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"Ich konnte 'n bisschen besser Fußball spielen als andere"

Horst Szymaniak, der soeben seinen 75. Geburtstag gefeiert hat, galt als legitimer Nachfolger Fritz Walters im Mittelfeld der deutschen Nationalmannschaft. Lange vor Franz Beckenbauer ging er in die US-Profiliga. Szymaniak war einer der populärsten und besten Nationalspieler der 50er- und 60er-Jahre. Heute lebt er in einem Altenheim bei Osnabrück.

Von Eckart Müller | 13.09.2009
    Wenn man bei Fußballern von der "Tiefe des Raumes” spricht, kann man dies bei Horst Szymaniak noch ganz anders deuten: Nach der Volksschule musste der am 29. August 1934 Geborene als Bergmann im westfälischen Erkenschwick einfahren - eine mehr als schwere, ungesunde Arbeit. Hatte er sonntags gut gespielt, honorierten seine Kumpels dies, indem sie ihn unter Tage ausschlafen ließen, erzählt Szymaniak bei einem Besuch in der stillgelegten Zeche 2002:

    "Ich hab mit einem älteren Herrn zusammen gearbeitet. Und der hat montags immer geschimpft, weil ich oft gefehlt habe. Sonntags musst' ich Fußball spielen. Und - ich war drei Jahre oben - und hab dann gut zwei Jahre unter Tage gemacht. Das waren damals 800 Meter, nä. Ich wollte eigentlich, aus dem Pütt wollt ich eigentlich raus."

    Schon bald konnte Szymaniak das Bergwerk verlassen. Ab 1953 war er, für 180 Mark im Monat, sogenannter Vertragsspieler in Erkenschwick. 1955 wechselte "Schimmi”, wie er gerufen wurde, dann zum Wuppertaler SV. Frische Luft gab's nun auch beruflich: Der 21-Jährige wurde zum Leiter einer städtischen Hygieneeinrichtung:

    "Ich war Bademeister in Wuppertal, nä. Wir hatten ein Wannen- und Brausebad, das sehr gut lief, aufgrund meines Namens und so weiter, nä."

    Nach seinem Debüt als linker Läufer in der Nationalmannschaft 1956 avancierte Szymaniak zu einem Lieblingsspieler Sepp Herbergers. Immerhin bis ins Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft 1958 in Schweden drang seine Mannschaft vor. Neben deutschen interessierten sich nun auch große internationale Vereine für den Fußballer aus dem Ruhrgebiet. Nachdem Szymaniak 1959 mit dem Wuppertaler SV aus der Oberliga West abgestiegen war, flog er nach Mallorca in den Urlaub, um dort die Angebote zu sichten.

    In der Tat muss es um viel Geld gegangen sein. Real Madrid hatte sich das Erstkaufsrecht am Nationalspieler gesichert, doch neben Real-Vertretern flogen auch Trainer und Präsident des Karlsruher SC ein - und überzeugten Szymaniak zum Wechsel von der deutschen Oberliga West in die Oberliga Süd.

    1961 war es dann so aber weit: Horst Szymaniak verließ mit 26 Jahren die deutsche Fußball-Provinz und wechselte nach Italien, zum sizilianischen Erstligisten Calcio Catania. Und dies für eine damals außerordentlich hohe Summe: 200.000 DM Handgeld, dazu 2.000 DM Gehalt, eine Wohnung und Auto.

    Mit diesem Wechsel war "Schimmi" auch der erste aktive deutsche Nationalspieler, der ins Ausland ging - und nicht aus dem Kreis der Nationalmannschaft herausfallen musste. Nach zwei Jahren in Catania wechselte Szymaniak 1963 zu Inter Mailand - für die sensationelle Ablösesumme von einer Millionen Mark. Zwar wurde er unter dem berühmten Trainer Helenio Herrera italienischer Vizemeister und Europapokalsieger der Landesmeister. Als dritter Ausländer im Team kam er allerdings nur sporadisch zu Einsätzen. Nach einem weiteren, erfolgreichen Jahr beim Aufsteiger FC Varese ließ sich der alternde Fußballstar dann auf eine ganz andere Herausforderung ein: Weil der Berliner Traditionsverein Hertha BSC, unter anderem aufgrund unerlaubter Zahlungen an Spieler, im Sommer 1965 aus der zwei Jahre vorher gegründeten deutschen Bundesliga geworfen wurde, sollte kurzfristig Tasmania 1900 Berlin im bundesdeutschen Fußball vertreten. So wollte es der DFB.

    Obwohl Tasmanias überstürzter Einzug in die Bundesliga von vorne herein wenig erfolgsversprechend schien - die Mannschaft war relativ alt und hatte ihre besten Zeiten bereits hinter sich -, kam der Westfale in die eingeschlossene Großstadt. Doch auch mit Szymaniak kassierte Tasmania Berlin Niederlage um Niederlage mit oftmals demütigenden Ergebnissen. Der ehemalige Bergmann lernte so in Berlin die tiefsten Kellerregionen der Bundesliga-Tabelle kennen: Noch heute sind Tasmanias Misserfolge legendär, die 8:60 Punkte bei 15:108 Toren bildeten den absoluten Tiefpunkt in der Karriere des bereits 31-Jährigen.

    Dabei hatte sich Szymaniak von der Bundesliga auch für seine Laufbahn als Nationalspieler positive Wirkung erhofft. Schließlich stand er weiterhin im Kader für die WM 1966 in England und bestritt entscheidende Qualifikationsspiele im schwarz-weißen Dress, zwei sogar als Kapitän.

    Doch als sich der trinkfreudige Szymaniak nach einem Testländerspiel eine nächtliche Kneipentour erlaubte, strich der neue, feingeistig veranlagte Bundestrainer Helmut Schön den Arbeitersohn kurzerhand aus dem Aufgebot - direkt vor seiner dritten WM.

    Auch die erhofften Angebote aus der Bundesliga blieben nach dem Tasmania-Debakel aus, weshalb Szymaniak notgedrungen noch zweimal ins Ausland wechselte: In der Schweiz hielt es ihn nicht lange, so dass er bereits im Frühjahr 1967 den Sprung in die Professional Soccer League der USA wagte. Doch auch hier blieb er nicht dauerhaft.

    Wieder in Europa erzielte er schließlich noch kleinere Erfolge als Spielertrainer und Trainer - bei unterklassigen Amateurvereinen seiner Heimatregion, in die er nach der großen Karriere zurückgekehrt war.

    Beruflich schlug er sich als Bus- und LKW-Fahrer und Kranführer durch, versuchte sich als Gastwirt im "Haus der sieben Biere". Danach lebte der trotz aller Rückschläge lebensfroh gebliebene Fußball-Veteran, der seine großen Einnahmen durchbrachte, gerne für Freunde mitbezahlte oder schlecht beraten angelegt hatte, hauptsächlich von der kleinen Knappschafts-Rente aus seiner Zeit in der Erkenschwicker Zeche.

    Inzwischen ist es um Horst Szymaniak still geworden, haben ihn alte Fußballverletzungen, zeitweilige Alkoholprobleme, aber auch altersbedingte Krankheiten schwer gezeichnet. Doch von Verbitterung ist bei Horst Szymaniak nichts zu hören, eher zufrieden blickt er auf sein Leben zurück. In einem Dokumentarfilm von 2002 bilanziert der ehemalige Bergarbeiter, was er dem Fußball trotz aller Rückschläge zu verdanken hat

    "Ah, wenn ich, wenn ich jetzt kein Fußball gespielt hätte, dann wär' ich wahrscheinlich, ja, ob ich noch leben würde, weiß ich nich'. Wahrscheinlich nich'. Aber ich hab Glück gehabt, ich konnte 'n bisschen besser Fußball spielen als andere."