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"Ich habe nie versucht, ein 'Auschwitz-für-Anfänger-Buch' zu schreiben"

"Als ich gehört habe, dass Kindern mit 'Maus' der Holocaust erklärt wird, habe ich mich geärgert", sagt der Comic-Zeichner und Autor Art Spiegelman. "Maus" sei kein Buch für Kinder. Das Kölner Museum Ludwig zeigt zurzeit eine Retrospektive, in der beide Bände von Maus und ein Querschnitt von Spiegelmans anderen Arbeiten gezeigt werden.

mit Kai Löffler | 21.09.2012
    Kai Löffler: Art Spiegelman, Ihr Comic "Maus" wird jetzt, zwanzig Jahre später von einer ganz neuen Generation entdeckt. Wie ist denn heutzutage das Feedback?

    Art Spiegelman: Sogar mehr als zwanzig Jahre; ich glaube 1986 hat das alles angefangen. Damals waren alle überrascht; es gab einfach keinen Kontext für "Maus". Inzwischen ist "Maus" aber, zumindest in Amerika, quasi Teil des Kanons geworden. Es wird in Schulen unterrichtet, von der Unterstufe bis zum Hauptstudium an Universitäten. Nicht immer nur als Geschichte des Dritten Reichs, sondern auch als postmoderne Literatur, oder in Kursen über dysfunktionale Familien, unter anderem. Deshalb hat sich das Buch inzwischen mehr etabliert als viele andere Bücher. Heutzutage halten sich die meisten ja ungefähr so lange wie Joghurt: Drei Wochen lang stehen sie in den Regalen der Buchhandlung und das war's dann. Gerade auch, weil es jetzt in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde, erscheint mir "Maus" inzwischen wie klassische Literatur, und nicht mehr wie eine Randerscheinung, etwas was damals für mich ganz natürlich war, aber auch einige Leute schockiert hat. Diese Wahrnehmung hat sich radikal verändert.

    Löffler: Sie haben gesagt, sie wollten mit "MetaMaus" einen Schlussstrich ziehen und das Kapitel "Maus" abschließen.

    Spiegelman: Ich habe inzwischen akzeptiert, dass das nicht machbar ist. Es funktioniert einfach nicht. Zum Beispiel muss ich jetzt so "Meta" wie möglich sein, und Gespräche über "MetaMaus" führen. Also ein Gespräch über ein Gespräch über ein Gespräch. Wissen Sie, ich will auch nicht auf den kommerziellen Erfolg spucken; das wäre ein Schlag ins Gesicht für die Leute, die das Buch mögen; und ich will ja auch, dass sie es mögen. Ich habe 13 Jahre mit dem Projekt verbracht, aber mir fällt es manchmal schwer, in einem Kontext zu arbeiten, den ich erst mit "Maus" selber geschaffen habe. Wodurch ja sogar ein neues Genre - die Graphic Novel - entstanden ist, das andere Bücher, die nach Maus erschienen sind, beeinflusst hat. Das ist schon alles gut so, außer dass ich für meine zukünftigen Arbeiten wohl ins Zeugenschutzprogramm gehen und meinen Namen ändern muss.

    Löffler: Sie wissen ja wahrscheinlich, dass man in Deutschland mit der Thematik etwas anders umgeht. Und gerade in den letzten Jahren werden auch immer wieder Stimmen laut, die sagen, das ist jetzt eine ganz neue Generation. Können wir nicht endlich aufhören, über den Holocaust zu reden und endlich damit abschließen? Wie sehen Sie das?

    Spiegelman: Ambivalent. Einerseits stimmt es, wir haben in jedem Jahrzehnt neue Krisen, neue Probleme. Und Völkermord ist kein spezifisch deutsches Problem, sondern ein weltweites, denn es kommt immer wieder...verdammt nochmal. Man kann es also unmöglich ignorieren, aber es ist auch wichtig, dass es nicht zu einem mechanischen und scheinheiligen Ritual wird, also zu sagen "oh ja, wir dürfen es nie vergessen", aber eigentlich wissen wir nicht mal, was wir nicht vergessen wollen. Was? Das irgendetwas Schlimmes passiert ist. Und mir hängt auch der neue Trend, das neue Genre zum Hals raus, das ich "Holokitsch" nenne. Jedes Jahr bei der Oscarverleihung scheint es einen speziellen Preis zu geben für... Auschwitz. Bester Auschwitz Film des Jahres, wissen Sie? Und als "Maus" entstanden ist, gab es so gut wie keine Popkultur-Literatur über den Völkermord. In Folge war meine erste Reaktion, als ich gehört habe, dass Kindern mit "Maus" der Holocaust erklärt wird, dass ich mich geärgert habe. Zunächst mal ist es kein Buch für Kinder. Und ich habe auch nie versucht, ein "Auschwitz für Anfänger" Buch zu schreiben, das war nicht das Ziel. Ich bin natürlich dankbar, dass das Buch jetzt so viel Erfolg hat, aber ich mache mir Sorgen, dass es vielleicht zum Teil dieser ritualisierten Massenkultur wird, die so viel Aufmerksamkeit sucht.

    In Deutschland herrscht natürlich schon eine besondere Situation. Es ist ein Land entstanden, das wirklich ein Gefühl für die Ereignisse der Vergangenheit bekommen hat. Ich bin mir nicht so sicher, was den früheren Osten angeht, da kenne ich mich einfach nicht aus, für mich ist das immer noch so ein bisschen wie der Wilde Westen. Aber in Westdeutschland, gerade weil es den Leuten so aufgedrängt wurde, ist eine Situation entstanden, in der Deutschland sich besser verhält. Und wenn es mal einen Fehler begeht, dann meisten mit den besten Absichten, wie zum Beispiel Beschneidung zu verbieten, als religiöse Barbarei. Ich sehe das auch so, es ist Barbarei. Aber es ist halt auch ein heikles Thema.

    Löffler: Um beim Thema Politik und Religion zu bleiben: Sie verfolgen ja sicher auch die Debatte um den "Unschuld der Muslime"-Film. Also über die Absicht des Regisseurs und die Qualität des Films muss man eigentlich gar nicht diskutieren...

    Spiegelman: Ich habe da eine sehr klare Meinung. Ich weiß nicht, ob man sie hier gezeigt hat, aber... wann erschienen diese ersten Mohammed-Karikaturen? 2005? Oder 2006, so um den Dreh? Nach diesen Cartoons habe ich die Geschichte obsessiv verfolgt. Schließlich ist es das Größte, was je mit Cartoons passiert ist. Die sind ja sonst eher ein Randthema. Ich habe meine Arbeit vernachlässigt und statt dessen viel Zeit im Internet verbracht. Das konnte man nur online sehen, denn keine Zeitung hat die Cartoons abgedruckt. Ich hatte also diese Obsession, und der neue Herausgeber von Harpers Magazine kam vorbei, um mich als Comiczeichner anzuwerben. Ich habe also gesagt, okay, aber ich komme jetzt schon mit meinen Abgabeterminen nicht nach, weil ich nicht von diesen verdammten Mohammed-Cartoons loskomme. Er meinte dann: Dann machen Sie das halt für uns. Wir drucken alles, was Sie über die Mohammed-Cartoons machen. Daraus wurde eine Titelstory namens "Drawing Blood" - "Böses Blut". Es ging um die Geschichte des Cartoons. Der Karikaturist Daumier ist zum Beispiel im Gefängnis gelandet. Oder es ging um Cartoonisten aus dem Ersten Weltkrieg, die gegen unsere Teilnahme am Ersten Weltkrieg protestiert haben und dann als Verräter vor Gericht standen. Und während ich an diesem Artikel gearbeitet habe, ist mir aufgegangen, dass diese Cartoons - und genau das passiert jetzt auch mit diesem Film - das sind, was Alfred Hitchcock als "McGuffin" bezeichnet hat. Also etwas, das die Handlung vorantreibt, eine Entschuldigung für alles, was folgt. Und diese Cartoons damals waren einfach nur eine Entschuldigung für ein paar geisteskranke Mullahs, um eine Krise herbeizuführen, indem sie auch noch gefälschte Cartoons zu einer internationalen Konferenz mitgebracht haben. Damit haben sie ein Problem aus dem Nichts erzeugt und diese armen Leute, die einfach nur glauben, zu Aufständen angetrieben, ohne dass die meisten von ihnen die Cartoons auch nur gesehen hätten. Sie wussten nur, dass der Prophet beleidigt war. So ist es auch jetzt. Es geht nicht um diesen sehr dummen, unbedeutenden Clip auf Youtube. Der dient nur als Vorwand, um diese Situation herbeizuführen, diesen Kulturkampf, von einigen Funktionären in arabischen Ländern. Man hätte auf diese Beleidigung ja nicht eingehen müssen. Auch wenn man respektvoll sein möchte, muss man das hinterfragen. Es geht einfach nicht, weltweit in einer Situation zu leben, in der gegen einen Schriftsteller eine Fatwa herausgegeben wird, die ihn zehn Jahre seines Lebens kostet, und in der er ständig Angst haben muss, dass irgendein Verrückter hinter ihm her ist. In einigen der Cartoons ging es um diese Situation, und um die dumme Provokation, denn es war einfach eine dumme Provokation vonseiten dieser rechten Zeitung.

    Löffler: Ich erinnere mich an ein Interview vor vier Jahren, wo Sie gesagt haben, dass sie Obama wählen werden, und es wäre ja gewissermaßen so, dass die Republikaner das Haus nach acht Jahren in Trümmern zurückgelassen haben, und er könne jetzt kommen und aufräumen. Finden Sie denn, dass er gut aufgeräumt hat? Und wie sehen Sie dieses Mal die Wahl?

    Spiegelman: Also... wie ich damals gesagt habe, ich habe erwartet, dass Obama mich enttäuscht. Und natürlich hat er mich auf der ganzen Linie enttäuscht. Und doch... ich habe mein Leben lang für das kleinere Übel gestimmt. Und ich kann Obama nicht als Helden sehen, aber ich sehe ihn als das kleinere Übel. Zumindest ist er vernünftig, wie es scheint. Und in einem Land, dass nur zwei rechte Parteien hat, ist es besser, die weniger rechte Partei zu wählen. Ich hatte zum ersten Mal überlegt, vielleicht wähle ich dieses Mal nicht. Es bringt eh nichts, es ist Propaganda, dass wir in einer Demokratie leben, Wahlen sind käuflich, und deine Stimme zählt nicht in einem System, das durch Wahlmänner, Bezirke und eine ganze Reihe von Mechanismen Leute systematisch davon abhält, in ihrer Regierung eine Stimme zu haben. Deshalb dachte ich dieses Mal... zur Hölle damit, New York fällt so oder so an die Demokraten, egal ob ich zu Hause bleibe und zeichne oder rausgehe und wähle. Aber auf der anderen Seite sind die Gegenkandidaten, Romney und Ryan, einfach so widerwärtig, so korrupt und untragbar, dass ich - alleine schon der Geste wegen – das kleinere Übel wähle.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.