Freitag, 29. März 2024

Archiv


"Ich gehe lieber jetzt, bevor ich hier vom Hof gejagt werde"

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch hat nach Ansicht seines Biografen Hajo Schumacher einen guten Zeitpunkt für den Rückzug aus der Politik gewählt. Viele Politiker, die nicht loslassen könnten, hätten sich zum Schluss ihrer Karriere vieles kaputt gemacht, warnte Schumacher.

Hajo Schumacher im Gespräch mit Stefan Heinlein | 26.05.2010
    Stefan Heinlein: Der brutalst mögliche Abgang von Roland Koch hinterlässt tiefe Spuren, vor allem bei der CDU in Hessen. Dort versuchen seine Parteifreunde, die Scherben zusammenzukehren. Noch am Abend der Beschluss, Innenminister Volker Bouffier soll künftig als CDU-Landesvorsitzender und Ministerpräsident in die Fußstapfen von Roland Koch treten.

    Nicht nur in Hessen, der Paukenschlag aus Wiesbaden klingt auch in Berlin weiter nach. Der Rückzug von Roland Koch aus allen politischen Ämtern hinterlässt Lücken bei der CDU. Die innerparteiliche Statik kommt gewaltig ins Wanken, auf der politischen Bühne fehlt künftig eine wichtige Stimme der Konservativen. Die Partei muss sich neu sortieren.

    Am Telefon in Berlin begrüße ich nun den Journalisten Hajo Schumacher. Er ist Herausgeber des Medienmagazins "V.i.S.d.P." und Autor einer Roland-Koch-Biografie. Guten Tag, Herr Schumacher.

    Hajo Schumacher: Guten Tag, Herr Heinlein.

    Heinlein: "Politik ist nicht mein Leben", so hat Roland Koch gestern gesagt. Glauben Sie ihm? - Nein, Sie lachen.

    Schumacher: Eine Sekunde! Ich meine, Roland Koch hat sein ganzes Leben eigentlich nichts anderes gemacht als Politik. Selbst in seinem Studium hat er eigentlich mehr Gremienarbeit geleistet, als sich in irgendwelchen Seminaren rumzudrängeln. Also das ist natürlich für ihn schon ein ganz gewaltiger Bruch im Leben, das ist ein neues Leben, was jetzt anfängt für ihn. Ein größeres "Political Animal" kann man sich gar nicht vorstellen. Insofern hat er das sicherlich auch mit einem Augenzwinkern gesagt.

    Heinlein: Dennoch: Er schien ja gestern sehr gelassen. Fällt es ihm tatsächlich leicht, sich nun von der Macht zu verabschieden und vielleicht besser zu verdienen dann in der Wirtschaft künftig?

    Schumacher: Ich glaube, Geld spielt für ihn jetzt keine wirklich zentrale Rolle. Er ist von Hause aus kein Armer. Sein Vater war erfolgreicher Wirtschaftsanwalt. Wie gesagt, Geld, Besitzstand - klar - ist zur Sicherung des Lebensunterhaltes wichtig, aber das ist nicht der Punkt. Er wäre, glaube ich, deutlich lieber Kanzler als Millionär geworden, und das ist genau das Problem. Es gibt zwei politische Betätigungsfelder für ihn: Das eine ist Wiesbaden, ist der hessische Ministerpräsident, und da ist er nun viermal gewählt worden. Wir alle wissen, schon nach zwei Legislaturperioden ist der Wähler dann eigentlich auch satt und möchte einen Wechsel. Koch hat jetzt mit dieser Hängepartie 2008, mit diesem einen Jahr als geschäftsführender Ministerpräsident, da hat er schon mal so in den Abgrund geguckt und hat schon mal ein Gefühl dafür gekriegt, wie das sein könnte, wenn man nicht mehr Ministerpräsident ist. Da ist also die Wahrscheinlichkeit, dass er da noch ganz viel bewegen kann, nicht so groß.

    Nach allem, was man aus dem Kanzleramt hört, hat Angela Merkel seine eindeutigen Signale, dass er gerne mitspielen würde in der ersten Mannschaft, auch nicht so ganz beantwortet. Der rote Teppich, der von Frau Merkel Richtung Wiesbaden ausgerollt worden ist, der war sehr schmal und sehr dünn und nicht so, dass er da eine Chance in den nächsten Jahren gesehen hat.

    Als Vernunftsmensch sagt er sich dann: Ja, das mit Berlin wird nichts, in Wiesbaden ist auch nichts mehr zu gewinnen, dann gehe ich lieber zum richtigen Zeitpunkt, und dieser Zeitpunkt - das muss man durchaus auch mit Respekt sagen - ist relativ schlau gewählt. Er hat das bei Helmut Kohl gesehen, er hat das bei Edmund Stoiber gesehen, er hat das bei Johannes Rau, bei Kurt Biedenkopf gesehen. Viele Politiker, die nicht loslassen können, machen dann zum Schluss ihrer Karriere viel von dem kaputt, was sie vorher sich so aufgebaut haben, und da hat der Vernunftsmensch Koch einfach gesiegt und gesagt, ich gehe lieber jetzt selbstbestimmt, bevor ich hier vom Hof gejagt werde.

    Heinlein: Hat er sich jetzt ein Beispiel an Friedrich Merz genommen, der sich ja auch mehr oder weniger freiwillig aus der Politik verabschiedet hat?

    Schumacher: Merz ist ein bisschen ein anderer Fall. Das ist ein deutlich emotionalerer Mensch. Der ist dann auch schnell mal beleidigt und aufgebracht und verlässt dann wutschnaubend den Klassenraum. Roland Koch ist ja eher der Musterschüler, der sich in der Pflicht sieht. Natürlich sind die Herrschaften über den Andenpakt, jener legendäre Männerbund, den es seit 25 Jahren nun gibt ... Da sind einige drin, Matthias Wissmann zum Beispiel, früher Minister, und den haben sie ja früher schon den Kanzler von Legoland genannt, der wollte auch mal Kanzler werden, Friedrich Merz, Friedbert Pflüger. Das sind also einige, die aktiv in der Politik waren und auch große Pläne hatten, die sich inzwischen verabschiedet haben und sich irgendwo anders verdingen. Es gibt da zwei Wochentage, die heißen Samstag und Sonntag; die haben im Leben von Roland Koch bislang keine große Rolle gespielt, weil seine Woche immer aus sieben Arbeitstagen bestand, und ich kann mir vorstellen, dass auch Frau Koch, Anke Koch, eine durchaus resolute Person, gesagt hat, ich habe jetzt 30 Jahre lang hier jede Kreisverordnetenversammlung mitgetragen, jede Autobahnteilabschnitt-Einweihung miterlebt, jetzt ist auch mal gut. Insofern, glaube ich, hat dieses etwas privatere Leben, ein bisschen abseits der Öffentlichkeit, auch einen gewissen Reiz und er sieht an seinen Kollegen, man kann da auch ganz gut über die Runden kommen.

    Heinlein: Lassen Sie uns noch einen Moment, Herr Schumacher, noch über die Lücke reden, die Roland Koch jetzt nicht nur in Hessen, sondern vor allem auch in Berlin innerhalb seiner Bundespartei hinterlässt. Wir haben über Friedrich Merz kurz gesprochen. Wird es nun einsamer um Angela Merkel und die CDU-Vorsitzende auf dem konservativen Flügel? Fehlt diese Stimme künftig?

    Schumacher: Angela Merkel ist ja ohnehin jetzt zurzeit relativ einsam, viele Probleme, wenig Lösungen, und der konservative Flügel, wird Frau Merkel ja vorgeworfen, ist sowieso schon ein bisschen lahm. Die klassischen Vertreter, die ja früher auch aus Hessen kamen, ob die Dregger oder Kanter hießen, oder Jörg Schönbohm zum Beispiel, der frühere Innenminister in Brandenburg, dieser Typus des strammen Konservativen, der ja nun auch einen Teil der Kernklientel gerade im Westen der Republik bindet, auch als Gegengewicht zu Angela Merkel, den braucht man in einer Volkspartei. Das muss man sich vorstellen wie so ein Theaterensemble. Da muss halt jede Rolle besetzt werden und das böse Krokodil, das war bislang immer Roland Koch, und er erfüllt ja noch zwei weitere Kriterien. Er ist ein Wirtschaftsliberaler und er ist ja durchaus auch ein Reformer, ein Debattenanzetteler. Wir erinnern uns an das gemeinsame Rasenmäherprinzip, damals mit Peer Steinbrück, als der noch Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen war. Da wurde durchaus was vorangetrieben. Er hatte Gewicht, Koch hatte Stimme und es ist zwar ein auf den ersten Blick Sieg für Frau Merkel, dass sie wieder einen losgeworden ist, der ihr gefährlich werden könnte, mit Rüttgers jetzt sogar schon ein zweiter binnen kürzester Zeit. Langfristig allerdings fehlt dem Profil der CDU da eine ganz wichtige Farbe. Ob man Koch nun mag oder nicht, aber er hat schon auch CDU pur, die gute alte Union vertreten, und auf dem Flügel ist es jetzt ganz schön leise und einsam.

    Heinlein: Angela Merkel und der Abgang der Starken, der stramm konservativen Männer. Sie haben es gerade beschrieben. - Kurz noch, Herr Schumacher: Wird die CDU jetzt zur reinen Jasager-Partei? Ist Angela Merkel jetzt nur noch umgeben von Leuten, die ihren Kurs gut finden?

    Schumacher: Na ja, der Typus Pofalla als Symbol des Jasagers, der hat schon durchaus eine Übermacht in der Partei. Die Frage ist halt: Es ist ja nicht so, dass die Union oder die CDU eine wirklich stramme Programmpartei ist, sie war immer eine sehr pragmatische Partei. Letztendlich sind die Mitglieder immer denen gefolgt, die Erfolg hatten. Das war bei Helmut Kohl lange so, der hat zu seinen besten Zeiten fast 50 Prozent der Wählerstimmen geholt und da konnte der letztendlich an Politik machen, was er wollte, und er war ja durchaus auch ein sozial orientierter Kanzler mit Norbert Blüm zum Beispiel und auch Heiner Geißler dann später. Insofern ist letztendlich der Erfolg das Kriterium. Wenn Angela Merkel Wahlen gewinnt, dann wird sie die Mehrheit der Partei hinter sich haben. Im Moment sieht es nicht so aus. Die beiden Bundestagswahlen, die Angela Merkel gewonnen hat, da waren die Ergebnisse nicht besser als Kohls schlechtestes Ergebnis, und wenn jetzt die Länderparlamente der Reihe nach so dominomäßig umfallen - wir haben das ja anders herum bei Rot-Grün und Schröder erlebt; kaum war Rot-Grün im Bund an der Macht, fielen die Länder in die andere Richtung -, dann kann das gut sein, dass jetzt hier ein weiterer Erosionsriss im Machtsystem Merkel zu beobachten ist, und 2013 muss man mal sehen, inwieweit das noch trägt.