Donnerstag, 28. März 2024

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"Ich habe wirklich gedacht, ich komme dort nie raus"

Der vom amerikanischen Geheimdienst CIA entführte Deutsche Khaled el Masri ist nach eigenen Angaben während seiner fünfmonatigen Haft geschlagen und gedemütigt worden. Ihm sei stets bedeutet worden, er befinde sich an einem Ort ohne Gesetze, an dem alles passieren könne, sagte el Masri. Er wisse noch immer nichts über die Motive der Entführer, die er für CIA-Mitarbeiter halte. Er bestätigte, in einem Fall von einem Mann verhört worden zu sein, dessen Muttersprache deutsch gewesen sei.

Moderation: Hans-Joachim Wiese | 12.12.2005
    Hans-Joachim Wiese: Das haben sich die Akteure der großen Koalition sicher auch anders vorgestellt: Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit müssen sie sich mit einem Erbe der vergangenen rot-grünen Bundesregierung herumschlagen, das reichlich politischen Sprengstoff in sich birgt. Die Rede ist von der so genannten El-Masri-Affäre. Was wusste die Regierung von der Verschleppung des deutschen Staatsbürgers Khaled El Masri durch die CIA? War der Bundesnachrichtendienst sogar möglicherweise mit der Entführung verbunden? Hat er dem US-Geheimdienst etwa Tipps gegeben? Die Affäre entwickelt sich immer mehr zur ersten großen Belastungsprobe für die schwarz-rote Bundesregierung. Ende 2003 wurde Khaled El Masri in Mazedonien verschleppt. Das ist jetzt fast genau zwei Jahre her. Die ganze Zeit über hat sich kaum jemand für sein Schicksal interessiert, jetzt plötzlich steht er im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion und sein Fall bringt sogar deutsche Spitzenpolitiker, wie Außenminister Steinmeier und Ex-Innenminister Schily in Bedrängnis. Gestern hatte ich die Gelegenheit, ein Interview mit Kahled El Masri zu führen. Ich fragte ihn zunächst, wie er sich heute fühlt:

    Kahled El Masri: Also das ich halt wirklich jetzt ein bisschen vorwärts komme, um den Fall geklärt zu bekommen.

    Wiese: Im Mittelpunkt des Interesses steht ja die Frage, ob die CIA Sie mit Wissen, ja vielleicht sogar mit Unterstützung deutscher Behörden, also des Bundesnachrichtendienstes, entführt hat. Das wird derzeit ja noch heftigst dementiert. Haben Sie dafür dennoch irgendwelche Anhaltspunkte?

    El Masri: Ich kann wirklich dazu überhaupt nichts sagen. Ich kann nur halt die Fakten nennen, meine Geschichte erzählen, aber wer, wie, wo, was - das möchte ich sehr gerne wissen, und ich bin wirklich sehr interessiert, so wie Sie.

    Wiese: Sie sind ja von Mazedonien nach Afghanistan gebracht worden und wurden dort mehrfach verhört. Sie wurden auch von einem gewissen "Sam" verhört. Glauben Sie, dass dieser "Sam" ein Deutscher war?

    El Masri: Als Person er ist ein Deutscher, also ich kann wirklich sehr gut ein Deutscher erkennen, ob er auch wirklich Deutscher ist, oder nicht, von seine Akzent, von sein Aussehen und der Eindruck auch, so wie er mir gesagt hat, der fliegt nach Deutschland und er wird Rücksprache mit deutsche Behörden halten und solche Sachen halt. Ob er ein Deutscher, der für die CIA gearbeitet hat, das weiß ich wirklich nicht.

    Wiese: Was wollte dieser Sam denn im Einzelnen von Ihnen wissen?

    El Masri: Er hat die gleichen Fragen, was die Amerikaner mich die ganze Zeit in Afghanistan oder Mazedonien gefragt haben. Und dann hat er mir gesagt, "Wie soll ich Ihnen helfen", wenn ich mit ihm nicht so kooperativ sei und so weiter.

    Wiese: Was wollten die Amerikaner denn von Ihnen wissen?

    El Masri: Über irgendwelche Aktivitäten in Neu-Ulm und Ulm, über Personen in Neu-Ulm und Ulm, solche Fragen.

    Wiese: Sind Sie bei diesen Verhören bedroht worden von den Amerikanern?

    El Masri: Ja freilich, vom ersten Tag, also vom Verhalten und das hat er mir auch ganz am Anfang von erster Vernehmung gesagt: "Sie sind hier in einem Land, wo keine Gesetze gibt und wissen Sie, was das heißt? Dass wir hier Sie begraben können und niemand weiß von Ihnen was."

    Wiese: Wie war die Behandlung durch diejenigen, die Sie verhört haben. Es ist da ja immer wieder die Rede von Folter gewesen. Gerade haben Sie gesagt, Sie sind bedroht worden. Sind Sie auch in der Tat im Sinne des Wortes gefoltert worden?

    El Masri: Also ich wurde geschlagen, gedemütigt.

    Wiese: Gedemütigt in welcher Form?

    El Masri: Die Einzelheiten möchte ich halt nicht der Öffentlichkeit präsentieren, aber das steht schon bei der Polizei in der Akte.

    Wiese: Und diejenigen, die das getan haben - da sind Sie sich sicher - waren Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes CIA?

    El Masri: Zumindest haben die mir das in Afghanistan auch gesagt, weil immer wenn ich was verlangt habe oder gesagt habe, sie haben mir gesagt, "Ich kann darüber nicht entscheiden. Wir werden das weiter nach Washington leiten". Und dann kam irgendwann einer und hat mir gesagt, er kommt extra aus Washington wegen meinem Fall und er möchte ein paar Fragen stellen und solche Sachen. Die Amerikaner dort haben schon gesagt, dass sie Amerikaner sind.

    Wiese: Herr El Masri, was haben Sie während dieser Verhöre empfunden? Hatten Sie dabei richtiggehend Todesangst ausgestanden?

    El Masri: Die ganze Zeit.

    Wiese: Diese Situation, in der Sie da lebten, in den Gefängnissen, und Sie wurden bedroht, oder hatten es zumindest so empfunden, wie hat sich diese Todesangst bei Ihnen eingestellt? Wie war das?

    El Masri: Ich habe wirklich gedacht, ich komme dort nie raus, weil ich hatte nicht die Möglichkeit mit irgendjemand zu sprechen. Die haben mich so behandelt - also ich weiß nicht, wie ich das erklären soll - also kein Kontakt und wenn ich Kontakt zu deutschen Behörden oder irgendjemand verlangt habe, wurde halt einfach ignoriert. Ich habe gedacht, wirklich, komme ich nie raus.

    Wiese: Sie waren da also in diesen Zellen völlig isoliert. Wie waren die Zellen als solche? Waren die eingerichtet einigermaßen, oder waren das ganz kahle Zellen, kalte Zellen?

    El Masri: Die Zellen am Anfang waren schmutzig, wir hatten nur eine Decke in dieser Zelle, alte Kleider zusammengebunden als Kopfkissen und also das Essen und Trinken, da kann man wirklich - wenn ich mich daran erinnere muss ich mich übergeben. Und ganz plötzlich und ganz schnell wurde alles renoviert, alles gemacht, neue Teppiche, neue Betten, besseres Wasser und so weiter.

    Wiese: Worauf führen Sie das zurück? Dann kam ja in dieser Zeit wohl auch dieser besagte Sam zum Verhör?

    El Masri: Drei Tage bevor der Sam kam, wurden alle Häftlinge woanders verlegt, in einem Seecontainer, bis auf ich und weitere zwei. Und seit der Sam kam, ich wurde nie wieder so mit Handschellen und Ketten an den Füßen zur Vernehmungsraum vorgeführt. Früher war das mit den Amerikanern immer so, dass wir, wenn zu Vernehmungsraum gebracht wurden immer mit Handschellen und Ketten an die Füße. Seit der Sam war, hat sich alles geändert. Wenn ich komme, dann war auf dem Tisch Tee, Kekse, Bonbons und so weiter.
    Wiese: Um diese Zeit wurde ja auch die Bundesregierung von der amerikanischen Regierung über Ihren Fall informiert: Es sei ein Versehen gewesen, wurde mitgeteilt. Führen Sie ihre bessere Behandlung darauf zurück, dass die Bundesregierung dann versucht hat, Sie nach Deutschland zurück zu holen?

    El Masri: Ich weiß nicht, ich war damals überhaupt nicht informiert, was draußen geht, ob jemand überhaupt was weiß von mir oder nicht. Ich wusste überhaupt nichts.

    Wiese: Herr El Masri, hinter ihrer Entführung steckt ja die Vermutung der Sicherheitsbehörden, Sie hätten Verbindungen zu radikalen Islamisten. Hatten Sie oder haben Sie denn solche Verbindungen?

    El Masri: Ich habe gar keine... - was, was versteht man Islamisten oder Islamist? Das weiß ich nicht. Ich war mehrmals im Multikulturhaus, ich kenne den Reda Seyam, ich habe mit ihm ein paar Mal was eingekauft, ich habe ihm beim Umzug geholfen. Ich kenne Dr. […].

    Wiese: Reda Seyam, von dem Sie gerade erzählten, ist ein Deutsch-Ägypter, gegen den der Generalbundesanwalt wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermittelt.

    El Masri: Ich weiß nicht, was mit ihm. Ich habe halt auch damals so in der Zeitschrift mal was über ihn gelesen und so und da habe ich mir gedacht: Wäre er wirklich irgendwie ein Terrorist oder irgendwas, der wäre doch nicht die ganze Zeit auf freiem Fuß. Und bei mir hat es diesen Eindruck erweckt. Er ist halt gläubig, so wie ich ihn kenne und so, aber irgendwelche Aktivitäten, wusste ich nichts.

    Wiese: Sind Sie selber ein gläubiger Moslem?

    El Masri: Also ich bete fünf Mal am Tag, ich gehe jeden Freitag in die Moschee auch.

    Wiese: Wie ist Ihr derzeitiges Verhältnis zu den deutschen Behörden? Fühlten oder fühlen Sie sich von der jetzigen und von der vorherigen Bundesregierung ausreichend unterstützt?

    El Masri: Ich kann dazu wirklich überhaupt nichts sagen, und ich möchte mich nicht an die Angaben von Medien so stützen.

    Wiese: Hat denn diese ganze Affäre, dieser ganze Fall, der ja nun zwei Jahre Sie belastet, hat der Auswirkungen negativer Art auf ihr privates Leben, auf Ihr privates Umfeld gehabt?

    El Masri: Ich bin nicht mehr die Person, die zuvor gelebt hat.

    Wiese: Ist Ihre Familie noch intakt?

    El Masri: Ich bin zusammen mit meiner Familie und Kinder, ja.

    Wiese: Wie geht es jetzt weiter in Zukunft? Sie haben ja einen Rechtsbeistand, einen Anwalt, Herrn Gnjidic. Werden Sie klagen? Und wenn ja, gegen wen werden Sie klagen?

    El Masri: Also wir haben halt gegen CIA in Amerika und wie das weiter geht, ich weiß wirklich nicht. Also mein Anwalt kümmert sich um das Ganze. Wie weit ist er und wie das geht, ich weiß wirklich nicht, ich habe keine Ahnung.

    Wiese: Das war in den Informationen am Morgen der von der CIA verschleppte Deutsche Staatsbürger Khaled El Masri. Das Interview hatten wir gestern aufgezeichnet.