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"Ich glaube nicht, dass die Franzosen ein deutsches Modell brauchen"

Für den Chefredakteur der Zeitschrift "Documents", Gérard Foussier, war das Fernsehinterview von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy eine Art Wahlkampfveranstaltung, doch: Für Sarkozy, der sich am 22. April zur Wiederwahl stellt, könne dessen Deutschlandbegeisterung nach hinten losgehen.

Das Gespräch führte Peter Kapern | 07.02.2012
    Peter Kapern: Das könnte ein echtes Spektakel werden. Mal sehen, wie sie das hinbekommt, unsere Bundeskanzlerin. Sie will Nicolas Sarkozy im französischen Präsidentschaftswahlkampf unterstützen. Aber eben nicht als Bundeskanzlerin, sondern als CDU-Vorsitzende. Wir sind gespannt, wie Angela Merkel diese politische Persönlichkeitsspaltung in den kommenden Wochen inszenieren wird. Gestern erlebten wir den Auftakt des gemeinsamen Wahlkampfs mit einer Pressekonferenz am Mittag und einem gemeinsamen Fernseh-Interview, das am Abend sowohl in Frankreich als auch in Deutschland ausgestrahlt wurde. Da klappte das Spiel mit der doppelten Angela noch nicht so richtig; gleich zu Beginn des Interviews stellte sie nämlich klar, dass sie das Interview in ihrer Eigenschaft als Kanzlerin gebe, um kurz danach zu erläutern, warum sie für Sarkozy in den Wahlkampf zieht. – Was von dieser grenzüberschreitenden Wahlkampfallianz insgesamt zu halten ist, das besprechen wir jetzt mit Gérard Foussier, dem Chefredakteur von "Documents", der Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog, der zu mir ins Studio gekommen ist. Guten Tag, Herr Foussier.

    Gérard Foussier: Ja, guten Tag.

    Kapern: Herr Foussier, fangen wir doch mal an mit dem Interview. Sie gehören zu den mutmaßlich wenigen, die beide Fassungen gesehen haben, sowohl die deutsche Ausstrahlung als auch die französische, und Ihnen sind Unterschiede aufgefallen.

    Foussier: Ja, wesentliche Unterschiede. Man hatte den Eindruck, obwohl beide gesagt haben, dass sie noch nicht am Wahlkampf teilnehmen, dass die jeweils nur für ihr eigenes Publikum gesprochen haben. Es gibt viele Anspielungen, sowohl von Sarkozy als auch von Merkel, die nur für jeweils das deutsche beziehungsweise das französische Publikum vorgesehen waren. Und was mich gestört hat eigentlich, dass die Franzosen eine wesentlich längere Fassung gesendet haben und vor allem ganz andere Auszüge aus diesem Gespräch, und das wirkt natürlich. Gut: Wie viele Leute das festgestellt haben, lasse ich erst mal so stehen, aber wenn das auch bekannt wird, dann wirkt das Ganze, ich würde fast sagen, Spektakel nicht mehr glaubwürdig. Dann ist es wirklich Wahlkampf und es wäre ehrlicher und glaubwürdiger, wenn beide gesagt hätten, ich bin die Kanzlerin und ich bin nicht nur Kanzlerin, sondern auch potenzielle Kandidatin für die Bundestagswahl 2013, und ich bin der Präsident, aber auch der Kandidat für die nächsten Wahlen im April.

    Kapern: Wenn die französische Version deutlich länger war als die deutsche, was haben die Franzosen erfahren, was den Deutschen vorenthalten wurde?

    Foussier: Ich glaube – das ist nur meine Vermutung -, Sarkozy wollte auf jeden Fall durch Anspielungen - es ist auch nicht klar ausgedrückt worden -, den Franzosen sagen, hört auf mit der sogenannten Germanophobie. Es gab einige Sprüche vonseiten der Sozialisten, wonach die Deutschen doch nicht alles gut machen, dass das angebliche deutsche Modell gar kein Modell sei, und dann möchte Sarkozy zu den Leuten sagen, es ist nicht ein Modell, wir gucken schon, was die Deutschen machen, was die für Ergebnisse haben, und das wäre natürlich ein Ziel für unsere Politik, auch so was zu erreichen, aber was die Deutschen erreicht haben ist nicht das, was wir auch den Franzosen zumuten wollen, jetzt im Wahlkampf und nach einem erfolgreichen Wahlkampf. Es gibt Anspielungen zum Beispiel, ich finde es völlig überflüssig, dass ein französischer Präsident heute, fast 50 Jahre nach Unterzeichnung des Élysée-Vertrages, immer noch darauf hinweist, dass wir auch keinen Krieg haben wollen. Das weiß aber jedes Kind in Frankreich und in Deutschland. Und man braucht auch nicht im Wahlkampf zu sagen, seid bitte brav, liebe Wähler, sonst haben wir wieder Krieg zwischen Deutschland und Frankreich, und das ist nicht das, was die Leute wünschen.

    Kapern: Wenn Sie sagen, dass Nicolas Sarkozy die Botschaft rüberbringen wollte, die Germanophobie in Frankreich sei unbegründet, wie stark ist diese Germanophobie?

    Foussier: Also ich würde eigentlich nicht - Es ist zwar in der Presse immer von Germanophobie die Rede, von bestimmten Leuten. Wenn man natürlich die Annäherung, die deutsch-französische Annäherung auch mit München vergleicht, also es gibt da wirklich Sachen, die sollte man auch heute, 2012, nicht mehr sagen im deutsch-französischen Zusammenhang.

    Kapern: Aber Sarkozy wird ja beispielsweise auch "Deutschenbesoffenheit" vorgeworfen. Das ist eines der Schlagwörter in der französischen Presse zurzeit.

    Foussier: Genau. Das ist schon zu viel des Guten. Irgendwann kann man sagen, schön und gut, aber wir können nicht, weil er so positiv über Deutschland spricht, muss die Opposition fast sagen, ja Moment, wir müssen das relativieren, und dann wird das, was die Opposition sagt, zur Germanophobie gemacht. Interessant war auch in den Sätzen, die Sarkozy gesprochen hat, die nicht in Deutschland gesendet wurden, die Anspielung auf die 35-Stunden-Woche. Das ist natürlich nicht für das deutsche Publikum, aber ganz klar und deutlich: Wir können die deutschen Ergebnisse vielleicht besser erreichen, wenn wir eben nicht diese Entscheidung fortsetzen der damaligen sozialistischen Regierung, die 35-Stunden-Woche. Alle diese Anspielungen sind nicht direkt und nicht klar und deutlich ausgesprochen worden, aber von jedem Franzosen sicherlich verstanden worden.

    Kapern: Noch mal zurück zu den Schlagworten Deutschenbesoffenheit oder Germanophobie. Wenn jetzt Angela Merkel für Nicolas Sarkozy in den Wahlkampf zieht, könnte das für Nicolas Sarkozy nach hinten losgehen?

    Foussier: Das ist eigentlich die Befürchtung. Ich habe nicht nur die Äußerungen von gestern Abend gesehen, sowohl im französischen als auch im deutschen Fernsehen gesehen, ich habe auch die lange Sendung von letzter Woche mit Sarkozy, das lange Interview, gehört. Ich weiß nicht, wie oft er das Wort Deutschland benutzt hat, und ich weiß nicht, wie oft die Presse, sprich auch das Fernsehen – und das kann man natürlich im Fernsehen und im Hörfunk viel schöner machen, indem man die Stellen rausschneidet und zusammenklebt, um immer wieder zu hören, Deutschland, Deutschland, Deutschland. Irgendwann ist es schon zu viel des Guten, und ich glaube nicht, dass die Franzosen ein deutsches Modell brauchen. Es sind zwei verschiedene Gesellschaften, zwei politische Systeme, zwei verschiedene Mentalitäten, zwei verschiedene Situationen, die man nicht immer vergleichen sollte. Wir sind unterschiedlich zwischen Frankreich und Deutschland, und das sollte eigentlich so bleiben.

    Kapern: Gérard Foussier, der Chefredakteur von "Documents", der Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog. Herr Foussier, danke für den Abstecher in unser Studio heute Morgen. Schönen Tag noch.

    Foussier: Danke schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.