klar: Die Gene können eben gewisse Präferenzen vorlegen. Es gibt einen ängstliche und mutige Babys, neugierige Kinder, Kinder, die immer einen festen Rahmen brauchen. Und solche Neigungen bestimmen dann eben mit, was der Mensch aus seinen Erfahrungen lernt, formen mit die Persönlichkeit und damit die politischen Überzeugungen. Und das ist eben eine Illusion zu glauben, dass Politik nur etwas mit Argumenten zu tun hat, sondern so etwas spielt da auch mit rein.

    Krauter: Letzte Frage zum Schluss: Die Arbeit wurde ja in einer politischen Zeitschrift veröffentlicht. Wie ist das denn zu erklären?

    Wildermuth: Ich denke, das ist ein Coup der Herausgeber. Das ist die erste Ausgabe dieser Zeitschrift. Ich habe mir die anderen Artikel angesehen. Das sind klassische politische, soziologische Themen. Dieser Artikel sticht da gewaltig heraus. Und ich denke, das sollte ein Paukenschlag sein, mit dem diese Zeitschrift für Diskussionen sorgen wollte. Und ich denke, das ist ihr auch gelungen.