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"Ich habe bis jetzt keine negativen Reaktionen gehört"

Es gebe zwar immernoch Defizite, aber in den letzten zehn Jahren habe sich bei der Religionsfreiheit in der Türkei viel getan, so die die Einschätzung von Ahmet Külahci. Die Rede des Bundespräsidenten vor dem türkischen Parlament sei allgemein auf positives Feedback gestoßen.

Ahmet Külahci im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 20.10.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: "Ich wende mich gegen jedes Pauschalurteil. Zu behaupten, eine ganze Gruppe könne und wolle sich nicht integrieren, halte ich für falsch." Bundespräsident Christian Wulff hat CSU-Chef Horst Seehofer nicht namentlich genannt, weder bei seinem Interview mit der türkischen "Hürriyet", noch in seiner Rede vor dem Parlament in Ankara. Es gehört allerdings nicht viel Fantasie dazu, sich den Zusammenhang zu denken, denn Seehofer hatte sich gegen eine zusätzliche Zuwanderung aus der Türkei oder aus arabischen Ländern gewandt. Begründung: es sei offensichtlich, dass diese Menschen die größten Probleme bei der Integration hätten. Wulff hat aber auch gesagt, dass Christen zur Türkei gehörten. Mein Kollege Jürgen Zurheide hat darüber mit Ahmet Külahci gesprochen, er ist der Leiter des Berliner Büros der Zeitung "Hürriyet". Seine erste Frage: Wie schwer muss es eigentlich für Parlamentarier sein, so etwas zu hören? Wie schätzen Sie das ein?

    Ahmet Külahci: Ja, ich kann es mir gut vorstellen, dass das einigen Parlamentariern nicht gut gepasst hat, aber ich meine, auch der Bundespräsident hat ja eine Realität zur Sprache gebracht. Selbstverständlich: in der Türkei hat ja christliche Religion eine sehr, sehr, sehr lange Tradition. Von daher selbstverständlich gehört auch Christentum zu der Türkei.

    Jürgen Zurheide: Es hat einige leere Parlamentssitze gegeben. Ist das möglicherweise schon im Vorhinein die Ahnung gewesen, dass solche Sätze kommen, oder hat das nichts zu bedeuten?

    Külahci: Ich glaube nicht, dass es eine sehr große Rolle gespielt hat. Das habe ich auch so mitbekommen aus der Ferne, dass da einige Plätze nicht besetzt wären. Aber wie gesagt, das hat gar keine große Bedeutung, glaube ich. Ich habe doch festgestellt, dass fast alle Minister und Ministerinnen sozusagen und der türkische Staatspräsident und der Ministerpräsident präsent waren. Nein, ich kann es mir schlecht vorstellen, dass das so eine große Rolle gespielt hat. Wie gesagt, auch der Bundespräsident hat ja einige Sachen gesagt, die auch von den türkischen Parlamentariern applaudiert wurden.

    Zurheide: Wie kommt diese Rede an bei den Menschen in der Türkei? Kann man da jetzt schon was zu sagen? Nehmen die den überhaupt wahr? Er war ja bisher nicht bekannt und er tritt mit einmal auf die Bühne, sehr plötzlich, glaube ich, für die Türken, oder?

    Külahci: Ich glaube schon. Ich meine jetzt, er war auch hier in der Bundesrepublik Deutschland unter sehr vielen Menschen nicht so bekannt, aber in der Türkei selbstverständlich viel weniger. Aber ich kann es mir gut vorstellen, nach dieser Rede im Parlament, dass er von einem großen Teil der türkischen Bevölkerung auch wahrgenommen wurde. Ich habe bis jetzt keine negativen Reaktionen gehört. Ich habe die Internetseiten von türkischen Zeitungen mir angesehen. Die Rede wurde im Grunde genommen von der türkischen Wohnbevölkerung doch ziemlich positiv aufgenommen.

    Zurheide: Eine der Kernbotschaften ist ja, es müsste oder sollte so etwas wie Religionspluralismus geben. Beschreibt das den Weg, auf dem die Türkei im Moment ist? Wie würden Sie das wahrnehmen? Der eine oder andere bei uns hier hat den Eindruck, dass es eher in eine andere Richtung geht, dass der Islam sich deutlicher zeigt als bisher. Aber man könnte das, was man dort sieht, ja auch als Religionspluralismus sehen. Wie sehen Sie das?

    Külahci: So ist es. Es gibt immer noch leider Gottes Defizite, was die Religionsfreiheiten betrifft. Aber in den letzten zehn Jahren wurde, glaube ich, eine ganze Menge unternommen, was die Religionsfreiheit betrifft, auch die Religionsfreiheit der religiösen Minderheiten. Es war ja zum Beispiel bis vor Kurzem verboten, in der Türkei Kirchen zu bauen; es ist wieder erlaubt, Gott sei Dank erlaubt. Das heißt, wenn man in der Bundesrepublik Deutschland dafür plädiert, dass die Muslims Moscheen bauen dürfen, warum sollte man dann in der Türkei in den anderen Glaubensrichtungen diese Möglichkeiten nicht geben. Ich finde es gut, dass es in dieser Hinsicht positive Entwicklungen gibt, denn ich kann es mir vorstellen, dass diese Defizite in den nächsten Jahren beseitigt werden können.

    Zurheide: Wenn wir jetzt mal auf die deutsche Seite kommen, hier im Moment hat man das Gefühl, dass die Zuspitzer eher unterwegs sind und auch vielleicht mehr Beifall bekommen, oder sich deutlicher äußern. Wie wirkt das auf die Menschen in der Türkei?

    Külahci: In der Türkei weniger. Die ganze Problematik hier in der Bundesrepublik Deutschland wird in der Türkei wenig wahrgenommen. Das finde ich auch schon richtig, dass es kein Problem der Türkei-Türken ist. Das ist ein Problem hier in der Bundesrepublik Deutschland. Das heißt, das ist eine innere Angelegenheit in der Bundesrepublik Deutschland, obwohl manchmal die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland die Außenangelegenheiten der Türkei sind. Aber trotzdem: wie gesagt, mit dieser Problematik sollte die bundesdeutsche Wohnbevölkerung selbst fertig werden. Natürlich: Diese populistischen Parolen, wie von Horst Seehofer verlangt wird, dass von den anderen Kulturkreisen keine Menschen die Bundesrepublik als zusätzliche Zuwanderer aufnehmen sollte, das wird natürlich hier in der Bundesrepublik von den türkischstämmigen Menschen nicht gut geheißen.

    Zurheide: Was kann man oder was würden Sie erwarten, damit eine andere Stimmung wieder kommt?

    Külahci: Jeder Politiker muss doch sich verantwortlich verhalten, also seriös verhalten. Mit solchen populistischen, sogar rechtspopulistischen Parolen kann man in diesem Lande keine Integrationspolitik durchführen. Das geht nicht. Das schadet dem friedlichen Zusammenleben hier in der Bundesrepublik Deutschland. Selbstverständlich müssen auch die Zuwanderer von ihrer Seite was unternehmen, und das tun die auch, glaube ich, wenn man diese Möglichkeiten gibt. Es gibt leider, wie manchmal auch in den Vordergrund gestellt wird, Menschen, die nicht bereit sind, sich hier zu integrieren, aber das sind eine sehr, sehr kleine Minderheit und man muss doch die guten Beispiele sehen, dass die Integration in der Bundesrepublik Deutschland millionenfach gelungen ist, und das muss man auch nicht übersehen.

    Heckmann: Der Leiter des Berliner Büros der türkischen Tageszeitung "Hürriyet", Ahmet Külahci, war das im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Zurheide.