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"Ich habe keine Stimme der Rache gehört"

Anlässlich der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback vor 30 Jahren durch die RAF hat der ehemalige Regierungssprecher Klaus Bölling seine Hochachtung vor den Angehörigen der Opfer zum Ausdruck gebracht. Deren Leid dauere länger als die längste Haftstrafe, dennoch gebe es keinen Ruf nach Vergeltung, sagte Bölling

Moderation: Jürgen Zurheide | 07.04.2007
    Jürgen Zurheide: Generalbundesanwalt Siegfried Buback wurde exakt heute vor 30 Jahren ermordet. Die RAF tötete ihn, seinen Fahrer und einen weiteren Justizbeamten. Das war der Auftakt zu einer beispiellosen Terrorwelle im Jahre 1977. Über dieses Thema wollen wir reden, und reden wollen wir mit Klaus Bölling, dem früheren Regierungssprecher. Guten Morgen Herr Bölling!

    Klaus Bölling: Guten Morgen Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Bölling, zunächst einmal, wie haben Sie diesen Tag damals in Erinnerung, was bleibt Ihnen da?

    Bölling: Ja, ich zögere, zwischen den verschiedenen Mordtaten nun zu differenzieren, in dem Sinne, dass wir bei dieser nur kriminell zu nennenden Ermordung von Buback stehen bleiben. Es gab ja schon 1975 – Sie werden sich daran erinnern, Herr Zurheide – die so genannte Besetzung, das ist die RAF-Sprache, der deutschen Botschaft in Stockholm. Das sind zwei Beamte, zwei Diplomaten, der Herr von Mirbach und der Herr Hilegaart, erschossen worden, in der Sprache der RAF wiederum, hingerichtet worden. Eine inszenierte Ermordung, dieser beiden Diplomaten. Und dann kam, wie Sie sich auch erinnern werden, die Entführung des mit Helmut Kohl sehr eng befreundeten Peter Lorenz, ein Freund übrigens auch des damaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Schütz, und am 7. April, wie Sie gesagt haben, wiederum das RAF-Wort, die Hinrichtung von Generalbundesanwalt Buback. Es war ja ein Verbrechen nach dem Muster tatsächlich der Mafia. Solche Taten mit zwei Motorradfahrern, von denen der, der auf dem Rücksitz saß, dann geschossen hat, die gab es in der New Yorker Mafia, die gab es in der italienischen Mafia. Also das Muster war klassisch kriminell.

    Zurheide: Da kommen wir gleich noch mal drauf, auf die Taten selbst. Ich würde gerne noch mal auf die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland damals zu sprechen kommen. Die sozial-liberale Regierung war da, man wollte mehr Demokratie wagen, und auf der anderen Seite war eine Gruppe RAF, aber eben auch ein Umfeld, das massiv bis hin zu solcher Gewalt gegen den Staat vorging. Das war ja eigentlich ein Widerspruch, oder?

    Bölling: Ja, das war nur scheinbar ein Widerspruch, denn, wenn die Situation im so genannten deutschen Herbst so wie heute, aber genau lässt sich das natürlich nicht vergleichen, durch soziale Spannungen charakterisiert gewesen wäre, durch viele Arbeitslose und durch eine Unruhe in der gesamten deutschen Gesellschaft, dann hätte man vielleicht Erklärungsgründe finden können. Aber die RAF hatte ja gar kein konkretes Konzept. Das merkt man bis heute, wenn einige der ehemaligen RAF-Leute gefragt werden, was sie denn eigentlich durchsetzen wollten, dann war das ein antiimperialistischer Kampf. Im Falle von Buback sollte ein Repräsentant des Schweinesystems, des Schweinstaates umgebracht werden. Sie hatten ja, die RAF-Leute, ein völlig unrealistisches, selbst gefertigtes Bild von der Bundesrepublik. Sie meinten ja, dass sie einen Auftrag hätten, eine Mission hätten, die unterdrückten Massen in der Bundesrepublik zu befreien von der Ausbeutung durch die bösen Kapitalisten und durch eine reaktionäre Justiz, die einige ihrer Genossen und Genossinnen schon vorher gefasst und in die Gefängnisse gebracht hätten. Bis heute hat niemand nachweisen können, dass es da ein geschlossenes Weltbild gegeben hat, und deshalb ist es unsinnig und irreführend, wenn immer wieder davon geredet wird, es seinen Gesinnungstäter gewesen. Ich habe die Meinhof in Hamburg in den sechziger Jahren kennen gelernt, eine brillante Intelligenz, sehr links und mit revolutionären Ideen, aber immer noch eine Idealistin, bis sie dann mutierte zu einer gewöhnlichen Mörderin.

    Zurheide: Was bewegt Sie, wenn die heute freikommen, die freikommen können? Der Rechtsstaat gebietet das so. Manch einer würde gern Zeichen von Reue sehen. Viele erkennen sie nicht. Wie bewerten Sie das?

    Bölling: Ja, ich stelle mit Genugtuung fest, dass die Kritiker einer Begnadigung von Herrn Klar und die Kritiker der Freilassung von Mohnhaupt auf Bewährung keine Rachegedanken äußern. Das ist nicht der Sohn Buback allein und der Bruder von Georg von Braunmühl. Ich habe keine Stimme der Rache gehört, aber viele der Angehörigen sehen – so wie ich übrigens auch – noch keine wirkliche Gerechtigkeit. Die Argumentation, sie haben eine in der Tat sehr, sehr lange Haftstrafe verbüßt, und nun muss eigentlich jeder gute Christ sagen, jetzt kommt die Versöhnung. Aber dazwischen gibt es noch eine Lücke. Es gibt ja nur eine abgestufte Gerechtigkeit, denn es gibt doch einige, wie Sie wissen, Mordtaten, zum Beispiel an Alfred Herrhausen, an Rohwedder, an Beckurt, an Zimmermann und an einigen Polizisten, die bis heute unaufgeklärt sind. Nach dem deutschen Recht ist Frau Mohnhaupt und Frau Haule nicht verpflichtet zu sagen, ob sie etwas wissen, und das ist moralisch zu verurteilen. Das macht mir heute noch Kopfschmerzen, und ich glaube, dass diese Menschen innerlich – das wünschte ich eigentlich auch – nie zur Ruhe kommen. Reue – das wissen wir – kann simuliert werden, kann gespielt werden.

    Zurheide: Letzte Frage, Herr Bölling: Müssen wir mehr die Opfer in den Blick nehmen?

    Bölling: Ja, unbedingt. Man kann nur Bewunderung haben für die Angehörigen, die nicht nach Vergeltung rufen. Aber es ist interessant und eigentlich sehr beklagenswert und es ist eine Selbstauskunft unserer Gesellschaft, dass einige Leute tatsächlich sich mehr um das Schicksal der Terroristen kümmern, als dass sie darüber nachdenken, wie sich Menschen fühlen. Deren Leid dauert länger als die längste Haftstrafe.

    Zurheide: Vielen Dank für das Gespräch.