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"Ich glaube, dass wir die Stabilisierung erreichen werden"

Europaparlamentarier Alexander Graf Lambsdorff (FDP) warnte, vom Beginn einer Spaltung Europas zu sprechen. Man befinde sich vielmehr in den Anfängen einer notwendigen Konsolidierungsphase.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Gerd Breker | 09.12.2011
    Gerd Breker: Die Bewertung ist nicht so einfach. Die eine Agentur legt den Schwerpunkt aufs Scheitern, die andere zieht den Begriff Einigung in den Vordergrund. Ist der EU-Gipfel wirklich ein Erfolg? – Es ist laut EU-Kommissar Oettinger eine gute zweitbeste Lösung. Das Europa der zwei Geschwindigkeiten ist da. Die Euro-Zone jedenfalls ist einer Fiskalunion einen Schritt näher gekommen. Auf ihrem Krisengipfel haben sich die 17 Euro-Staaten zusammen mit sechs Nicht-Euro-Staaten der EU auf einen Vertrag geeinigt, der künftig verschärfte Spar- und Kontrollauflagen für eben diese Unterzeichner vorsieht.
    Am Telefon begrüße ich nun Alexander Graf Lambsdorff, erster stellvertretender Vorsitzender der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa und Europaparlamentarier. Guten Tag, Herr Lambsdorff.

    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Nun ist es also amtlich: Wir haben ein Europa mit zwei Geschwindigkeiten. Ist das die Lösung der Krise, ist damit der Euro gerettet?

    Lambsdorff: Also ich glaube, dass das, was inhaltlich erreicht worden ist – und das hat Herr Finthammer ja eben genau richtig gesagt -, das liegt voll auf der Linie der Bundesregierung. Damit sind wirklich wichtige Schritte nach vorne gegangen worden. Das ist ein Wandel in der politischen Kultur in Europa, dass man wirklich jetzt auf Solidität setzt in den öffentlichen Finanzen, dass man Maßnahmen gegen Verschuldung trifft, sowohl auf dem jeweils nationalen, als auch auf dem europäischen Level. Das sind wirklich Erfolge, die da erzielt worden sind, im Inhaltlichen.
    Was das Strukturelle angeht, also die Frage Europa der zwei Geschwindigkeiten, hier muss man ganz klar sagen, dass die Rolle Großbritanniens sich dramatisch verschärft hat in dieser Sonderposition, die das Land einnimmt, und man hier neu nachdenken muss, wie das Land seine Beziehung zum Rest der Europäischen Union definiert.

    Breker: Ergebnisoffen nachdenken muss? Also könnte gut sein, dass Großbritannien bald raus aus der EU geht?

    Lambsdorff: Na ja, Länder gehen in Europa nicht einfach raus. Die Briten werden nicht von sich aus erklären, sie verließen die Europäischen Union. Sie haben ja eine sehr komfortable Position: Sie können bei allen Dingen mit entscheiden, oder alles aufhalten einerseits, aber bei den wichtigen großen Politikfeldern haben sie dann "Opt-Out"-Lösungen für sich gewählt. Das heißt, das werden die von selbst nicht aufgeben. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass die anderen Europäer sich darüber klar werden, wie sie die Beziehungen mit Großbritannien gestalten wollen. Dass das eine freundschaftliche enge Beziehung bleiben wird, ist auch vollkommen klar. So was wie mit Norwegen, oder mit der Schweiz im europäischen Wirtschaftsraum – da haben wir das auch -, das ist ja durchaus möglich.

    Breker: Wir haben ja jetzt, Herr Lambsdorff, eigentlich wirklich zwei unterschiedliche Vertragsunionen: Einmal die 17 plus, die einen Vertrag haben, und wir haben den Vertrag von Lissabon. Inwieweit sind die europäischen Institutionen, also Kommission und Parlament, da noch mit einbezogen?

    Lambsdorff: Das ist eine ganz wichtige Frage in der Tat. Ich glaube, es geht um Folgendes: Das was die 17 plus jetzt beschließen wollen, muss sich ja natürlich ans Gemeinschaftsrecht anfügen, denn es ist ja nicht wie bei Schengen – der Vergleich hinkt an der Stelle -, dass hier ein Rechtsgebiet bearbeitet werden würde, auf dem es noch keine europäischen Zuständigkeiten gäbe. Es gibt ja den Euro, es gibt die ganzen Regeln für den Euro im Gemeinschaftsrecht. Der Pakt der 17 plus muss sich an dieses Recht andocken und die Gemeinschaftsinstitutionen behalten ihre Rolle bei der Überwachung der Stabilität in der Euro-Zone. Das gilt insbesondere für die Europäische Kommission.
    Sollte David Cameron allerdings seine Drohung wahr machen, den Versuch zu unternehmen, das zu verhindern, dass also Kommission, Parlament, übrigens dann auch das Ratssekretariat eine Rolle dabei haben, dann würde das die britische Frage nur noch verschärfen.

    Breker: Herr Lambsdorff, wir haben jetzt ein Europa mit zwei Geschwindigkeiten. Ist das nicht möglicherweise der Beginn eines Zerfalls? Wenn wir zwei Geschwindigkeiten zulassen, warum nicht drei oder vier?

    Lambsdorff: Na ja, in Einzelfällen haben wir sowieso schon unterschiedliche Geschwindigkeiten gehabt, mit sogenannten "Opt-Outs" oder "Opt-Ins". Dänemark zum Beispiel macht jetzt bei 17 plus mit, hat aber den Euro noch gar nicht. Dänemark hat auch ein "Opt-Out" bei der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das ist ein bisschen flexibel. Ich glaube, das Entscheidende ist, dass dieser Einstieg vielleicht in eine differenzierte Integration längerfristig gar nicht als Beginn einer Spaltung, sondern Beginn einer Konsolidierung gesehen wird, wo die Kontinentaleuropäer sich zusammenspannen und ihrer Rolle in der Globalisierung gerecht werden, während einige andere Länder da entweder länger brauchen, oder vielleicht wirklich gar nicht mehr mitmachen wollen.

    Breker: Eine Schuldenbremse in die Verfassung und diese Vertragsunterzeichnung der 17 plus, das muss ja alles noch durch die nationalen Parlamente. Das ist eine Absichtserklärung, das dauert doch Zeit!

    Lambsdorff: Na ja, wenn der Vertrag wie vorgesehen bis März mit all den Maßnahmen, die hier in den Schlussfolgerungen aufgeführt sind, abgeschlossen ist, dann sind die jeweiligen nationalen Ratifizierungsverfahren – parlamentarisch sind sie ja alle, da wird es keine Volksabstimmungen geben müssen – relativ schnell zu bewältigen. Also ich denke, dass wir vor der Sommerpause Rechtskraft haben. Es gibt ja auch einige Bestimmungen darin, die wirklich wichtig und sinnvoll sind, zum Beispiel, dass man abweicht von der Einstimmigkeit im europäischen Stabilisierungsmechanismus und das jetzt mit 85 Prozent gestalten will. Also das sind alles gute Maßnahmen, wie gesagt: Die Linie der Bundesregierung hat sich da durchgesetzt, glücklicherweise, zusammen mit den Franzosen und den anderen. Und wenn das vor der Sommerpause rechtskräftig wird, dann, glaube ich, ist das ein wichtiger Schritt nach vorne.

    Breker: Aber damit ist Europa, zumindest Euro-Europa, nun in der Tat eine Haftungsgemeinschaft und die Eurobonds, die angeblich in ferner Zukunft liegen, die rücken näher?

    Lambsdorff: Das gibt meine Lektüre der Ratsschlussfolgerungen nicht her, Herr Breker. Die Vergemeinschaftung von Schulden kommt in den Schlussfolgerungen nicht vor, sie ist von Bundeskanzlerin Merkel abgelehnt worden, von Präsident Sarkozy, von der FDP – das wissen Sie sehr genau – wird sie ohnehin strikt abgelehnt. Also insofern glaube ich, dass die Linie der Bundesregierung sich auch darin insoweit wiederfindet, dass eben von einer Vergemeinschaftung hier nicht die Rede ist.

    Breker: In den Augen der Bürger hierzulande hat die Euro-Krise zu einem Image-Verlust von Europa geführt und es wird wohl eine Menge Zeit dauern, bevor die Worte Europa und Krise wieder deutlich voneinander getrennt werden. Wie sehen Sie denn dieses?

    Lambsdorff: Europa ist mehr als die Europäische Union, das muss man wissen. Ich glaube, die Hörerinnen und Hörer wissen das auch, wenn man in Urlaub fährt, oder wenn man in anderen europäischen Ländern studiert oder arbeitet. Europa ist mehr als die EU, aber ohne die EU haben wir dieses große freiheitliche marktwirtschaftliche Europa nicht, und deswegen brauchen wir die Europäische Union. Und natürlich ist sie dazu da, Krisen zu bewältigen, so wie wir sie jetzt gerade haben. Wir hatten am Anfang schlicht die Instrumente nicht. Als Griechenland nach Brüssel kam und erklärte, man sei vollständig am Ende mit seinen öffentlichen Finanzen, da stand der 125 im Vertrag, No-Bail-out, also keine Hilfe für ein Land in Schwierigkeiten. Das war absichtlich so gemacht, man wollte dieses Instrumentarium vor zehn Jahren nicht schaffen. Man musste deswegen jetzt improvisieren, also hat die EU einen Krisenbewältigungs-Job gehabt, der so ursprünglich nicht vorgesehen war. Das ist schwierig, das ist richtig, aber man sollte nicht vergessen, dass die EU das im Großen und Ganzen vernünftig macht. Das hat jetzt 18 Monate gedauert, aber ich glaube, dass wir die Stabilisierung erreichen werden. Jedenfalls auf Grundlage dessen, was hier gestern Nacht beschlossen ist, bin ich da ganz optimistisch.

    Breker: Zu den Krisengipfel-Ergebnissen von Brüssel war das im Deutschlandfunk Alexander Graf Lambsdorff. Herr Lambsdorff, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Lambsdorff: Danke Ihnen, Herr Breker.

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