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"Ich gucke lieber nach Zahlen, Daten und Fakten"

Otto Fricke, FDP Finanz- und Haushaltsexperte, ist traurig, dass er seinen bisherigen Posten als Haushaltsausschuss-Vorsitzender aufgeben muss. Die Koalitionsverhandlungen mit der Union empfand der Bundestagsabgeordnete als zäher als erwartet.

Otto Fricke im Gespräch mit Sabine Adler | 25.10.2009
    Sabine Adler: Herr Fricke, es ist vollbracht, der Koalitionsvertrag steht, die Fraktion hat ihn verabschiedet – die Fraktionen sogar, die Unionsfraktion ja auch. Heute und morgen wird er noch auf den Parteitagen vorgestellt. Am Dienstag dann konstituiert sich der neue, der 17. Bundestag und am Mittwoch wird die Regierung vereidigt. Sie haben in den Koalitionsverhandlungen der Arbeitsgruppe "Finanzen" angehört, die immerhin den größten Brocken zu bewältigen hatte. Wie groß ist Ihr Schlafdefizit?

    Otto Fricke: Also, für einen noch relativ jungen Familienvater geht es. Ich habe den großen Vorteil, dass ich mit relativ wenig Schlaf auskomme, deswegen kann ich sagen: Es ging. Und man hat immer mal eine Viertelstunde gehabt, um irgendwo auf dem Tisch den Kopf abzulegen.

    Adler: Waren Sie überrascht, wie zäh sich das Ganze gestaltet?

    Fricke: Ja doch, ein wenig, denn es war doch eigentlich klar, dass es schnelle Koalitionsverhandlungen werden sollten.

    Adler: . . . die es ja auch sind – unterm Strich.

    Fricke: Die es unterm Strich auch sind und womit man auch zufrieden sein kann. Nur – ich hatte eigentlich an bestimmten Stellen erwartet, dass es schneller gehen würde, dass die CDU sich von dem Denken der alten Koalition trennt. Das hat sie dann nachher auch getan.

    Adler: Worin haben Sie das gesehen, dieses alte Denken?

    Fricke: Na ja, dass man an vielen Stellen – und das meine ich gar nicht vorwurfsvoll, sondern das ist, glaube ich, eine typisch menschliche Reaktion – erst mal gesagt hat: Na ja, das haben wir bisher so und so gemacht, warum sollen wir das denn ändern? Und . . .

    Adler: Sagen Sie mal ein Beispiel.

    Fricke: Nun, bei der ganzen Frage "Steuerreform" – wie ernst ist es der FDP bei der Steuerreform, was will sie da, das, was dann Guido Westerwelle mit der Frage gesagt hat, wann der sogenannte Casus Belli eintreten würde. Und auch natürlich mit den Verhandlungen in der letzten Nacht, auch das zeigt deutlich, wo wir da hinwollten. Aber das ist eine menschliche Regung, das dauert ein bisschen, wenn man erst den Koalitionspartner hat, bestimmte Sachen auch erreicht hat – dass man erst einmal sagt: Ich will dabei bleiben und erst beim zweiten Schritt merkt: Moment, ich habe einen neuen Koalitionspartner, wo geht die Reise hin, was davon kann ich mitmachen und was nicht?

    Adler: Sie kriegen ja wahrscheinlich eine neue Funktion, am Wochenende wurde viel über Personal, über Personalien und Posten geredet. Wo sehen Sie sich jetzt in der neuen Bundesregierung wahrscheinlich nicht, aber . . .

    Fricke: . . . nein, auf keinen Fall . . .

    Adler: . . . aber im Bundestag, an welcher Stelle?

    Fricke: Ja, das Schönste ist ja an unserer Demokratie, und ich finde das sehr gut, dass ich wirklich meinen von mir sehr geliebten und geschätzten Posten als Haushaltsausschuss-Vorsitzender aufgeben muss, weil immer die größte Oppositionsfraktion den Posten hat. Das wird jetzt ein SPD-Mann oder eine SPD-Frau machen. Ich möchte gerne im Bereich Haushalt bleiben, das liegt mir nun mal, obwohl Juristen ja immer unterstellt wird, sie könnten nicht mit Zahlen. Das halte ich aber für ein typisches Vorurteil. Und was da noch kommt, das wird man dann mal sehen. Wir werden am Montag ja dann Fraktionsvorstand wählen und ich gehe da mit einer gewissen Gelassenheit hin, denn bei alledem, was man sein könnte oder müsste: Abgeordneter zu sein, ist schon eigentlich ziemlich was Tolles, dass man es überhaupt machen kann – einer von 600 und ein paar Gequetschten zu sein. Und dann noch so eine Belohnung in den letzten vier Jahren gehabt zu haben – da sollte man mit einer gewissen Demut und Dankbarkeit sagen: Es ist schön, wenn noch was dazu kommt, dann ist gut. Aber – ich bin gespannt.

    Adler: Ein Jurist – Sie haben es gerade erwähnt – kann durchaus mit Finanzen umgehen. Der Finanzminister – der nächste Bundesfinanzminister – ist von Hause aus Jurist. Freuen Sie sich auf die Zusammenarbeit mit Wolfgang Schäuble, obwohl er ja als ein wirklich zäher und auch als ein harter Verhandlungspartner gilt und, das lassen Sie mich noch hinzufügen, obwohl er angeschlagen ist durch die Parteispendenaffäre der CDU, die immerhin mit Geld zu tun hatte?

    Fricke: Ja, wobei auch da bin ich dann wieder Jurist: Für mich ist dann an irgendeiner Stelle auch mit der Frage, was an möglichen tatsächlichen Fehlverhalten in der Vergangenheit war, Schluss. Das ist für mich auch mein christliches Menschenbild und damit ist die Frage mit der Parteispende für mich abgehakt. Punkt zwei: Dass er ein harter Verhandler ist, da kann ich als Haushaltsausschuss-Vorsitzender, der ich ja jetzt noch so zusagen bis Dienstag, bis zur Konstituierung bin, nur darauf hinweisen, dass der bisherige Finanzminister ja auch ein "harter Hund" war an vielen Stellen. Und das ist für einen Haushaltsausschuss-Vorsitzenden auch nicht einfach gewesen. Nein, im Gegenteil: Nachdem die Entscheidung dann eben so fiel – aus was für Gründen auch immer, und es sind viele Gründe –, dass die CDU/CSU die Finanzen übernimmt, hier insbesondere die CDU, ist es für mich als Haushälter wichtig, dass derjenige, der Finanzen macht, auch jemand ist, der ein großes Maß an Unabhängigkeit hat. Das hat er. Der auch ein großes Maß an Durchsetzungskraft hat. Und in der inneren Verhandlung – da ich immer noch an die Kraft der Argumente glaube, ist das dann halt, dass man wirklich argumentieren muss. Und ich argumentiere lieber. Ich gucke lieber nach Zahlen, Daten und Fakten und versuche, die anderen zu überzeugen, nehme dann aber auch, das gehört dazu, für mich in Anspruch, dass ich mich auch von anderen Zahlen, Daten und Fakten, wenn sie besser, wenn sie klarer sind, überzeugen lasse. Insofern: Ich freue mich eher auf den Disput im Kopf als auf irgendwelche lautstarken Auseinandersetzungen. Und das ist bei Schäuble, glaube ich, der Fall.

    Adler: Haben Sie verstanden, warum Ihr Parteivorsitzender Guido Westerwelle nicht Finanzminister werden wollte?

    Fricke: Ich glaube, dass die Frage, wer was wie werden will, und auch, was Guido Westerwelle werden wollte, das ist etwas, was jeder in seinem eigenen Herzen wägt. Und dann muss man sich auch immer fragen, wenn man sagt, ich gehe in Richtung Außenminister – dann zu sagen: Nein, dann werde ich stattdessen Finanzminister, das ist ja auch eine Entscheidung, die erst einmal gefällt werden müsste und die ganz viele Implikationen hat. Nein, die Frage, dass die FDP traditionell das Außenministerium hat, hat ja nicht nur etwas damit zu tun, dass man einer Tradition folgt, sondern hat etwas mit der Gewichtung zu tun – sowohl in der Innenrepräsentation – das wird oft vergessen, wer repräsentiert uns nach Innen –, aber noch viel mehr auch in der Außenrepräsentation, wer repräsentiert dieses Land. Und da gehört dann eben auch der Koalitionspartner dazu, der ja im Endeffekt, wenn man so will, 33 Prozent der Regierung stellt.

    Adler: Haben Sie das verstanden, dass jemand, der ein so direkter Mensch ist, einer, der auch wirklich undiplomatisch auftritt zuweilen, dass er sich nun so zusagen den Tort antut, als Oberdiplomat, als Chefdiplomat des Landes aufzutreten?

    Fricke: Jetzt kommt schon wieder der Jurist. Man muss auch immer in der Lage sein, und das ist leider ein Teil von Politik, der aber auch notwendig ist, zu abstrahieren. Ich muss immer wissen: Was ist meine Aufgabe. Bin ich – juristisch gesprochen – Rechtsanwalt, vertrete eine Position, bin ich Richter, muss eine neutrale Entscheidung fällen, oder bin ich an der Stelle auch jemand, der repräsentiert, bin ich an der Stelle jemand, der auszugleichen versucht, ein Mediator? Und ich glaube, man darf nicht unterschätzen, was ein Partei- und Fraktionsvorsitzender, die Frage des Mediators, täglich hat: Jeden Tag kommt einer, der sagt: Ich möchte aber so, der andere möchte so. Die Beliebigkeit von Politikern ist das nicht, sondern es ist die Gesamtarbeit, die Politiker haben. Leider wird bei Guido Westerwelle viel zu häufig das Ganze wie durch ein Fixierglas gesehen und man konzentriert sich so auf einen kleinen Teil von ihm, den man möglicherweise am meisten wahrnimmt.

    Adler: Wie glaubwürdig ist es denn, dass nun ausgerechnet die FDP – der bisherige Generalsekretär – das Entwicklungshilfe-Ministerium übernimmt, das Ihre Partei doch eigentlich abschaffen wollte? Oder tritt jetzt Dirk Niebel mit der Aufgabe an, sich selbst als Minister abzuschaffen?

    Fricke: Also, Dirk Niebel hat viele Fähigkeiten, aber ich glaube nicht, dass es um die Abschaffung geht. Es geht bei der Frage Entwicklungshilfe – das kann ich auch als Haushälter sagen – um zwei Dinge: Erstens, keine Neben-Außenpolitik zu machen, das ist in der Vergangenheit immer wieder passiert. Das ist nicht so aufgefallen, weil man – in Anführungszeichen – das ja jetzt in der Hand in den letzten vier Jahren in derselben Partei hatte. Zweitens: Das Vorurteil ist ja immer, wir wollten die Entwicklungshilfe abschaffen . . .

    Adler . . . das habe ich aber jetzt nicht geäußert.

    Fricke: . . . nein, nein, so – und das wird jetzt verbunden mit der Frage: Na ja, deswegen wollt Ihr ja auch das Ministerium abschaffen. Ich glaube, dass man einfach jetzt erkennen muss: Wir müssen bei der Entwicklungshilfe uns umstellen von dem alten Denken "hier kommt der reiche Staat der Ersten Welt und der hilft mal der Dritten Welt, die sich ja auch in viele unterschiedliche Welten aufteilt, und auch die Frage ist: Was ist die Zweite Welt? Ich erinnere nur daran: Wir haben Länder, die sitzen bei G20 zu Recht gleichberechtigt mit uns im Gremium und entscheiden.

    Adler: . . . ganz konkret, machen wir es an diesem Beispiel fest, bei den 20 Ländern. Zu ihnen gehört auch China. Also: Weiter Entwicklungshilfe für China, oder ist das das Ende?

    Fricke: Also, es ist klare Position der FDP, dass es keine Entwicklungshilfe mehr für China geben soll. Das kann man auch den Bürgern an der Stelle gar nicht klar machen, dass ein Land, mit dem wir konkurrieren, ein Land, das auch aufgrund seiner Gehaltsstruktur bei uns mit dafür sorgt am langen Ende, dass Arbeitsplätze nicht entstehen können oder verschwinden, dass diesem Land geholfen wird, das eigentlich doch in der Lage sein müsste bei seinem Reichtum. Ich darf daran erinnern: Die haben mehr Reserven als wir Schulden haben. Und trotzdem gehen wir dahin und helfen denen. So, und da muss man dann klar sagen: Das gilt dann für solche Länder, denn die wollen ja mit uns auf dem gleichen Niveau reden. Das hat aber nichts mit der Frage zu tun, ich bin selber bei der Aktion Miserior zum Beispiel im Beirat, dass man den Ländern hilft, die sich nicht selbst helfen können, und davon gibt es leider noch viel zu viele, leider gerade in Afrika.

    Adler: Bleiben wir noch mal bei China. Da war ein wichtiges Argument der Vorgängerregierung, diese Zusammenarbeit auch im Entwicklungshilfe-Ministerium angesiedelt zu lassen, weil natürlich nicht klassische Entwicklungshilfe oder nicht nur . . .

    Fricke: . . . Türöffner-Argument .

    Adler: . . . das Türöffner-Argument. Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund: Also nicht klassische Entwicklungshilfe bei China geleistet wird, sondern dass das der Kontaktpflege dient. Wie kann man das eine tun, ohne das andere zu lassen?

    Fricke: Nach Gesprächen, die ich auch mit Schwellenländern führe, da sagen diese Schwellenländer: Wir verstehen das bei Euch manchmal gar nicht, dass Ihr so tut, als würdet Ihr mit uns Türöffner spielen über dieses Ministerium, dabei wissen wir doch genau: Natürlich geht es bei Euch wie bei uns um wirtschaftliche Interessen. Und dann muss man das klar unterscheiden. Man kann dann sagen: Wir machen eine klarere wirtschaftliche Zusammenarbeit aus ökonomischen Gründen. Aber ich glaube nicht, dass man mit der Frage "Helfen" wirtschaftlich auf Augenhöhe das machen kann. Dann kommen wir immer wieder in Verwerfungen. Und das Entscheidende ist doch: Wir wollen die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ich sage mal, gerade im Bereich Umwelt, im Bereich öffentlicher Personennahverkehr haben wir so viel Know How, da können wir was machen. Aber das ist dann nicht mehr Entwicklungshilfe.

    Adler: Das Misstrauen gegen die neue Regierung ist erstaunlich groß. Man heftet Ihnen Zitate an, die Sie selbst am besten kennen.

    Fricke: All die Vorurteile.

    Adler: All die Vorurteile, die da lauten: Unsozial, unbezahlbar, unverbesserlich. Kränkt Sie das eigentlich, dass man Ihnen mit so viel Vorbehalten begegnet, Ihnen nicht den Vertrauensvorschuss gewährt, den eine neue Regierung eigentlich zunächst bekommt?

    Fricke: Ergänzend noch: Es wird noch nicht einmal eine 100-Tage-Schonfrist geben, da bin ich mir ziemlich sicher. Aber kränken tut einen Politiker, der jetzt so wie ich sieben Jahre Abgeordneter ist und der vorher schon übrigens auch zwei Jahre Regierungszeit erlebt hat, von 1996 bis 1998 als Referent, das ist eine Erfahrung, die hat man. Und mich würde es eher kränken, wenn Vorwürfe und Angriffe in Bereichen kommen, wo ich sie nicht erwartet hätte. Es sind die üblichen: Es ist nichts Neues, es ist immer: Wir sind kalt und so weiter.

    Adler: Entkräften Sie das Argument mal, dass Sie unsozial sind. Warum ist die FDP sozial?

    Fricke: Was ist sozial? Das berühmte in Deutschland ist ja, du bist dann sozial, wenn du einfach irgend jemand anderem mehr Geld gibst, mehr Geld übrigens dann wieder von jemand anderem. Dann bist du sozial. Natürlich immer den Ärmeren, klar. Und vor allen Dingen demjenigen, der Hilfe braucht. Und die beste Hilfe wird immer gegeben durch Umverteilung. Das ist aber so falsch. Man tut damit ja gleichzeitig so, als würden Liberale durch die Gegend rennen und sagen: 'Ich bin kein sensibler Mensch, ich sehe nicht, dass da Schwache sind'. Als wenn ich nicht sehen würde, welche Schwierigkeiten in der Grundschule zum Beispiel Kinder haben, deren Elternhaus eben nicht, wie man so leicht sagt, bildungsnah ist und wie viele Chancen da schon kaputt gegangen sind, selbst in der ersten Klasse. Aber die Lösungen sind dann eben andere: Gerade weil ich sozial sensibel bin, muss ich doch sagen, ich muss richtige Lösungen finden. Für mich ist das immer so interessant, dass gesagt wird, na ja, guckt mal hier, gerade in Deutschland entscheidet das Elternhaus so sehr über die Bildungs- und damit über die Lebenschancen von Schülern. Und dann fragt man sich immer, warum ist denn das in den Ländern, wo die vermeintlichen Gutmenschen lange an der Macht waren, nicht anders oder nicht besser geworden?

    Adler: Bleiben wir doch ganz konkret bei einem Beispiel, nämlich der angestrebten Reform des Gesundheitssystems ab 2011.

    Fricke: Ich dachte schon, Sie sagen, die Freibeträge bei Hartz IV oder so was?

    Adler: Nein, ich würde gerne bei diesem Beispiel bleiben, denn die Freibeträge bei Hartz IV die sind relativ unstrittig. Die sind auch genug diskutiert worden.

    Fricke: Das hätte aber die Vorgängerregierung machen können.
    Oder Rot-Grün hätte es machen können.

    Adler: Ich würde jetzt trotzdem gerne auf das Gesundheitssystem zu sprechen kommen. Also, ab 2011 soll eine neue Struktur Einzug halten, soll es einen Grundsockel geben und soll derjenige sozial unterstützt werden, der sich diesen Pauschalbetrag, der erhoben wird für alle, nicht leisten kann. Das ist etwas, was jetzt erst mal im Koalitionsvertrag so festgehalten wurde, was die Leute Ihnen aber erstaunlicherweise oder vielleicht nicht erstaunlicherweise, aber nicht abnehmen, weil man mutmaßt, dass Sie all das, was Sie jetzt tun, bis zur Landtagswahl 2010 in Nordrhein-Westfalen sowieso nicht präzisieren. Und wenn diese Wahl vorbei ist, dann zeigt die Koalition ihr wahres Gesicht und dann wird das, was jetzt als sozial deklariert wurde, eben doch nicht sozial gemacht.

    Fricke: Der Vorwurf, dass man lügen würde, der immer wieder in der Politik kommt, den man nur durch Taten letztlich entkräften kann, das gebe ich gerne zu. Was die Frage angeht, wann man was macht: Wollen wir wirklich im Bereich Gesundheit, im Bereich Steuern, im Bereich Soziales durch Schnellschüsse Regelungen machen? Ich erinnere nur an das Desaster, das da Rot-Grün erlebt hat, die dann nach einem halben Jahr wieder einkassiert werden. Nein, ich hoffe doch, dass man wirklich hier eine vernünftige langfristige Planung macht. Und was die Frage angeht, die Frage, wie hilft man im Bereich der Krankenversicherung denjenigen, die sich bestimmte Sachen finanziell nicht leisten könnten. Dann macht man doch klar – und das, finde ich, ist für einen Sozialstaat wichtig: Wir als Staat verwurschteln das nicht irgendwo in einem System, wo dann rauskommt, jeder kriegt am Ende was, sondern wir machen klar, wir als Staat übernehmen die Verantwortung für die, die schwach sind, dass sie diese Leistung auch bekommen. Aber dem Bürger wird auch klar, es ist ein Anspruch der Schwachen auf die Leistung. Was viele Bürger ärgert ist, dass sie sagen, ich bin ja bereit, den Schwächeren zu helfen, aber ich habe immer das Gefühl, das geht irgendwo im System unter und man kann das gar nicht erkennen. Wir machen das sichtbar, und ich glaube, diese Sichtbarkeit ist sehr, sehr wichtig. Und dann, was den Vorwurf angeht noch mal, dass das sozusagen alles dann danach anders wird, das wäre dann im Endeffekt ja so, dass man dann im Juno auf einmal aus der Tasche irgendwas zieht, was so gar nicht bisher im Koalitionsvertrag stände. Zweitens, bei alle dem, was auch jetzt in den Koalitionsverhandlungen durchgestochen worden ist, was transparent war, das glaubt doch kein Bürger ernsthaft, dass da irgend etwas unter der Decke bleibt. Da sind wir zum Glück inzwischen eine Demokratie, die trotz aller "Geheimhaltung" ziemlich transparent ist.

    Adler: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit dem Noch-Vorsitzenden des Haushaltsausschusses im Bundestag, mit dem Finanzexperten Otto Fricke von der FDP. Herr Fricke, Sie haben zwei Wörter jetzt gerade genannt, die sind die ideale Überleitung zur nächsten Frage, nämlich 'Desaster' und 'verwurschteln'. Ein wirkliches Desaster, eine Panne, ein Rohrkrepierer – ich weiß nicht, welche schlechten Worte es noch dafür gab – war verbunden mit einem geplanten Schattenhaushalt.

    Fricke: Geplant würde ich schon bestreiten, aber okay.

    Adler: War mit einem erwogenen Schattenhaushalt, jemand anders hat es Nebenhaushalt genannt, ganz offiziell sollte es Sozialversicherungsstabilisierungsfonds heißen. Kurzum, das Ganze war eine solche Panne und Pleite in den Koalitionsverhandlungen, die eigentlich gerade denen, Ihnen, nicht hätten passieren können, die doch immer für sich in Anspruch nehmen, dass sie den Stein der Weisen bei der Haushaltspolitik erfunden haben.

    Fricke: Jetzt müsste das Radio zeigen, dass ich lächle, ich weiß.

    Adler: Ach, das hört man.

    Fricke: Aber ich muss ganz ehrlich zugeben, ich habe mich darüber auch sehr geärgert.

    Adler: Worüber?

    Fricke: Über die ganze Sache, die nachdem – das ist ja das Interessante: Nachdem die Arbeitsgruppe Finanzen am Montag beendet war.

    Adler: Über die Berichterstattung.

    Fricke: Nein.

    Adler: Oder dass das überhaupt passiert ist?

    Fricke: Über Berichterstattung ärgere ich mich nie, weil das ist "Teil" unserer Gewaltenteilung. Wenn die Berichterstattung kritisch ist, muss ich dann in der Lage sein, entweder sie zu entkräften oder drauf zu reagieren und zu sagen: Es ist wohl doch falsch gewesen.

    Adler: Bewahren Sie sich das bitte.

    Fricke: Ja, das ist schwierig. Übrigens ist das das große Problem, dass man irgendwann sagt, ich mache die Ohren bei Kritik zu. Aber da sage ich mal, das sollte man eigentlich irgendwann am Ende der Pubertät auch schon gelernt haben, dass man das nicht tun darf, sondern immer reflektieren muss.

    Adler: Gut, also zurück noch mal zur Panne.

    Fricke: Zweitens, am Montag war die Arbeitsgruppe Finanzen zu Ende, und es war da eins von vielen angedachten Modellen, und ich sage das bewusst, für beide Seiten. Dieses auch, was da im Hintergrund so läuft, der eine ist schuld oder der andere ist schuld. Wir sind in einer Koalition, die wollen wir gemeinsam auch so führen. Und deswegen muss man auch an der Stelle mal gemeinsam "den Kopf hin halten", wenn Fehler passieren, seien sie beabsichtigt, unbeabsichtigt, kommunikativ oder sonst wie. Und da haben wir gesagt, wir gucken uns das mal an, wir prüfen aber genau, ob das verfassungsrechtlich auch geht. Danach – muss ich dann aus meiner Sicht als Arbeitsgruppenmitglied sagen – ging das in die Gruppe nach oben. Ich will da aber auch nicht die Schuld hin schieben, sondern dann wurde geprüft. Und jetzt kommt die Frage mit der Transparenz und dem Durchstechen. Die Tatsache, dass das dann in den Medien schon weiter geleitet wurde, hat dazu geführt, dass die Prüfung, die immer noch im Hintergrund ja lief, dadurch erst mal verschwand und erst dann am Donnerstag, als sie fertig war, sozusagen wieder auftauchte. Kleiner Vorteil am Rande: Andere Themen konnten, weil auf dieses Thema so gedrückt wurde, dabei viel besser ohne Begleitung laufen. Und jetzt kommt für mich das Entscheidende, das sage ich jetzt bewusst als Haushälter: Ich bin sehr froh, dass das Ergebnis so ist, dass es nicht verfassungsrechtlich geht, und dass wir dann auch sofort gesagt haben, nachdem diese verfassungsrechtliche Prüfung durch das Innenministerium gekommen ist. Und wenn dann das Ergebnis kommt, 'das geht so nicht, das ist nicht in Ordnung', dann muss man sagen, 'gut, dann war es das' und hakt das ab. So erwarte ich eigentlich auch Kritik. Zweiter Punkt, das zur Ehrenrettung: Alle haben gesagt, das sei ein Schattenhaushalt. Aber komischerweise konnte jeder genau sehen, was drin war, was vorgesehen war, wie das laufen sollte, was die Gründe waren. Da war also nichts im Schatten. Nur ist es eben – und da nehme ich auch die Kritik an – etwas anderes, ob man das wie in der Vergangenheit bei der Bankenrettung im Schattenweg macht oder bei dem ITF-Fond im Schatten macht, also außerhalb des Haushaltes, oder ob man es, wie es angedacht – nochmals – aber nicht möglich war, es zu machen, so dass es im Haushalt ist. Es ist ja im Endeffekt in der Planung gewesen, es wäre ein weiteres Blatt im Haushalt gewesen. Nur, noch mal, schön und gut, dass da unser Rechtsstaat so funktioniert, dass die Regierung selber feststellt, es geht nicht und dann eine Koalition sagt, wir machen es dann auch nicht.

    Adler: So, nun ist aber das Bestreben ja weiterhin da, aus Haushaltsmitteln, aus Steuermitteln die Beiträge im nächsten Jahr niedrig zu halten, sowohl für die Arbeitslosenversicherung als auch für die Krankenversicherung.

    Fricke: So weit konjunkturbedingt.

    Adler: Wie kann das nun deklariert werden, ohne dass man das Ganze vielleicht Sonderfonds nennt oder einen anderen schönen Begriff dafür erfindet? Wie wird es gehen?

    Fricke: Also, das ist Teil dann des Haushaltsverfahrens, das muss man auch klar sehen, so wie die andere Frage auch: 'Wo wollt ihr denn jetzt an die Ausgaben ran?'

    Adler: Also noch keine Lösung?

    Fricke: Nein, noch keine festgelegte. Was uns wichtig war als Koalition, und selbst mir als Haushälter, dem ja immer unterstellt wird, ich wollte ja überall sparen: Es kann wirklich nicht sein, dass diejenigen, die vor Arbeitslosigkeit sich versichern, diejenigen, die sich vor den Folgen von Krankheit versichern, durch die Konjunktur belastet werden, während bei Wirtschaft und Banken im Endeffekt diese Belastung aufgefangen wird. Das kann man im Jahr 2010 für das Jahr 2010 machen. Was nicht ging, war eben dieses Rückwirkende. Deswegen gucken wir jetzt, wie wir dafür sorgen, dass jeder weiß: 'Moment mal, ich kriege jetzt nicht als Beitragszahler höhere Beiträge, weil ich sozusagen mit haften muss'. Die Haftung für die Finanzkrise haben wir alle insgesamt entsprechend unserer Leistungsfähigkeit, und nicht nur der Versicherte in der Arbeitslosenversicherung und nicht nur die Versicherten in der Krankenversicherung.

    Adler: Eine Frage stellt sich der Beitragszahler, stellt sich der Steuerzahler die ganze Zeit: Warum trauen Sie den Bürgern eigentlich nicht so viel Realitätssinn zu, dass Sie sagen, in einer solchen Krisenzeit, wo die Haushalte derart belastet sind, werden es die Bürger verstehen, dass man Steuern nicht senken kann und dass Beiträge möglicherweise nötigenfalls erhöht werden?

    Fricke: Doch, ich glaube, das verstehen die Bürger per se. Ich werde ja auch so oft angesprochen.

    Adler: Die Bürger nehmen es Ihnen übel, dass sie im Grunde genommen für dumm verkauft werden, weil sie mit Geschenken, mit künstlich niedrig gehaltenen Beiträgen, letzten Endes vielleicht auch mit Blick auf die Landtagswahl Nordrhein-Westfalen bestochen werden.

    Fricke: Ja. Gerade, wenn die Bürger das so sähen und das auch so wahrnähmen, hätte das ja zur Folge, dass die Wahlen dann genau anders rum ausgehen. Das muss man, glaube ich, zur realen Einschätzung so sehen. Wenn der Bürger das Gefühl hat 'Pass mal auf, die führen mich hinter die Fichte, die erzählen mir da was von einer schönen Welt und das nehme ich denen nicht ab', dann hat das ja zur Folge, dass die sagen 'deswegen wähle ich sie nicht' oder nicht mehr sogar. Und ich kann nur eines sagen: Das Steuersystem dient dazu, von diesem Pfad nach unten, wo es hinginge ohne die steuerlichen Entlastungen, weg zu kommen.

    Adler: Wie können Sie verhindern, dass wir das, was wir heute nicht an Beiträgen selber ausgleichen durch Erhöhungen und an Steuern durch nicht erfolgte Senkungen, wie können Sie gewährleisten, dass der Schuldenberg nicht immer weiter wächst? Sie vertrauen auf Wachstum.

    Fricke: Nein, nicht alleine. Um das ganz klar zu sagen, auch das ist wieder eine typische Kritik, typisch FDP, typisch CDU/CSU, die meinen, Wachstum ist das alleinig Heilbringende, Hauptsache, wir hauen das Geld raus.

    Adler: Vorurteile haben wir jetzt genug.

    Fricke: Ja, aber es ist wieder eins. Und dem trete ich dann entgegen. Sie müssen gleichzeitig auch an die Ausgaben ran. Das hätte ich persönlich gerne schon in den Haushaltsverhandlungen.

    Adler: Oh, dann sagen Sie uns doch bitte mal, wo die Regierung sparen möchte.

    Fricke: Ja, Moment, Moment, ich will nur ausreden.

    Adler: Das wäre interessant.

    Fricke: Ich hätte das gerne schon in den Koalitionsverhandlungen gemacht, nur: Die sollten kurz und schnell sein, denn wir müssen jetzt auch noch den Haushalt 2010 aufstellen in einem sehr verspäteten Verfahren. Jetzt würde ich am liebsten hier...

    Adler: . . . sagen, wo gespart wird.

    Fricke: . . . sofort die ganz Liste, ich würde es sofort am liebsten machen. Und mein Kopf ist davon voll und es könnte sprudeln und wir könnten sozusagen.

    Adler: Sagen Sie doch mal ein Beispiel.

    Fricke: Wir könnten die Nacht Sendung machen. Ich mache nur einen Fehler inzwischen nicht mehr, weil ich jetzt einen in der Fraktion zugestimmten Koalitionsvertrag habe. Ich werde nicht jetzt sagen, das macht die FDP, und dann sagt die CDU, das geht auf gar keinen Fall, sondern da bin ich inzwischen durch die Abstimmung in der Fraktion überzeugter Koalitionär, der das auch auf dem Parteitag will. Ich empfehle aber jedem – weil Sie sagen: 'Irgendwie werden Sie nicht konkret' – ich empfehle jedem, man schaue sich mal das Steuersystem von Hermann-Otto Solms an, man schaue sich da mal an, welche Ausnahmen gestrichen werden. Man schaue sich die Vorschläge der FDP in den vergangenen Jahren im Haushaltsverfahren an – übrigens alles von der CDU immer abgelehnt.

    Adler: Sie haben gerade eine Ausnahme wieder verabschiedet, festgeschrieben im Koalitionsvertrag, nämlich die Senkung der Mehrwertsteuer für das Hotel- und Gaststättengewerbe.

    Fricke: Hm, stimmt.

    Adler: Okay, ich werte Ihre nicht weiter folgenden Ausführungen als Kritik.

    Fricke: Ist Teil des Koalitionsvertrages, den man in seiner Gesamtheit – da gibt es bei uns unterschiedliche Meinungen, klar. Aber das ist Demokratie, Mehrheit. Und gut, das heißt dann aber auch für den Haushälter, ich muss an anderer Stelle härter ran und ich muss natürlich auch an der Stelle härter ran, wo andere sagen, wir brauchen eigentlich was.

    Adler: Otto Fricke, wie finden Sie, wie hat sich Ihre Partei in den Koalitionsverhandlungen geschlagen? Wenn wir sehen, dass Sie angestrebt haben, eine Steuerentlastung um 35 Milliarden jährlich ab einem nicht definierten Jahr. Jetzt sind es Entlastungen um 24 Milliarden ab 2011. Wenn wir anschauen, dass festgeschrieben wurde im Koalitionsvertrag, dass es ein Steuerstufenmodell geben soll. Sagen Sie: Unsere Muckies haben sich gelohnt, das war gut? Oder bleiben Wünsche offen für Sie?

    Fricke: Ich habe immer noch die Hoffnung, dass es nicht die Muckis waren, sondern dass es die klügeren Gedanken waren. Und ich habe auch das Gefühl, gerade bei dem, was letzte Nacht passiert ist, dass die CDU/CSU wirklich gemerkt hat, wie ernst es uns ist und auch eingesehen hat, dass das nur der Weg sein kann. Am meisten hat mich gefreut, dass die Bundeskanzlerin selber von einem einfacheren niedrigeren und gerechteren Steuersystem gesprochen, dass ich wirklich sagen kann: Klar, die will das auch. Wir haben eben halt 14,6 Prozent bei der Wahl gehabt. Und das ist nicht irgend was und da kann man sich an bestimmten Stellen.

    Adler: Und das erzählen Sie uns jetzt vier Jahre bis zur nächsten Wahl.

    Fricke: Nein. Das Witzige ist doch, die Probleme, die wir in den nächsten vier Jahren haben werden, die kennen wir jetzt zum großen Teil noch nicht. Und ich hoffe, dass es eher Probleme werden, wie wir den Staat modernisieren können als dass es irgendwelche anderen schlimmeren Probleme gibt.

    Adler: Nennen Sie uns in einem Satz die wichtigste nächste erste Aufgabe, die Sie in Angriff nehmen werden.

    Fricke: Ich persönlich? Ich persönlich werde mein Büro räumen, denn der Haushaltsausschussvorsitzende hat ein Büro beim Ausschuss und wird da weg gehen. Nein, inhaltlich ganz ernsthaft: Ich bin jetzt schon dabei, mir die Haushaltspläne durchzusehen, zu gucken, an welchen Stellen man ansetzen muss, wo ich Gespräche führen muss. Ich fange jetzt schon an, unseren Ministern zu sagen: 'Pass mal auf, an der Stelle mach da bitte keine Zusagen. Achtung, da wird ein Angriff kommen, wo einer sagt, er will mehr Geld' und und und. Die Hauptaufgabe eines Haushälters ist es, viel früher als das eigentliche Haushaltsverfahren schon dafür zu sorgen, dass die Pflöcke eingerammt werden. Und das mögen manche jetzt noch gar nicht hören. Aber beständiges langsames Bohren von dicken Brettern, wie ein gewisser Herr Weber einmal gesagt hat, das ist das Entscheidende. Und ich sage mal so: Da freue ich mich auch am meisten drauf.

    Adler: Herr Fricke, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Fricke: Ich habe zu danken.