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"Ich finde das vernünftig"

Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky unterstützt die Pläne von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, für Kinder aus Hartz-IV-Familien Bildungschipkarten auszustellen. Dies sei "ein guter erster Schritt, die Familienförderung in Deutschland neu zu strukturieren".

Heinz Buschkowsky im Gespräch mit Martin Zagatta | 14.08.2010
    Martin Zagatta: Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen will offenbar Bildungschipkarten für Kinder aus Hartz-IV-Familien einführen, eine Art Kreditkarte, mit der die Jugendlichen dann zum Beispiel Musikunterricht, Sportvereine oder auch Schwimmbadbesuche bezahlen können. Allererste Reaktionen: Die CDU und die FDP finden das gut, aus der SPD kommt Widerspruch. Und wir sind jetzt mit Heinz Buschkowsky verbunden, er hat als Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln die Diskussion um Hilfsleistungen für Kinder aus bedürftigen Familien mit angestoßen. Guten Morgen, Herr Buschkowsky!

    Heinz Buschkowsky: Guten Morgen!

    Zagatta: Aus Ihrer Partei, Herr Buschkowsky, der SPD, kommt ja Ablehnung. Was halten Sie eigentlich von solchen Bildungschips? Das müsste Ihnen doch eigentlich gefallen.

    Buschkowsky: Ja, tut es auch. Ich verstehe auch nicht die Ablehnung, die da aus meiner Partei im Moment kommt, weil: Die Bundesregierung definiert ja das erste Mal Bildungsgerechtigkeit und gesellschaftliche Partizipation von Kindern außerhalb des Geldscheines, also nicht immer nur, wir schicken mal schnell 20 Euro mehr und dann sind die Probleme gelöst, sondern man macht sich Gedanken, wie gesellschaftliche Leistung tatsächlich bei den Kindern ankommt. Ich finde das vernünftig.

    Zagatta: Wäre das denn bürokratisch zu bewältigen in einem Bezirk wie Neukölln?

    Buschkowsky: Ja, das ist die zweite Frage: Wie schafft man ein System, ohne dass man gleich wieder eine neue Behörde braucht einerseits, und zweitens, dass es so individualisiert ist, dass die Chips, dass die Gutscheine, egal, was es nachher ist, nicht bei Ebay wieder verhökert werden?

    Zagatta: Ja, wie könnten Sie das lösen oder wäre das überhaupt denkbar für Sie, das zu lösen?

    Buschkowsky: Ja, es muss denkbar sein, und es muss auch möglich sein. Wir leben ja schließlich nicht mehr vor 100 Jahren, sondern die Mikroelektronik muss uns da irgendwie helfen, dass wir irgendwelche aufladbaren Scheckkarten haben, dass das so gemacht werden kann, dass da es wirklich kein Schlupfloch gibt, dass man mit gewissen Abschlägen es doch wieder in Geldscheine verwandeln kann, weil was mit dem Geld dann passiert, ist ja klar: Das landet überall, bloß nicht bei den Kindern.

    Zagatta: Aber wer könnte das bei Ihnen erledigen? Müssten Sie da eine neue Bürokratie aufbauen, oder haben Sie eine Behörde, die das mit erledigen kann?

    Buschkowsky: Solange das bei Hartz IV ist, können das die Jobcenter mitmachen. Ich meine, das ist eine große Behörde, das Jobcenter in Neukölln hat 700 Mitarbeiter. Das muss an sich leistbar sein. Die Frage ist ja: Aus meiner Sicht kann das ja nur ein erster Schritt sein, der Einstieg bei Hartz IV, ich persönlich plädiere ja dafür, insgesamt darüber nachzudenken, ob Geldleistungen immer das Richtige sind, oder ob man nicht lieber über kostenfreie Kindergärten, kostenloses Mittagessen und Ganztagsschulen, kleinere Klassen nachdenkt, und nicht immer versucht, in das Familienbudget und in die Eltern zu investieren. Andere Länder in Europa machen das.

    Zagatta: Das ist ja auch die Kritik, die aus der SPD, aus Ihrer Partei laut geworden ist, dass die genau das fordert, also man soll da in Gesamtschulen, in kostenloses Mittagessen investieren. Und dann heißt es, dass mit solchen Chips die Kinder an den Pranger gestellt würden, verarmte Kinder oder Kinder aus armen Familien würden da diskriminiert.

    Buschkowsky: Na ja, das mit der Diskriminierung, da ist sicherlich was dran, solange ein solches System nur für einen Teil der Kinder gilt. Andererseits ist das so: In einer Klasse oder auch in einer Kindergartengruppe, da weiß man schon, wie die familiären Verhältnisse sind. Wie ist es denn heute, wenn drei, vier Kinder aus einer Klasse nicht mitfahren können zur Klassenreise? Dann sammeln die anderen Eltern. Also dass das ein großes Geheimnis ist, das kann ich so nicht sehen. Das ist sicherlich ein Gedanke, der nicht völlig abwegig ist, aber man kann sich auch die Schere so in den Kopf setzen, dass wieder nichts mehr geht.

    Also, ich finde erst mal es einen richtigen Weg, umzudenken, gesellschaftliche Leistungen nicht immer in Geld zu tun, sondern auch in Dinge, wo die Kinder tatsächlich etwas davon haben. Denn ich darf nur daran erinnern: Jedes vierte Kind verlässt in Deutschland die Schule ausbildungsunfähig, und das ist ein Zustand, an den müssen wir ran, egal wie.

    Zagatta: Wo würden Sie die Grenze ziehen? Sie sagten vorhin, bei Ihnen in Neukölln für Kinder von Hartz-IV-Empfängern sei das bürokratisch zu leisten. In Stuttgart, wo das Modell schon erprobt wird und die Stadt, die man als Vorbild nimmt, da ist das so, dass Chipkarten an Familien gehen bis zu einem Bruttoeinkommen, ein Jahreseinkommen von 60.000 Euro. Das ist ja relativ viel.

    Buschkowsky: Ja, Stuttgart und auch der Berlin-Pass … das regelt ja oder die regeln ja die Freizeitgestaltung. Ich denke ja, …

    Zagatta: Berlin-Pass, das ist so eine Chipkarte, so was Ähnliches fast schon, für die Freizeitgestaltung in Berlin für Kinder.

    Buschkowsky: Ja, aber das ist ja dann individuell. Ich persönlich denke ja daran, ob man nicht zum Beispiel das Kindergeld völlig anders strukturieren kann, denn wenn Sie ran wollen an Ganztagsschulen, wenn Sie ran wollen an Klassengrößen, an kostenlose Kindergärten, dann ist das ja nicht mehr mit wiederaufladbaren 200 Euro gemacht, sondern dann müssen Sie das gesamte System der Familienförderung umstellen.

    Aber einfach nur mal so ein Zahlenbeispiel: Die Bundesrepublik gibt 35 Milliarden jedes Jahr für Kindergeld aus. Wenn Sie das Kindergeld halbieren und dieses Geld in die Bildung stecken, heißt das in jedem Bundesland jedes Jahr eine Milliarde mehr für Bildung. Da sieht die Bildungspolitik und die Bildungssituation der Kinder in Deutschland in fünf Jahren ganz anders aus. Ich glaube sogar, dass Sie da eine Mehrheit für bekommen, auch bei den Eltern.

    Warum da so viel Zurückhaltung ist, erklärt sich ganz einfach: Die Menschen haben Sorge, dass ihnen zwar das Kindergeld gekürzt wird, aber das Geld nicht in der Bildung ankommt. Das ist das Problem, das Misstrauen in die Politik.

    Zagatta: Ja, das wäre Ihr Vorschlag, also Sie treten ein für eine Halbierung des Kindergelds?

    Buschkowsky: Also ich trete ein, letztendlich, letztendlich die Leistungen der Gesellschaft für die Kinder zu investieren in die Welt der Kinder, und nicht in das Familienbudget. Deswegen ist für mich die Chipkarte bei Hartz IV ein guter erster Schritt, die Familienförderung in Deutschland neu zu strukturieren.

    Zagatta: Aber wenn Sie das Kindergeld halbieren wollen, da können Sie sich den Aufschrei vorstellen, nicht nur bei der Linken. Da würde es doch auch in Ihrer Partei, in Ihrer eigenen Partei gewaltigen Widerstand geben. Es ist fast undenkbar mit Ihrer Partei, oder?

    Buschkowsky: Na, das weiß ich nicht. Sehen Sie, bei der vorletzten Kindergelderhöhung hat Peer Steinbrück schon mal gesagt: Wir können uns die 20 Euro sparen und dafür die gesamte Vorschulerziehung in der Bundesrepublik Deutschland kostenfrei machen. Er ist damit gescheitert. Frau von der Leyen hat einen ähnlichen Vorschlag schon mal gemacht. Also die Idee, eher in Kindergärten, eher in kleinere Klassen, eher in Schulen zu investieren als in 20-Euro-Scheine, die ist so neu nicht.

    Denn wenn wir uns mal ehrlich fragen, welche Welt eines Kindes wird in welcher Familie durch 20 Euro im Monat mehr oder weniger verändert. Und das ist eben nicht der Fall. Das Geld verpufft, während auf der anderen Seite die Kinder gerade in den bildungsfernen Milieus dringend eine stärkere Förderung brauchen. Also ich glaube, wir müssten schon ein bisschen umdenken und ein bisschen über die Landesgrenze hinausschauen. Andere Länder machen das anders, die geben weniger Geld aus, und sind aber erfolgreicher, wie wir bei PISA wissen.

    Zagatta: Also, dieser Vorschlag lässt sich bestimmt diskutieren, aber nicht schnell umsetzen. Die Bundesregierung muss bis zum Jahresende handeln, so hat es das Verfassungsgericht vorgegeben. Jetzt steht dieser Chip eben auch deshalb genau zur Debatte. Glauben Sie zumindest, dass sich jetzt damit dieses Problem, das das Bundesverfassungsgericht angesprochen hat, dass das sich jetzt zumindest kurzfristig mit diesem Chip regeln lässt?

    Buschkowsky: Da bin ich ganz sicher, dass sich das regeln lässt, und ich finde es auch einen sehr mutigen Schritt. Ich hoffe nur, dass er nicht wieder zerredet und zerdiskutiert wird.

    Zagatta: Das war der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln Heinz Buschkowsky. Herr Buschkowsky, ich bedanke mich für das Gespräch!

    Buschkowsky: Bitte sehr!