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"Ich glaube, dass der Wahlkampf sehr wirtschaftspolitisch geprägt sein wird"

Der geschäftsführende Ministerpräsident Hessens, Roland Koch (CDU), erwartet einen stark wirtschaftspolitisch orientierten Wahlkampf. Der Staat sei nicht klüger als die private Wirtschaft, dennoch müsse den Arbeitnehmern wie im Fall Opel und mit Konjunkturimpulsen geholfen werden, betonte Koch.

16.11.2008
    Sabine Adler: In Washington haben die Staats- und Regierungschefs nach Auswegen aus der Weltfinanzkrise gesucht. Die Einschläge kommen auch bei uns jetzt immer näher. Ganz nah sind sie bei Ihnen, Herr Koch, in Hessen. Der Autobauer Opel hat sich an die Bundesregierung und an vier Landesregierungen mit der Bitte um Hilfe gewandt, es geht um Bürgschaften, um Geld für Investitionen. Von einer Liquiditätslücke von einer Milliarde Euro ist die Rede. Herr Koch, wie kann die hessische Landesregierung in dieser Situation hilfreich zur Seite stehen?

    Roland Koch: Zunächst einmal sind wir natürlich besorgt darüber, dass ein Unternehmen wie Opel, in dem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Geschäftsleitung in den letzten Jahren sehr große Anstrengungen unternommen haben, zu einem leistungsfähigen, modernen Betrieb mit guten neuen Modellen zu kommen, jetzt durch die Verwicklung mit der amerikanischen Muttergesellschaft in Problemen sind, die sie nicht hätten, wenn sie nicht eine Mutter in Amerika hätten, sondern alleine in Deutschland wirtschaften können. Wir in der hessischen Landesregierung, und ich glaube auch alle Parteien und Fraktionen des hessischen Landtags, wollen gemeinsam mit der Bundesregierung und den anderen Ländern die Frage prüfen, wie und ob wir helfen können. Wir müssen in Hessen dort etwas schneller agieren, weil das noch zu Zeiten, in denen der Landtag nicht aufgelöst worden ist, zu vorbereitenden Beschlüssen kommen muss. Ich hoffe, dass wir alle Fragen lösen können, die mit dem Europa-Recht, die mit den sonstigen Aufgabenstellungen einer Bürgschaft zusammenhängen. Aber ich weiß, dass die Bundesregierung sehr engagiert an dieser Frage arbeitet, das gilt auch für meine Regierung und die Kollegen, so dass ich nicht ohne Optimismus bin, aber auch weiß, dass es eine sehr schwerwiegende Frage ist.

    Adler: Man wird sich sozusagen auf eine Lastenteilung einigen müssen. Der Bund übernimmt wahrscheinlich ja den größeren Teil, die vier Landesregierungen den kleineren?

    Koch: So wird das am Ende sein, so ist das aber bei vielen Rettungsaktionen der Vergangenheit auch gewesen. Ich glaube, man sollte ganz klar sagen: Bei allem, was da an Details besprochen wird, das ist nicht das Problem der Diskussion. Die Bundesregierung und die vier Landesregierungen werden am Ende selbstverständlich einen Weg der gemeinsamen Aktion finden. Die Hürden, die es für eine solche Maßnahme objektiv gibt, haben auch mit der Mitwirkung des Unternehmens ausgeräumt werden können. Wir sind in Deutschland nicht dafür da, Geld bereitzustellen, das Amerika in unangemessener Weise uns vorenthalten würde. Wir sind auch nur in der Lage, Bürgschaften zu geben, wenn wir damit nach dem Europarecht nicht am Ende dem Unternehmen schaden. Also, da sind sehr wichtige Fragen zu klären. Aber ich will noch einmal sagen: Mein ganzes Bestreben ist, sicherzustellen, dass diese aus meiner Sicht sehr, sehr beachtliche Leistung, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Betrieb in den letzten Jahren erbracht haben mit großen Lohnverzichten, mit Arbeitsplatzabbau, mit dem Aufbau der modernsten Produktionswerke Europas, dass das jetzt nicht in einer Krise, die diese Unternehmen und Arbeitnehmer nicht verschuldet haben, kurzfristig kaputtgeht, obwohl mittel- und langfristig eine große und sehr erfolgreiche Perspektive für die Unternehmen besteht.

    Adler: Sie haben die USA schon angeschnitten. Dort ist es ja sehr umstritten, ob die Autoindustrie tatsächlich staatliche Hilfe erhält, nicht zuletzt deshalb, weil eben einigen Firmen wahrscheinlich gar nicht mehr zu helfen wäre. Unter ihnen wird immer auch General Motors genannt, das US-Mutterhaus von Opel, um die es ja geht. Was, wenn sich herausstellt, dass die Hilfe für Opel nicht nur nichts nützt, weil man womöglich schlechtem Geld gutes hinterher wirft?

    Koch: Genau diese Fragen diskutieren wir ja im Augenblick, deshalb ist es ja auch keine einfache Entscheidung. Es geht um sehr viel Geld, da muss man sehr verantwortungsvoll mit umgehen, auch wenn man sagen muss: In Hessen ist der Ausfall aus Bürgschaften, die wir erteilen, unterhalb von zwei Prozent der insgesamt ausgegebenen Mittel, so dass wir eine sehr solide Prüfung für unsere Bürgschaften haben, und das werden wir auch in Zukunft nicht aufgeben. Und das gilt sicher für den Bund auch. Nur – man muss auch sehen: Das Unternehmen ist in Europa eigentlich ganz gut aufgestellt. Das, was an neuen Modellen jetzt bei Opel herauskommt, hat eine Chance, sich gut zu verkaufen. Es sind die modernsten Produktionswerke. Wir haben eine technische Planung für die ganze Welt, da sind wir Weltspitze. Das heißt, der europäische Teil ist gesund und der darf nicht deshalb kaputtgehen mit all den Folgen für die Arbeitsplätze, weil der amerikanische Teil nicht mehr gesund ist. Und das muss auch unser europäisches und deutsches Interesse sein.

    Adler: Herr Koch, können Sie eine Größenordnung nennen? Was würde auf wen eigentlich ganz genau zukommen an Summen, wenn man tatsächlich Opel hilft?

    Koch: Das ist eine sehr komplizierte Frage, weil natürlich Opel zunächst dann darlegen muss, was wirklich der Bedarf ist. Trotzdem, die Sprache ist an dieser Stelle immer von rund einer Milliarde Euro. Sie haben vorhin zu Recht gesagt, natürlich wird den größeren Teil davon der Bund übernehmen müssen, keines der Länder kann eine solche Belastung tragen. Und dann wird, ob das ein Drittel ist oder ein bisschen mehr als ein Drittel, unter den vier Bundesländern aufgeteilt. Da wird Hessen einen größeren Teil übernehmen als die anderen Länder, weil deutlich mehr Arbeitnehmer bei uns in Hessen beschäftigt sind – in der Hauptverwaltung, in der großen technischen Entwicklungsabteilung, als dass bei unseren Kollegen in Thüringen oder Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz der Fall ist. Und das kann man sozusagen mit Händen greifen. Das wird sicher keine 300 oder 400 Millionen Euro Bürgschaft aus der Sicht des Landes Hessen sein, sondern es wird eine sein, die darunter liegt. Aber es wird auch sicher mehr als 100 Millionen sein. Und weiter möchte ich es eigentlich auch nicht eingrenzen, weil das im Augenblick nicht so ganz die spannendste Frage ist. Über die werden wir uns verständigen. Da bin ich auch sicher, dass der hessische Landtag dem zustimmt. Die Frage ist: Geht es im Prinzip? Und da werden wir am Ende nicht anders entscheiden in Hessen, als die Bundesregierung das tut.

    Adler: Mal angenommen, es ginge: Was wäre das eigentlich für Geld, was muss sich der Steuerzahler vorstellen? Aus welchem Topf wird so etwas bereit gestellt?

    Koch: Das ist eine sehr wichtige Frage, für die ich dankbar bin. Es wird eigentlich aus gar keinem Topf zunächst einmal bereit gestellt. Es ist kein Geld, es ist eine Bürgschaft, dass am Ende Geld gezahlt würde, wenn einmal der Kredit, den auf dem ganz normalen Geldmarkt die Opel GmbH aufnimmt, von ihr nicht zurückgezahlt würde. Wir sind derjenige, der im Notfall eintritt. Aber im aktuellen Fall fließt gar kein Geld, sondern wir bekommen eine geringe Gebühr von Opel dafür, dass wir eine solche Bürgschaft abgeben. Zunächst einmal ist es für den Steuerzahler überhaupt kein Problem. Nur, natürlich ist es blauäugig zu sagen, Bürgschaften sind nie ein Risiko, denn es kann auch passieren, dass ein Unternehmenskonzept scheitert, dass eine Krise zu lang ist und dass dann tatsächlich der Ausfall da ist. Und dann wäre es ganz normales Geld aus dem Landeshaushalt des Bundeslandes Hessen oder aus dem Bundeshaushalt und damit ganz schlicht Steuergeld.

    Adler: Roland Koch im Interview der Woche. Die Politik, Herr Koch, hilft, Unternehmen vor dem Untergang zu retten. Zwingt also jetzt die Krise, alte Grundsätze über Bord zu werfen?

    Koch: Nein, ich glaube nicht, dass die Krise zwingt, alte Grundsätze über Bord zu werfen. Sie ist gelegentlich eine Herausforderung, aufzupassen, dass man alte Grundsätze nicht über Bord wirft. Der Staat ist nicht klüger als die private Wirtschaft. Wenn staatliche Organisationsformen anfangen, solche Projekte zu machen, dann sind sie in aller Regel erfolglos, wie wir das in der ganzen Welt sehen. Man muss den Rahmen schaffen. Aber soziale Marktwirtschaft bedeutet auch, nicht zu ignorieren, dass die Menschen in der Gesellschaft ein Anrecht darauf haben, dass, wenn sie unverschuldet in eine Notsituation – auch in der Wirtschaft – kommen, dass wir prüfen: Ist da eine Chance, das zu retten? Und wenn es zu retten ist, sind wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, ihren Familien und allen verpflichtet, eine solche Rettung nicht zu verweigern.

    Adler: Muss man annehmen, dass dieses Thema jetzt den Wahlkampf beherrscht?

    Koch: Ich glaube, dass der Wahlkampf sehr wirtschaftspolitisch geprägt sein wird, weil sehr, sehr viele Menschen Sorge haben. Wenn Sie unser Bundesland jetzt nehmen, dann ist es schon natürlich bei vielen Familien an Weihnachten so, dass sie wissen, dass sie eine Beziehung zum Finanzplatz haben und unsicher sind, wie die Entwicklung weiter geht. Dort haben wir noch nicht so viele Entlassungen, wie das die Amerikaner oder die Londoner inzwischen erleben. Aber natürlich sind die Menschen belastet. Und wir sehen jetzt, dass, wenn auch nicht die ganze Konjunktur gleichzeitig zusammenbricht, aber jedenfalls in der Automobilindustrie - das bedeutet in Hessen etwa 1.600 Betriebe mit weit über 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern allein in den mittelständischen Unternehmen – dass die sagen: Was passiert mit unserer Branche? Und dass ein Wahlkampf, der in diesen Zeiten stattfindet, keinen Politiker und keinen anderen kalt lassen kann und deshalb um diese Fragen ganz wesentlich gerungen werden wird, das scheint mir nicht nur wahrscheinlich, sondern auch ganz in Ordnung und fast selbstverständlich.

    Adler: Der hessische Landtag wird sich kommenden Mittwoch auflösen, laut Gesetz muss 60 Tage danach gewählt werden, was aller Voraussicht nach der 18. Januar sein wird. Voriges Jahr um diese Zeit, Herr Koch, suchten Sie händeringend nach einem Wahlkampfthema. Dieses Jahr ist es auch ohne Ihr Zutun da. Wie wollen Sie denn gegen das Misstrauen in die soziale Marktwirtschaft ankämpfen, mit dem die Bundesbürger auf die Finanzkrise reagieren, und wie geht so etwas auf Landesebene?

    Koch: Zunächst denke ich, dass wichtig ist, dass der Staat mit seinen verschiedenen Institutionen durchaus auch mit dem, was die hessische Landesregierung gemeinsam mit der Bundesregierung in den letzten Wochen getan hat, demonstriert, dass wir nicht handlungsunfähig sind und die Maßnahmen, die wir bisher ergriffen haben, ja auch dazu geführt haben, dass die größte Schwierigkeit, die in der Krise einige Tage durchaus bestand, dass das deutsche Bankensystem dabei zusammenbricht, inzwischen bewältigt ist – ohne dass ich deshalb sage, dass wir am Ende der Krise sind. Dabei Vertrauen zu erwecken, dass die Handlungsfähigkeit des Staates, eine soziale Marktwirtschaft in ihren Rahmenbedingungen weiter zu garantieren, bleibt ganz sicher ein wichtiges Ziel. Dazu gehört handlungsfähige Politik mit klaren Grundsätzen – etwas, was ich gerne mit dem Wort "Stabilität" umschreibe. Und da sind Sie sozusagen mitten in dem, was wir sicher auch im hessischen Wahlkampf diskutieren werden, nämlich die Frage: Kann ein Land sich leisten, über längere Zeit so instabile Verhältnisse zu haben, wie wir das durch die versuchte Zusammenarbeit der linken Parteien in den letzten Monaten gesehen haben. Meine Antwort darauf ist nein, aber das letzte Wort hat der Wähler.

    Adler: Jetzt haben Sie schriftlich die Unterstützung eines Mannes zugesagt bekommen, nämlich des Chefs des Bankenverbandes, Klaus Peter Müller – eines Vertreters der Branche, die ja gerade verantwortlich gemacht wird nicht nur für die Finanzkrise, sondern auch für die Wirtschaftskrise. Wird Herr Müller mit seiner Unterstützung für Sie wirklich eine Hilfe sein oder eher eine Last?

    Koch: Also, Klaus Peter Müller und ich sind seit vielen Jahren miteinander bekannt, und ich glaube, dass wir nicht so etwas unter solchen Tagesgesichtspunkten sehen würden. Allerdings will ich auch hinzufügen: Ich gehöre nicht zu den Menschen, die uns in Deutschland raten, jetzt zu beschließen, dass alle Menschen, die für eine Bank arbeiten, deshalb per se Menschen sind, mit denen man nicht mehr sprechen kann. Und er hat als Vorsitzender der – wie das im englischen Wort heute heißt – Corporate-Governance-Kommission der Bundesregierung sehr daran mitgewirkt, dass es Standards an Managern gibt, denen er ganz bestimmt persönlich standhält.

    Adler: Die Finanzkrise führt ja dazu, dass die Banken immer noch sehr zurückhaltend sind bei der Vergabe von Krediten. Wenn man sich das Konjunkturprogramm beziehungsweise auch das Bankenrettungsprogramm der Bundesregierung anschaut: Ist ein richtiges Instrument das Konjunkturprogramm der Bundesregierung, über das sich ja die beiden Fraktionen der Koalition geradezu zerlegt haben in der zurückliegenden Woche – weil sie sagen, ein Anreiz von zwei Tankfüllungen in etwa kann kein wirkliches Konjunkturprogramm sein? Mit anderen Worten: Reicht Ihnen das Konjunkturprogramm der Bundesregierung aus, um tatsächlich die Folgen abzumindern, die die Wirtschaftskrise möglicherweise mit sich bringt?

    Koch: Es ist ja nicht die Frage der Kfz-Steuer und ihrer Befreiung, sondern es ist ein Programm, das zum Beispiel die Regelung enthält, dass Kurzarbeitergeld nicht für ein Jahr, sondern in Zukunft für zwei Jahre gezahlt wird – eine immens wichtige Botschaft gerade für die Unternehmen, die jetzt eine Durststrecke vor sich sehen und wissen, dass sie länger planen können. Die Bauindustrie, die in einer solchen Zeit in besondere Schwierigkeiten kommt, wird jetzt mit den Programmen, deren Erfolg wir kennen, weil wir sie in der Vergangenheit schon ausprobiert haben, angeregt – gerade im Bereich des Energiesparens, das, was wir also aus ökologischen Gründen wollen. Und man sollte vielleicht auch nicht vergessen: Wir machen jetzt wieder den alten Trick der degressiven Abschreibung. Das heißt, man kriegt schneller die Steuern zurück, wenn man jetzt eine Investition in ein Unternehmen macht, als ein Jahr später. Dann ist sie teurer. Das heißt, Unternehmen werden Investitionen vorziehen, das ist richtig. Und das Kfz-Programm ist ein Bestandteil davon, in dem wir hoffen, einen psychologischen Anreiz zu geben – einfach zu sagen: Wenn Du schon in den nächsten Jahren ein Auto kaufst, dann ist es jetzt etwas günstiger. Dass man damit das Auto subventioniert in grundsätzlichen Fragen – das ist nicht Aufgabe des Staates. Und deshalb müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, in denen die Banken wieder mutiger an dieser Stelle werden. Dazu gehört aber sicherlich die Maßnahme, den Banken zusätzliches Eigenkapital zu geben. Deshalb ist ja auch mit diesen Möglichkeiten des Gesetzes, das dort geschaffen worden ist, verbunden, dass man auf die Geschäftspolitik Einfluss nehmen kann. Aber noch viel wichtiger ist, dass Banken untereinander wieder Vertrauen finden. Das dauert länger, als es uns in der Politik gefällt. Die Banken deponieren über Nacht ihr Geld bei der Bundesbank in Hunderten von Milliarden-Größenordnung, aber sie geben es nicht untereinander. Diese Mauer der Probleme ist noch nicht durchbrochen. Es wird, glaube ich, im Augenblick besser. Aber ich denke, man muss auch die Verantwortung sehen, die die einzelnen Institute dafür haben, in Zukunft keine Verluste mehr zu machen. Das wollen wir auch – keine Kredite, die nicht nach Regeln funktionieren, die man in Zukunft verantworten kann. Der Markt entwickelt sich wieder, aber er war total zerstört. Und ich glaube, wir haben inzwischen die richtigen Instrumente gefunden, das behutsam wieder in die Normalität zurück zu entwickeln, die nicht nur eine deutsche ist, sondern eine internationale.

    Adler: Hessen macht ja nun den Auftakt für eine Reihe von Wahlen im nächsten Jahr, als da wären die Bundespräsidentenwahl, die Europawahl, Kommunalwahlen, drei Landtagswahlen – fast alle vor der Bundestagswahl. Roland Koch, alles schaut auf Sie, Sie dürfen sich keinen einzigen Fehler erlauben im Wahlkampf. Ist das ein Druck, den Sie aushalten?

    Koch: Darüber werden Sie sicher spätestens am 19. Januar einen Kommentar sprechen, aber ich kann dazu im Augenblick nichts beitragen als den Versuch, in meinem Beruf als Politiker – sowohl in einer Regierung als auch als Vorsitzender einer Partei – ordentliche Arbeit abzuliefern und den Bürgerinnen und Bürgern die Fragen zu stellen und die Antworten zu geben, die notwendig sind, um eine klare Entscheidung bei der kommenden Landtagswahl zu haben. Und ich bin nicht unoptimistisch, dass das gelingen kann.

    Adler: Ist es ausgemacht, dass Sie – Roland Koch – antreten für die CDU als Spitzenkandidat?

    Koch: Der Landesvorstand der hessischen CDU hat mich vorgeschlagen. Ich habe gesagt, dass ich bereit bin, das zu tun, und ich habe einen gewissen Verdacht, dass der Parteitag der hessischen CDU das auch beschließen wird.

    Adler: Würden Sie die Siegeschancen Ihrer Partei möglicherweise erhöhen, wenn Sie verzichteten?

    Koch: Ach, wissen Sie, es gibt so eine gewisse Grenze von Fragen. Da gibt es nur einen, der dazu wirklich nichts sagen kann – das bin ich. Sondern ich bin auch jemand, der in einer politischen Partei arbeitet, der in den letzten Jahren sicherlich vieles an programmatischen Themen, aber gerade auch vieles im Bereich der Wirtschaft mit initiiert hat, den die Bürger in diesem Land kennen und einschätzen können. Und wenn dann meine politischen Freunde der Auffassung sind, dass ich der Richtige bin, das zu repräsentieren, dann ist aus meiner Sicht das auch so, dass gerade in diesen Zeiten – Sie haben das ja nun umfänglich beschrieben, wie schwierig die sind – in diesen kritischen Zeiten jemand wie ich auch die Verpflichtung hat, zu sagen: Ja, wir ziehen das gemeinsam. Ich glaube, dass ich dazu was beitragen kann. Und dann hat zum Schluss wiederum der Wähler das Wort und nicht wir Politiker – und nicht einmal Sie, die Journalisten.

    Adler: Herr Koch, Sie haben gerade von Ihren politischen Freunden gesprochen. Ihre politischen Feinde sind sich einig in einem Punkt, nämlich im Wahlslogan, der in der vergangenen Kampagne lief: "Koch muss weg!" Dieser Wahlslogan gilt eigentlich unvermindert auch in dem nächsten, im kommenden Wahlkampf. Wie ist einem zumute, wenn sozusagen eine ganze Bewegung eine ganze Zeit lang immer mit einem solchen sehr, sehr unschönen – jedenfalls wahrscheinlich persönlich für Sie – einem unschönen Satz funktionieren soll?

    Koch: Also, ich denke, dass diejenigen, die wie ich bereit sind, Führungsaufgaben in der Politik zu übernehmen, wissen müssen, dass das oft keine ganz einfache Auseinandersetzung ist. Ich finde, wenn Sie das so schildern, wir haben in den letzten Monaten viel über die Frage nachdenken müssen und nachdenken können, was haben wir eigentlich aus dem letzten Wahlergebnis gelernt. Ich sage sehr offen, dass einiges heute auch aus meiner Sicht anders ist, als es sich im letzten Wahlkampf dargestellt hat und ich daraus Konsequenzen gezogen habe. Und ich sehe mit einem gewissen Interesse, dass meine Konkurrenten – übrigens nicht meine Feinde, aber meine Konkurrenten – in einer Situation sind, dass sie glauben, so tun zu müssen, als hätten sie gar nichts dazu gelernt. Das wird der Wähler auch beobachten. Und dann werden wir sehen, wie er darüber entscheidet.

    Adler: Nun ist es ja so, dass gerade der Wahlkampf dazu genutzt wird, dem Gegner beziehungsweise dem Herausforderer, wie wir das ja auch ein bisschen unverfänglicher beschreiben können, ständig seine vergangenen Fehler unter die Nase zu reiben. Und der nächste Wahlkampf wird nicht anders werden. Der Grüne Jürgen Trittin hat ja schon mal vorsorglich ausgeschlossen, dass die Grünen mit der CDU eine Koalition eingehen können, eben gerade wegen ihres – wie er sagt – im Kern rassistischen Wahlkampfs, den Sie angeblich jetzt das zweite Mal geführt haben. Wie geht es Ihnen dabei eigentlich? Nehmen Sie es Andrea Ypsilanti übel, dass sie Ihnen jetzt einen neuen Wahlkampf so früh eingebrockt hat, dass noch nicht mal über den alten Gras wachsen konnte?

    Koch: Also, ich muss ehrlich sagen, ich bin außerordentlich dankbar, als hessischer Bürger und auch als Ministerpräsident, dass das zu einem Zeitpunkt zu einem Ende gekommen ist, in dem man es dem Bürger noch zumuten kann. Ich habe immer gesagt, es gibt gewisse Grenzen, in denen ein Parlament sozusagen seine Wege aussuchen kann. Und wenn es das dann nicht schafft, und das ist ja nun deutlich geworden, dass es das nicht schafft, dann hat der Wähler das Wort. Daran kann ich nichts Negatives finden, und es gibt vieles, was ich möglicherweise Andrea Ypsilanti übel nehmen kann, aber das nun wirklich bei allem Respekt nicht. Dass die heftige Auseinandersetzung stattfindet, das ist doch normal. Und ich werde im Wahlkampf, denke ich, dafür sorgen, dass diese ganzen personalpolitischen Dinge nicht so sehr im Vordergrund stehen, sondern dass wir über die Sachen reden. Wir haben ja eine unglaublich günstige Situation, weil wir nicht behaupten müssen, was eine Regierung aus SPD und Grünen und Linken machen würde, sondern dass sie einen Vertrag miteinander verabredet haben, was sie gerne machen würden. Wir können über Infrastruktur, über Flughafen, aber auch über Fragen der Bildungspolitik miteinander streiten auf einer guten Basis. Und wenn dann einige meinen, sie müssten sich nur an Personen abarbeiten, sollen sie das tun. Ich werde es nicht machen.

    Adler: Sie haben gerade gesagt, Sie sind ihr regelrecht dankbar, zumindest für diesen Punkt. Spielen Sie denn möglicherweise auch mit dem Gedanken, den vier Abweichlern aus der SPD eine neue politische Heimat anzubieten?

    Koch: Ich spiele nicht mit dem Gedanken und gebe zu, ich finde die Frage in gewissen Elementen unfair, weil es ja immer bedeutet, dass man diese Gewissensentscheidung der Abgeordneten nicht ernst nimmt. Die vier Abgeordneten haben in aller Deutlichkeit gesagt, sie sind Sozialdemokraten. Sie wollen auch nichts anderes sein als Sozialdemokraten. Sie sind auch nicht meine Unterstützer, sondern sie wollten durchaus, dass ich dieses Amt nicht innehabe. Also, das ist keine Freundschaftsverbindung, sondern es ist eine Debatte, ob eine große demokratische Volkspartei mit der Nachfolgeorganisation der SED gemeinsame Sache machen würde. Um diese Gewissensentscheidung ging es. Die haben sie getroffen und sind deshalb bedauerlicherweise – weil wir sind für jeden dankbar, der von uns überzeugt wird – aber nicht zur CDU geworden, sondern sie sind selbstständige politische Menschen, vor denen ich größten Respekt habe unter dem Gesichtspunkt, dass ich so viele in der Bundesrepublik Deutschland nun auch nicht kennengelernt habe, die bereit sind, aus einer grundsätzlichen Überlegung ihre berufliche und wirtschaftliche Existenz aufs Spiel zu setzen oder, noch deutlicher gesagt, aufzugeben.

    Adler: Herr Koch, über die Rolle der Grünen in dieser ganzen Geschichte ist relativ wenig gesprochen worden. Tarek Al-Wazir, der grüne Spitzenkandidat, hatte keine Gewissensbisse wegen einer Duldung durch die Linkspartei. Kriegen Sie dann möglicherweise Gewissensbisse, wenn es heißt nach dem 19. oder von mir aus nach dem 18. Januar, wenn man Koalitionsüberlegungen anstellt. Kriegen Sie dann Gewissensbisse, mit diesen Grünen zusammen zu gehen?

    Koch: Also, zunächst einmal, mein Ziel ist, eine bürgerliche Mehrheit in Hessen zu bekommen aus CDU und FDP. Und darum werde ich mich in der Landtagswahl kümmern und habe auch einen erheblichen Optimismus, dass das gelingen kann, ohne dass man sagen dürfte, wir sind jetzt da sicher. Aber optimistisch dürfen wir schon sein. Und die zweite Frage: Ich habe in diesem Jahr nicht nur mehrfach mit den Grünen gesprochen, sondern auf einem Landesparteitag der CDU gesagt, dass eine Zusammenarbeit mit dieser Partei nicht prinzipiell ausgeschlossen werden kann und wir verhandeln würden. Da habe ich nicht die Absicht, das an irgendeiner Stelle zurückzunehmen, auch wenn ich glaube, dass es im Januar nicht bedeutsam sein wird, denn es wird eine andere politische Konstellation geben. Aber er Spagat zu den Grünen ist immer noch weit, und ich hoffe, dass wir eine klarere Entscheidung im Interesse der Bürger Hessens bekommen, Regierung ohne großen Spagat, sondern eine Regierung, die die Infrastruktur ausbaut, die die Flughäfen schaffen kann, die eine vernünftige Wirtschaftspolitik in einer krisenhaften Zeit macht.

    Adler: Die linke Mehrheit im hessischen Landtag hat es nicht vermocht, tatsächlich eine Koalition auf die Beine zu stellen, eine Regierung zu bilden, aber sie hat es geschafft, die Studiengebühren abzuschaffen. Das ist natürlich ein Punkt, der im Wahlkampf mit Sicherheit eine Rolle spielen wird. Wie werden Sie sich verhalten? Bleibt es dabei, Studiengebühren abgeschafft, oder kommt die Wiedereinführung über das Votum der Hochschulrektoren, wie das die FDP ja vorschlägt?

    Koch: Ich glaube, dass es im Wahlkampf keine große Rolle mehr spielen wird. Die CDU hat eine klare Position. Wir respektieren, dass das ein wichtiger Punkt der letzten Landtagswahlentscheidung war. Wir haben nicht die Absicht, die Bürger in ein Wechselbad zu schicken, der eine hebt es ein Jahr auf, der nächste beschließt es ein Jahr wieder, sondern alle haben gewusst, was sie da bei der Landtagswahl tun. Und deshalb ist das aus meiner Sicht im Augenblick kein sehr spannendes Thema.

    Adler: Ich möchte gerne noch einmal zurück auf die Bundespolitik kommen. Teil eines innerkoalitionären Streits und sogar eines innerfraktionellen Streits ist die Erbschaftssteuer. Wenn man anguckt – dieser schwer errungene Kompromiss wird nun von der CSU teilweise wieder in Frage gestellt, es soll Nachbesserungen geben. Die FDP will das sowieso, ist überhaupt nicht einverstanden mit der Erbschaftssteuer. Wie ist das in Hessen? Der Bundesrat – die Länder müssen über die Erbschaftssteuer abstimmen, wie werden Sie sich in der Länderkammer verhalten? Dank der Durchsetzungsfähigkeit der Seehoferschen CSU ist ja weniger an Einnahmen zu erwarten bei der Erbschaftssteuer als Sie das vielleicht möglicherweise bei Ihren Mitverhandlungsversuchen anvisiert haben ...

    Koch: Der Weg der Erbschaftssteuer war aus verschiedenen Gründen ein schwieriger. Der Kompromiss, der jetzt gefunden worden ist, ist aus meiner Sicht gut vertretbar. Und ich würde dem hessischen Kabinett auch vorschlagen, dem Gesetz, wenn es denn so vom deutschen Bundestag beschlossen wird, auch anschließend zuzustimmen. Und jetzt werden wir sehen, was der Deutsche Bundestag macht. Wenn der Deutsche Bundestag das beschließt, das will ich logischerweise erst sehen, wie bei jedem anderen Gesetz auch, denn wir wollen keine theoretischen Debatten führen, aber wenn es so bleibt, wie es jetzt verabredet ist, muss weder ich noch irgend ein anderer Bürger mit jedem Detail einverstanden sein. Aber mir ist sehr wichtig, dass es weiterhin eine Erbschaftssteuer gibt und wir nicht im Januar eine Debatte haben, dass Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer gleichzeitig weggefallen sind und wir eine neue Herausforderung für das Thema der sozialen Balance damit bekommen. Das will ich nicht. Aus meiner Sicht gehört eine solche Besteuerung von großen Vermögen auch zum sozialen Ausgleich in unserem Land. Und nachdem wir so lange gerungen haben, ist es jetzt gut, es zu beschließen.

    Adler: Eine letzte Frage, Herr Koch. Wo steht Hessen, wo steht die Bundesregierung in einem Jahr? In welcher Konstellation?

    Koch: Na ja, ich will mich jetzt nicht als Wahrsager betätigen, sondern ich kann Ihnen nur Hoffnungen sagen. Und ich glaube, dass die Große Koalition wichtige Projekte abgewickelt hat. Darauf kann sie auch durchaus stolz sein. Aber alles, was wir gemeinsam machen konnten, haben wir damals in den Koalitionsvertrag geschrieben. Deshalb ist der nicht schlecht und die Leistung nicht schlecht, aber er reicht nicht für weitere vier Jahre. Und deshalb erwarte ich eine durchaus heftige Auseinandersetzung über eine Weiterentwicklung der politischen Richtung. Und ich erhoffe mir das Gleiche, was ich mir für Hessen erhoffe, nämlich eine Chance, dass CDU und FDP gemeinsam eine Mehrheit auch in Deutschland haben werden.

    Adler: Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.