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"Ich freue mich riesig"

Der israelische Historiker Saul Friedländer wird mit dem diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. In der Begründung des Börsenvereins heißt es, Friedländer sei ein epischer Erzähler, der den verfolgten und ermordeten Juden Gedächtnis und Namen geschenkt habe. Friedländer sagte im Deutschlandfunk, der Preis sei für ihn eine große Ehre. Historiker sei er auch aus einem inneren Drang geworden. Er habe die Geschichte seiner Familie, die in Auschwitz umgebracht worden sei, aber auch die Geschichte eines ganzen Volkes erforschen wollen.

Moderation: Michael Köhler | 14.06.2007
    Michael Köhler: Wenige Minuten vor der Sendung hatte ich Gelegenheit, mit Saul Friedländer, der im kalifornischen Los Angeles lebt, zu sprechen, und ich habe ihn gefragt, es ist bekannt geworden, dass er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels im Rahmen der Frankfurter Buchmesse 2007 erhält, was denkt er darüber und vor allem: Freuen Sie sich?

    Saul Friedländer: Ich freue mich riesig, ja, und es ist für mich also eine große Ehre, muss ich sagen, und eine ganz überraschende Ehre. Aber ich nehme sie an.

    Köhler: Was ist Ihr Antrieb gewesen, Historiker zu werden? Warum sind Sie Geschichtswissenschaftler geworden?

    Friedländer: In meinem Fall, also jeder Historiker, scheint mir, hat einen objektiven Grund, Historiker zu werden, aber auch und vielleicht am stärksten einen ganz subjektiven Grund. Und in meinem Fall war es selbstverständlich der Drang, der innere Drang, die Geschichte meiner Zeit und meiner Familie, die ja in Auschwitz vernichtet wurde, und die Geschichte der Juden dieser Zeit, der Hitlerzeit, zu erforschen. Es gibt keine Frage, dass es hier ein ganz subjektiver Drang war. Was für den Historiker übrigens nicht leicht ist, weil man muss sich ja bemühen, so, wie kann ich sagen, so sachlich und objektiv zu sein, wie es nur menschlich möglich ist. Aber die zwei Dränge müssen leider irgendwie zusammengehalten werden.

    Köhler: Heißt Geschichtsschreibung heute, so wie Sie es tun, mit Ihren beiden großen Büchern "Das Dritte Reich und die Juden", Ihren beiden letzten großen Publikationen in deutscher Sprache, heißt Geschichtsschreibung heute anders als früher, dem Vergangenen eine Stimme geben?

    Friedländer: Ja, meistens so ist es. Geschichte wird mehr und mehr Geschichtsschreibung. Es war so, sagen wir, vor 20 Jahren hat man mehr und mehr ins Abstrakte, Objektive, die französische Schule "l'école des annales" hat dazu sehr viel mitgebracht, und auch die Sozialgeschichte in Deutschland, Bielefelder usw. Aber es kann sein, dass man heute etwas zurück zum, nicht nur zum Alltag, sondern zur Mikrogeschichte und zum persönlichen individuellen Schicksal zurückgeht. Also es gab vielleicht zu viel von rein analytischer Geschichte.

    Köhler: Sie selber mussten mit sechs oder sieben Jahren, ich weiß es nicht ganz genau, von Prag nach Frankreich fliehen. Ist Ihre wissenschaftliche Arbeit - Sie haben zu Beginn schon davon gesprochen - von dieser Erfahrung geprägt?

    Friedländer: Ja, die Flucht nach Frankreich war, sagen wir, das erste Moment meiner Geschichtswahrnehmung, obwohl, ich erinnere mich noch ganz, ganz klar heute an Hitlers Rede während der Sudetenkrise, als er sich gegen die Tschechen ausließ, und diese Rede, die man hörte in Prag - die Familie saß beim Radio da -, das ist mir irgendwie noch als erstes geschichtliches Ereignis im Sinn geblieben. Und, sagen wir, der Wendepunkt ist selbstverständlich die Flucht nach Frankreich, aber das historische Moment ist diese schreckliche Rede, die ich schon als Kind irgendwie wahrnahm.

    Köhler: Ich frage aus einem Grund: Sie sind ein bedeutender Holocaust-Forscher, und Hannah Arendt, die große Philosophin und jüdische Politologin hat übrigens 1958 die Laudatio auf Karl Jaspers gehalten, auf den Friedenspreisträger. Sie hat einmal in einem Interview gesagt: Nicht 1933 war der Schrecken, sondern das Grauen war '42/'43, als man von Auschwitz erfuhr in Deutschland. Darf man heute in Deutschland nicht mehr den Satz sagen: Davon haben wir nichts gewusst.

    Friedländer: Ich glaube, heute ist es schwieriger und schwieriger. Es gibt ja jetzt diese neuen Arbeiten. Ich habe selbst in diesem zweiten Band ziemlich viel darüber geschrieben, dass Leute wussten, früher als man dachte, bis unlängst, und wüssten eigentlich viel mehr, als man dachte. Schon '42, in der Tat. Aber jetzt ist es noch bekräftigt von Arbeiten von Peter Longerich und Dieter Pohl und Bajohr. Also all dies ist heute ziemlich klar. Das war ja eine lange Zeit die Ausrede: Wir haben nichts, wirklich nichts davon gewusst, nur nach dem Krieg hat man das alles erfahren. Also das ist falsch.

    Köhler: Ihr Schwerpunkt der Forschung bei der Holocaust-Forschung ist, einen gewissen, ja, wie soll ich sagen, jüdischen Anteil wieder zurück zu gewinnen, also dem Jüdischen eine Stimme zu geben und sie nicht in Anführungszeichen "nur als Opfer" zu zeigen, sondern zu sagen, es gibt Menschen, denen man eine Stimme wieder zurückgeben muss. Ist das so richtig?

    Friedländer: Genau, das war ja mein Hauptziel. Mehr noch selbstverständlich, viel mehr im zweiten Band, also diesen, der jetzt erschienen ist vor ein paar Monaten, "Die Jahre der Vernichtung", als im ersten, weil da gab es eine Tendenz, die auch von manchen ganz bewusst so getrieben war, die Geschichte, die wirklich geschichtlich wichtig ist, ist die Geschichte der Täter, eventuell der Welt ringsum. Aber die Geschichte der Opfer ist eine Geschichte der Passivität, und da ist wenig zu sagen, sagen wir, die haben kein Teil genommen an ihrem eigenen Schicksal. Und das selbstverständlich finde ich falsch.