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"Ich kann nur mein Leben leben."

Der Schein trügt: Die amerikanische Erfolgsskifahrerin Lindsey Vonn kämpft mit einer Reihe von persönlichen Problemen. Nun nahm sie erstmals mitten in der Saison eine Auszeit vom Sport. Wann sie zurückkehrt, ist ungewiss.

Von Jürgen Kalwa | 22.12.2012
    Sie tritt in einer Disziplin an, die es in ihrer Heimat nur alle vier Jahre auf den Radarschirm der Medien schafft. Zu den Winterspielen. Doch dafür hat sie es erstaunlich weit gebracht. Was vermutlich an ihrer Beständigkeit liegt. Und an ihrer Zielstrebigkeit. Vier Gesamtweltcup-Erfolge, eine Goldmedaille und die mit Abstand beste Fahrerin auf den spektakulärsten Abfahrtstrecken – das haben irgendwann auch ihre amerikanischen Landsleute registriert und machen ihr Komplimente. Wie Spätabend-Talk-Show-Gastgeber David Letterman:

    Lindsey Vonn:

    ""You sound like a genius in ski racing. You know everything.”"

    David Letterman lacht:

    ""Thank you very much. Du bist sehr schön.”"

    Ehrenauszeichnungen erhält sie auch. So wie den ESPY, bei dessen Verleihung sie vor einem Jahr Justin Bieber im Publikum entdeckte und ihn um ein gemeinsames Foto für ihre Facebook-Seite bat:

    ""Most importantly I want to thank the fans. Thank you so much for voting. You guys are everything. Justin...Bieber, will you take photo for my Facebook page? Okay. Cool.”"

    Es ist ein Spiel. Ein Flirt mit den Erwartungen, die an eine attraktive 28-jährige Frau in den USA schon mal gestellt werden. Wozu es gehört, publikumswirksame Auftritte zu absolvieren. So sah sie bei den Bikini-Fotos für die "Swimsuit Edition” von Sports Illustrated so aus, als sei an ihr ein Playboy-Model verloren gegangen.

    Je berühmter, desto größer die Neugier. So hetzte im Herbst des letzten Jahres, nachdem sie die Trennung von ihrem Ehemann, Trainer und Manager Thomas Vonn bekanntgegeben hatte, die gefürchtete Promi-Sendung "TMZ” hinter ihr her und fragte nach ihrem Beziehungsstatus. Sie nahm es mit Humor:

    ""I know you’re saying that there’s nothing going on.”"

    ""I am single.”"

    ""Totally single?”"

    ""I am totally single.”"

    So sind denn auch mittlerweile die Schlagzeilen ziemlich groß, wenn sie – wie vor wenigen Wochen – ihr Interesse kundtut, in der Abfahrt gegen die Männer anzutreten. Oder wenn es um den Aufenthalt im Krankenhaus wegen einer Darminfektion geht. Und natürlich machte das Eingeständnis einer Depressionserkrankung und der dazugehörigen Tablettenbehandlung die Runde.

    Das nimmt sie in Kauf, wie sie vor einem Jahr in einem Interview in erstaunlich gutem Deutsch dem österreichischen Fernsehsender ORF sagte:

    ""Also die Medien wollen Drama, das ist oft in meiner Karriere passiert. Mit Maria. Und so weiter. Das kommt dazu. Und ich weiß das. Ich weiß, wer ich bin und was ich mache. Ich kann nur mein Leben leben.”"

    Zu diesem Anspruch auf Selbstbestimmung gehört, dass sie vor wenigen Tagen mitten in der laufenden Saison eine Auszeit nahm. "Ich habe Mühe, die Energie zu finden, die ich normalerweise habe”, ließ sie über Facebook ausrichten.

    Aber wieso fehlt die? Hatte Lindsey Vonn nicht gerade erst in Lake Louise zwei Abfahrtsrennen und einen Super-G gewonnen? Ja. Aber Mitte Dezember war sie zweimal gestürzt. In Val d’Isère auf dem Abfahrtshang und in Courchevel beim Riesenslalom.

    Energie brauchte Lindsey Vonn zuletzt immer wieder. Nicht nur weil sich die Scheidung und der Finanzausgleich zu Gunsten des Ehemannes hinquält. Im April schlug plötzlich das Finanzamt mit einem Pfändungsbescheid über 1,7 Millionen Dollar zu. Es ging um Steuerschulden für das Jahr 2010. Eine Summe, die andeutete, dass Vonn pro Jahr mehr als fünf Millionen Dollar brutto verdient und sich um die Details kaum gekümmert hatte.

    Immerhin konnte durch die Trennung eine zerbrochene Beziehung wieder gekittet werden. Die Rede ist nicht von dem vielerorts vermeldeten Auf und Ab zwischen ihr und ihrer langjährigen Freundin Maria Höfl-Riesch. Nein. Vom Ende einer sieben Jahre langen totalen Sendepause zwischen ihr und ihrem Vater: Alan Kildow, der Mann, der sie im Alter von drei auf einen kleinen Skihügel in ihrer Heimat in Minnesota gebracht hatte und ihretwegen mit der Familie nach Vail in Colorado gezogen war. Und zwar allein, um Lindsey die Chance zu geben, sich sportlich zu entwickeln.

    Der Mann war wohl zu ehrgeizig und meckerte viel. Und er hatte starke Vorbehalte gegen Thomas Vonn, den Schwiegersohn in spe, Lindseys ersten Freund, den sie mit 18 kennengelernt hatte.

    Sie sah damals nur einen Weg, und den ging sie konsequent. Sie ist wohl der Typ. Ein Typ, der intensiv an Dingen kaut, wenn es nicht gut läuft. Und dass es derzeit nicht gut läuft, steht fest. Denn vor allem eine Konkurrentin macht ihr erheblich zu schaffen: die Slowenierin Tina Maze. Sie dominiert in dieser Saison und gewann die ersten vier Riesenslaloms und eine Super-Kombination.

    Sich gegen eine solche Widersacherin durchzusetzen, ist schwierig. Zumal Vonn noch Ziele hat: Ihre Karriere will sie nicht vor der Weltmeisterschaft in ihrem Heimatort Vail 2015 beenden.

    ""Ich kann vielleicht zum Schluss meiner Karriere eine Weltmeisterschaft haben und hoffentlich gewinnen. Das wäre für mich ein großes Karriere-Highlight.”"

    Und bis dahin will sie in der Statistik der Weltcup-Erfolge die legendäre Annemarie Moser-Pröll überflügeln. Das kündigte sie den Österreichern in deren Fernsehen schon mal an. Der Zwischenstand: Moser-Pröll? 62. Vonn? 56.