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"Ich habe einen eingebauten Bullshit-Detektor"

Lorde - so nennt sich die 16-jährige Neuseeländerin Ella Yelich-O'Connor, die als das neue Popwunderkind ausgerufen wird. Die Sängerin mit der beeindruckenden Lockenpracht tritt im Gegensatz zu vielen erfolgreichen Kolleginnen eher zugeknöpft und ein wenig nachdenklich auf.

mit Bernd Lechler | 26.10.2013
    Bernd Lechler: Wie gehst du mit dem wachsenden Erfolg um? Reagieren die Leute schon anders? Ist es manchmal schwer, Ella zu sein - statt Lorde?

    Lorde: Manche Leute benehmen sich schon komisch. Aber ich hab einen ganz guten Bullshit-Detektor, sodass ich merke, wenn jemand nicht ehrlich ist. Und ich selber fühle mich sehr geerdet und normal. Aus Neuseeland zu kommen hilft. Wir haben keine Promi-Kultur, weil eh jeder jeden kennt. Da ist Berühmtsein keine große Sache. Andernfalls würde ich mich vielleicht mehr daran aufhalten, dass ein paar ziemlich bekannte Leute gesagt haben, ich sei cool.

    Lechler: Du bist ja nun sozusagen auch schon eine Weile im Musikbusiness, seit diesem Developmentdeal mit zwölf oder dreizehn - wie geht’s dir da? Wie hattest du’s dir vorgestellt?

    Lorde: Das Gute ist, dass ich keine negativen Vorurteile habe, auch nicht gegen die Major Labels - weil ich praktisch schon als Kind mit einem zu tun hatte. Deswegen hab ich das im Griff und kann auch Nein sagen zu Leuten, die das vielleicht schon seit 30 Jahren machen und eine große Nummer sind, aber manchmal eben trotzdem nicht ganz genau wissen, was für meine Musik das Richtige ist.

    Lechler: Musstest du dir das erkämpfen, dass sie dich ernst nehmen?

    Lorde Naja, ich mach’s ja nun schon eine Weile und hatte immer sehr klare Vorstellungen, und die Leute, die mit mir arbeiten, wissen das jetzt. Schwierig ist es immer mit neuen Leuten, die dann über mich hinweg reden, als hätte ich eh keine Ahnung, um was es geht. Oder, die zu meinem Manager sagen: Wie kannst du nur einer 16-Jährigen so viel Mitspracherecht geben!

    Lechler: Welche Art von Entscheidungen betrifft das?

    Lorde: Ernsthaft jetzt? Na, alles! Es passiert so viel im Hintergrund - wie dein Album vermarktet wird, wo Anzeigen erscheinen, in welche Fernsehsendungen man geht ... viele Dinge, die stimmen müssen, damit die Musik wahr und rein und cool bleibt.

    Lechler: Soviel ich weiß, wollte Universal ja erfahrene Profi-Autoren hinzuziehen, aber das lief dann nicht gut ...

    Lorde: Neuseeland ist klein, deswegen hatte ich wenig Erfahrung mit so etwas. Aber dann lernte ich meinen jetzigen Co-Schreiber Joel Little kennen. Er ist 28 und fühlte sich auch als Neuling. Und da hat’s geklickt, wir hatten ähnliche Einflüsse, und er verstand sofort, wo ich hinwollte.

    Lechler: Hattet ihr denn ein konkretes stilistisches Vorbild? Denn das Album klingt sehr ein¬heitlich, sehr entschieden.

    Lorde: Das war viel Arbeit, viele Stunden, um den Sound zu definieren. Aber sobald ich mit Joel anfing, waren wir nah dran. Unsere ersten Demos klangen schon nicht viel anders als jetzt das Album.

    Lechler: Und wann habt ihr das alles gemacht? Nach der Schule?

    Lorde In den Ferien. Das waren immer ein oder zwei Wochen. Ich wartete immer die ganze Schulzeit darauf.

    Lechler: Und während die anderen in den Urlaub fuhren, gingt ihr ins Studio.

    Lorde: Ja. Aber ich liebte das ja, von daher war es auch Urlaub.

    Lechler: Und davor? Wann hast du mit dem Liederschreiben angefangen?

    Lorde: So mit zwölf oder dreizehn. Als ich diesen Vertrag bekam. Den bekam ich ja wegen meiner Stimme. Geschrieben hatte ich bis dahin nicht. Das heißt: Kurzgeschichten, aber keine Songs. Und dann dacht‘ ich, ich probier’s mal.

    Lechler: Wie haben deine Freunde reagiert? Hast du ihnen die Songs vorgespielt?

    Lorde: Keinen Ton - bis ich letztes Jahr ein paar Sachen rausgebracht hab. Ich glaube, sie waren vor allem überrascht, dass ich wirklich Musik gemacht und nicht gelogen hatte!

    Lechler: Du kannst jedenfalls sehr gut mit Sprache umgehen. Hast du viel gelesen?

    Lorde: Oh ja. Seit ich denken kann. Das war sehr nützlich.

    Lechler: Favoriten?

    Lorde: Raymond Carver ist einer meiner Lieblingsautoren. Tobias Wolff find ich toll. Und Wells Tower.

    Lechler: Deine Mutter ist Schriftstellerin ...

    Lorde: Ja.

    Lechler: ... was schreibt sie?

    Lorde: Sie ist Lyrikerin.

    Lechler: Hat sie dir Lektüre empfohlen? Ich zumindest hab Raymond Carver erst viel später entdeckt ...

    Lorde: Ja, sie hat mich auf Carver gebracht, als ich noch ganz jung war, vielleicht elf. Danach hab ich mir die Sachen selber gesucht.

    Lechler: Und hast du deiner Mutter deine Texte gezeigt?

    Lorde: Nein, haha. Ganz bestimmt nicht!

    Lechler: Was sagen denn deine Eltern, wie finden die diese Musikkarriere?

    Lorde: Sie sind sehr stolz auf mich. Ich glaube, sie wollten eigentlich, dass ich studiere. Aber was ich jetzt mache, gefällt ihnen - und sie sehen, dass es mir Spaß macht und mich herausfordert.

    Lechler: Im Song "Ribs" singst du: "Es macht mir Angst, alt zu werden." Was meinst du?

    Lorde: Ich weiß nicht, ich bin ein bisschen ... morbid. Und denke viel an Tod und so Sachen. Eine Seite von mir denkt: Bald bin ich 20. Und dann 30. Und so geht das weiter, und dann ist es vorbei. Dieser Song ... da hatten wir so eine Riesenparty. Als meine Eltern nicht da waren. Und mittendrin dachte ich: Ich werde langsam erwachsen. Und ich weiß nicht, was ich davon halten soll.

    Lechler: Das Thema zieht sich ja durch das ganze Album. Selbst durch deinen großen Hit, "Royals". Wie wurden denn die Royals zu einer Metapher für dich? Hast du dich immer schon für Königshäuser interessiert?

    Lorde: Ja, total, schon als ich noch superklein war. Aber der Begriff war nicht so wahnsinnig spezifisch gemeint. Ich mag halt Wörter, und das schien zu passen. Und jetzt befragen mich Leute zu diesem Song und fragen nach Prince William. Meine Güte, darum geht’s natürlich nicht. Es war mehr - das Leben von mir und meinen Freunden war damals einfach so wahnsinnig weit entfernt von dem Leben, um das es im Hip-Hop oder in Popsongs immer ging. Und ist es immer noch. Nicht nur hatten wir keine Bentleys - wir hatten überhaupt kein Auto, nicht mal einen Führerschein. Nach einer Party liefen wir acht Kilometer nach Hause. Da war nichts cool oder luxuriös. Das wollte ich anmerken. Man kann sich eigentlich mit den kompletten Top Forty nicht wirklich identifizieren. Verrückt, oder? Es ist schließlich "populäre" Musik!

    Lechler: Das "Wir" in "Royals" sind also deine Freunde und du. Keine Generation ...

    Lorde: Haha, nein, nur ich und meine Freunde. Aber man kann das sicher in jede Richtung erweitern ...

    Lechler: Ein Phänomen, das als musikalisch prägend für deine Generation gilt, ist das der Castingshows. Guckst du welche?

    Lorde: Naja, wir hatten in Neuseeland nur "The X Factor". Das hab ich ein bisschen geguckt. Das ganze Land schaut das. Ist eine große Sache. Aber ich fand guten Gesang nie so besonders spannend, und darum geht’s ja bei diesen Shows, um gute Sänger. Zu einem guten Musiker gehört noch so viel mehr, als gut singen zu können.

    Lechler: Und du warst nie versucht, dich zu bewerben?

    Lorde: Nein, haha, niemals.

    Lechler: Und was ist nun mit der Schule? Ist das Thema durch? Oder ist Studieren noch eine Option?

    Lorde: Im Moment mache ich eine Pause. Bin ziemlich busy. Studieren ist eine Option. Irgendwann werde ich mich sicher wieder formal bilden wollen. Aber im Moment bin ich so beschäftigt mit all dem hier. Und lerne ja auch viel. Das passt schon.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.