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"Ich empfinde das als zynisch"

Die SPD hat gerade mühselig einen Kompromiss in ihrer Haltung zur Rentenpolitik gefunden, bei dem sie unter bestimmten Voraussetzung der Rente mit 67 zustimmt. SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler hält ihn "nicht für einen klugen Kompromiss". Auch den SPD-Fraktionsvorsitzenden Steinmeier kritisiert er scharf.

Rudolf Dreßler im Gespräch mit Gerwald Herter | 19.08.2010
    Gerwald Herter: Bis 2005 war er deutscher Botschafter in Israel und zuvor zwei Jahrzehnte lang SPD-Abgeordneter des Deutschen Bundestages, unter anderem auch Staatssekretär. Rudolf Dreßler, er weiß, wie man Kompromisse schließt und welche Grundsätze man dabei trotzdem nicht aufgeben darf. Genau das war lange das Problem der SPD mit dem Renteneintrittsalter. Mit Rudolf Dreßler bin ich nun verbunden. Guten Morgen, Herr Dreßler!

    Rudolf Dreßler: Guten Morgen!

    Herter: Herr Dreßler, Sie sind ja keine 65 mehr und Ihren 67. Geburtstag haben Sie auch schon hinter sich. Dennoch bleiben Sie aktiv. Wo liegt Ihr persönliches Renteneintrittsalter?

    Dreßler: Exakt mit Erreichen des 65. Lebensjahres im November 2005. Das ist automatisch so. Man muss dann – ich war damals Botschafter in Israel – per Gesetz seinen Posten verlassen. Man geht dann in die Altersrente.

    Herter: Das betrifft die Bezüge, aber nicht Ihre Aktivitäten. Die haben Sie ja nun nicht aufgegeben. Zumindest Nebenbeschäftigungen gehen Sie ja noch nach.

    Dreßler: Wenn man mit 65 das offizielle Arbeitsleben beendet, muss man ja deshalb nicht im Sessel sitzen und darauf warten, dass jeder Tag zur Neige geht. Sondern man muss sich neu orientieren, engagieren, und das mache ich in wesentlichen Teilen mit der Nahostpolitik, aber auch mit der Sozialpolitik, Gesellschaftspolitik im bundesrepublikanischen Bereich.

    Herter: Und Sie können die Verhandlungen und die Entwicklung Ihrer Partei, der SPD beobachten. In den letzten Monaten war die tief zerstritten. Der SPD-Vorsitzende und der Fraktionsvorsitzende, Gabriel und Steinmeier, haben sich jetzt verständigt: Rente mit 67 ja, das soll bleiben. Aber der Prozess, der dahin führt, soll einige Jahre später beginnen und das nur unter Bedingungen. Ist das, Herr Dreßler, der beste mögliche Kompromiss?

    Dreßler: Ich halte dieses, wenn es denn so käme, nicht für einen klugen Kompromiss. Sondern diese Lösung ist nichts anderes, als das Gesicht des Fraktionsvorsitzenden Steinmeier zu wahren, der natürlich einer der Autoren der Rente mit 67 und Verfechter der Rente mit 67 ist. Wer den Gesetzestext, den bestehenden Gesetzestext, den die Sozialdemokratie in der Großen Koalition beschlossen hat, mit beschlossen hat mit der CDU, genau liest, der weiß, dass dieses Gesetz nach bestehendem Text nicht in Kraft treten darf, weil der Text dieses Gesetzes das ausdrücklich untersagt und verbietet. Die SPD steht also vor der Frage, ob sie einen Wortbruch begehen will. Oder ob sie sich endlich wieder auf die Realitäten, die sie selbst in Kraft gesetzt hat per Gesetz, besinnen will.

    Herter: Zu den Realitäten gehört, dass viele ältere Menschen überhaupt keinen Job mehr finden, wenn sie erst einmal arbeitslos geworden sind. Und gerade deswegen wird die Verschiebung des Renteneintrittsalters ja auch von vielen als zynisch empfunden. Von Ihnen auch?

    Dreßler: Ich empfinde das als zynisch, weil es nur eine Lösung gibt. Solange die Kriterien, die zur Einführung der Rente mit 67 führen sollen, nicht gelöst sind, also Erwerbsbeteiligung Älterer, früheres Ausscheiden der 55-Jährigen und älteren aus dem Berufsleben beenden, die Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser erleichtern, die Teilnahmequote an beruflicher Weiterbildung erhöhen. Wenn das nicht geschehen ist – so steht es im Gesetz -, dann darf dieses Gesetz nicht in Kraft treten. Und dazu ist die SPD nun aufgerufen, diesen Wortbruch, wenn sie es nicht machen würde, zu vermeiden.

    Herter: Was ist denn aber mit der jüngeren Generation? Die hat ja einige Lasten zu schultern. Und reichen denn die Rentenkassen aus, wenn es beim Renteneintrittsalter bleibt, die Rente zu finanzieren?

    Dreßler: Das Entscheidende ist, ob Politik die Kraft hat, diese Tabuthemen, die Denktabuthemen in dieser Rentenpolitik endlich aufzugeben. Also Ausweitung der Beitragszahler, die Freigrenzen anzuheben, die Selbstständigen und Besserverdienenden in die Beitragspflicht zu setzen. Und wenn sie endlich beendet diese Riesensubventionierung von Unternehmungen und von denen, die diese Rente mit 67 natürlich aus anderen Gründen wollen. Die haben alleine in den letzten zehn Jahren 50 Milliarden Steuergelder für Geringverdiener verloren, wegen nicht gezahlter Löhne oder Gehälter, durch Nichteinführung eines Mindestlohnes. Wenn man sich dieses gigantische Subventionsprogramm vergegenwärtigt und dann von denjenigen, die das erhalten haben, hört, dass sie die Rente mit 67 aus fiskalpolitischen Gründen wollen, dann kann man nur noch den Kopf schütteln. Wir müssen also die Debatte wieder vom Kopf auf die Füße stellen.

    Herter: So viel zur Sache, aber es gibt nun eben eine Auseinandersetzung in der SPD und Herr Steinmeier, der das Renteneintrittsalter mit beschlossen hat, ist immerhin Fraktionsvorsitzender. Wenn der keine Chance hat, sein Gesicht zu wahren, dann müsste er doch eigentlich zurücktreten?

    Dreßler: Also, wenn er dieses nun so will, die Rente mit 67 aufrecht erhalten, dann wird er sich von seinem eigenen Gesetz, was er als Außenminister mit unterschrieben hat, im Kabinett verabschieden müssen. In diesem Gesetz steht nämlich, dass es – ich wiederhole – nicht in Kraft treten darf, weil die Bedingungen für dieses Gesetz unerfüllt geblieben sind. Das heißt, er steht davor, seinen Wortbruch entweder nicht zu tätigen, oder sich eines Wortbruches zu begeben. Und wenn es nur noch darum geht, sein Gesicht zu wahren, weil er in den letzten Tagen wiederholt in Interviews dieses alles ignoriert hat, was er selbst ins Gesetz geschrieben hat, dann ist das sein Problem. Und wenn das zum Problem der SPD gemacht würde, dann würde die SPD an diesem Problem schwer zu knacken haben.

    Herter: Was sagen Sie sonst zur Auseinandersetzung zwischen Linken und eher Rechten in der SPD? Glauben Sie, dass diese Doppelspitze Steinmeier-Gabriel funktionieren kann?

    Dreßler: Wenn sie sich an die Fakten halten, kann das natürlich funktionieren. Aber wenn einer wie Herr Steinmeier offensichtlich mit dem Kopf durch die Wand will und dieses zu seiner eigenen Gesichtswahrung benötigen will, dann steht er nun logischerweise im Konflikt mit der Mehrheit der SPD-Mitglieder nach meiner Einschätzung.

    Herter: Was muss mit dem Erbe Gerhard Schröders in der SPD passieren? Sie plädieren dafür, dass man es sozusagen einfach zu den Akten legt und eine neue Richtung einschlägt?

    Dreßler: Wir müssen die Rentendebatte wieder vom Kopf auf die Füße stellen – ich wiederhole – und wir müssen begreifen, dass Rentenpolitik auch ein Stück Identifikationspolitik für die SPD darstellt. Und dieses hat sie während der Schröder-Jahre und dieser Gesetzgebung Rente mit 67 aufs Spiel gesetzt. Nach diesem Wahlergebnis von 2009 mit 23 Prozent hat die SPD überhaupt keine Wahl mehr. Sie muss jetzt wieder ihre sozialpolitische Identitätsphase finden. Das ist ein schwieriger Weg, aber der darf nicht daran scheitern, dass ein Fraktionsvorsitzender sein Gesicht wahren will.

    Herter: Das war der Sozialdemokrat Rudolf Dreßler über die SPD und die Rente mit 67. Herr Dreßler, vielen Dank für das Gespräch.

    Dreßler: Auf Wiederhören!