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"Ich lasse die Grenzen lieber verschwimmen und bewege mich gerne in Grauzonen."

Er brillierte in "Jane Eyre" ebenso wie in "Eine dunkle Begierde": der US-Schauspieler Michael Fassbender, der als Oscar-Anwärter gehandelt wird. In Corso spricht er über den Erwartungsdruck, seine Leidenschaft für Heavy Metal und den Stolz, Europäer zu sein.

Michael Fassbender im Gespräch mit Sigrid Fischer | 29.12.2011
    Sigrid Fischer: Sie nehmen 15 Kilo ab, um den irischen IRA-Aktivisten Bobby Sands im Hungerstreik zu spielen, Sie spielen einen sexsüchtigen Geschäftsmann – demnächst bei uns zu sehen in "Shame", Sie scheinen auf extreme Charaktere abonniert zu sein und solche Rollen erfordern auch eine intensive Beschäftigung mit diesen Figuren, woher kommt der Antrieb für solche Kraftakte?

    Michael Fassbender: Ich weiß nicht, schon als ich die ersten Fernsehrollen spielte, bekam ich eher die Charakterrollen. Und die haben mich auch von Anfang an interessiert, als ich wusste, dass das mein Beruf werden soll. Ich mag Figuren mit inneren Konflikten, das ist einfach dramatischer und damit interessanter. Ich mag Figuren, die nicht so klar umrissen sind. Ich möchte das Publikum nicht mit klaren Mustern bedienen wie: Das ist der Gute, das ist der Böse. Ich lasse die Grenzen lieber verschwimmen und bewege mich gerne in den Grauzonen. Weil das viel mehr mit dem Leben und den Menschen da draußen zu tun hat, die versuchen, mit sich und anderen klarzukommen.

    Fischer: Das heißt, Ihr Beruf stößt Sie geradezu auf solche Fragen.

    Fassbender: Ich glaube, was ich inzwischen gut oder zumindest besser kann, ist, sehr ehrlich mir selbst gegenüber zu sein. Und der einzige Maßstab, den ich habe, wenn ich die Figuren verstehen will, die ich zu spielen versuche, bin ich selbst. Ich stelle mir also dauernd Fragen, fast so wie ein Psychoanalytiker. Also: Warum verhalten wir uns so oder so? Was wird von uns gesellschaftlich erwartet? Und was davon praktizieren wir tatsächlich? Was passiert, wenn man unter die glänzende Oberfläche schaut?

    Fischer: Wie erklären Sie sich ein Phänomen wie Sexsucht, damit mussten Sie sich ja für Ihren Film Shame auseinandersetzen.

    Fassbender: Nach meinem Eindruck gibt es heute viele Irritationen, vielleicht sogar Angst, weil wir mit so vielen Informationen gefüttert werden. Nicht nur in sexuellen Dingen. Dauernd wird uns erzählt, dass uns nur materielle Dinge glücklich machen, wo wir dies und das erstehen können, mit welchen Leuten wir uns umgeben müssen, um erfolgreich und begehrt zu sein. Wenn man das alles verarbeiten will, kann das Angst hervorrufen und manche Leute versuchen vielleicht, dem zu entkommen, indem sie sich in verschiedene Süchte flüchten. Auch weil alles dauernd verfügbar ist. Nicht nur Sex. Wenn man Hunger hat, kauft man sich was, und wenn man einen Schokoriegel will, dann gab es vor 20 Jahren vielleicht 30 Sorten, jetzt sind es 300 verschiedene. Wir müssen für nichts mehr kämpfen. Für uns ist alles selbstverständlich, und das führt vielleicht zu einer Desensibilisierung, ich weiß es nicht.

    Fischer: Nun gelten Sie, Michael Fassbender, ja auch als Frauenschwarm, als der "Good Looking Guy", müssen Sie Regisseure und Studios manchmal erst davon überzeugen, dass Sie der Richtige sind für die sperrigen Rollen?

    Fassbender: Nein, ich bekomme das Drehbuch zugeschickt, gehe zum Vorsprechen und entweder sagen sie ja oder nein. Und es gab auch viele Neins auf meinem Weg. Aber, so einfach läuft das.

    Fischer: Sie scheinen einen Film nach dem anderen zu drehen, wir haben Sie gerade recht kurz hintereinander in "X-Men", "Eine dunkle Begierde" und "Jane Eyre" gesehen, nächstes Jahr kommen wie gesagt "Shame", Steven Soderberghs "Haywire", Ridley Scotts "Prometheus" bei uns ins Kino. Brauchen Sie nicht mal Pausen zwischen den einzelnen Projekten?

    Fassbender: Doch, jetzt zum Beispiel, drehe ich nichts, ich habe Ende Juli Prometheus beendet, dieses Jahr mache ich nichts mehr, im Januar und Februar wahrscheinlich auch nicht. Mal sehen. Ich arbeite zurzeit mit Autoren an eigenen Stoffen und lege eine Pause ein vom Spielen, um den Aktenschrank mal auszumisten.

    Fischer: Können Sie Ihre Rollen – vor allem wenn sie intensiv sind - einfach abschütteln, oder nehmen Sie die auch manchmal mit nach Hause?

    Fassbender: Schon, aber es hängt immer von der Vorbereitungszeit ab, die man hat. Oft muss ich ja am Ende eines Drehtags noch für die nächsten Szenen lernen. Deshalb habe ich mir über die Jahre angewöhnt, mich immer sehr gut vorzubereiten, damit ich beim Dreh alles am Set lassen kann und außerhalb möglichst nicht mehr daran arbeiten muss. Dann habe ich nach Feierabend auch wirklich frei. Ich möchte ja nicht mit Freunden essen gehen und dauernd über meine Rolle sprechen, was langweilig wäre für sie. Dann hätte ich wohl kaum Freunde. Mir ist es auch wichtig, am nächsten Tag wieder frisch anzufangen. Aber etwas nimmt man natürlich immer mit.
    Fischer: Wann haben Sie diese Leidenschaft für den Schauspielerberuf eigentlich bei sich entdeckt?

    Fassbender: Mit 17, ich wusste noch nicht genau, was ich machen würde. Erst wollte ich Musiker werden, ich war aber nicht gut genug. In der Schule war ich in den meisten Fächern Durchschnitt. Aber dann hat dort jemand Schauspielkurse angeboten, ich habe drei davon besucht und wusste: Das fühlt sich richtig an. Damit ging es los.

    Fischer: Sie wollten Musiker werden – haben Sie nicht auch mal in einer Heavy Metal Band gespielt?

    Fassbender: Ja, stimmt, und ich höre immer noch Heavy Metal.

    Fischer: Richtig laut?

    Fassbender: Sure! Is good fun, yeah.

    Fischer: Und wenn Sie selbst spielen, ich glaube – Gitarre?

    Fassbender: Ja, ich habe eine Gitarre, ich spiele nicht sehr gut, aber es entspannt. Ich kopiere meist andere, Van Morrison, The Band, Jimi Hendrix, die Rolling Stones, die Beatles - ich mag Rock 'n' Roll der 60er.

    Fischer: Michael Fassbender, Sie wurden in Heidelberg geboren. Wie wichtig sind für Sie Ihre deutschen Wurzeln?

    Fassbender: Ich habe noch Familie hier und ich versuche, so oft ich kann, zurück zu kommen. Mein Vater ist Deutscher, etwas davon wird immer zu meinem Leben gehören. Ich würde auf jeden Fall sagen, dass ich mich sehr europäisch fühle. Ich habe vor kurzem eine Europatour mit meinem Vater gemacht. Wir sind in 2 Monaten 8000 Kilometer auf dem Motorrad durch Europa gefahren. Das hat total Spaß gemacht. Und ich bin schon irgendwie stolz, Europäer zu sein. Endlich verstehen wir uns untereinander, nachdem wir uns jahrelang gegenseitig bekämpft haben. Jetzt ist da ein gewisses Verständnis. Mir gefällt es, von Land zu Land zu ziehen und zu sehen, dass die Italiener anders sind als die Deutschen und die Iren und die Briten und die Franzosen, aber dass es trotzdem dieses Band gibt, das uns verbindet.

    Fischer: Werden Sie in Amerika wegen Ihres Namens eigentlich manchmal mit Rainer Werner Fassbinder in Zusammenhang gebracht?

    Fassbender: Ja, früher, als ich angefangen habe, hat man mich öfter mit Rainer Werner in Verbindung gebracht. Je nach Regisseur, manche wissen da nicht so gut Bescheid. Und ich habe in dem Punkt früher auch ein paar Mal gelogen.

    Fischer: Michael Fassbender, Sie haben eben gesagt, dass Sie eigene Stoffe entwickeln wollen, warum zieht es Sie hinter die Kamera, wo es davor gerade so unglaublich gut läuft für Sie?

    Fassbender: Warum nicht? Jetzt ist ein guter Zeitpunkt dafür, denn ich bin jetzt an dem Punkt, wo ich über einen gewissen Einfluss verfüge, und warum soll ich dann nicht so viel ausprobieren, wie möglich?

    Fischer: Durch den Erfolg und die guten Kritiken steigt sicher auch der Erwartungsdruck. Sie werden ja schon als nächster Oscar-Gewinner gehandelt - wie gehen Sie damit um?

    Fassbender: Ich bin in der guten Lage, dass ich Angebote ablehnen oder annehmen kann, ich weiß genau, wie ich mich entscheiden muss, da bin ich in einer glücklichen Situation. Der Druck kommt ja von außen, heutzutage dreht sich alles um Erfolg und Misserfolg. Ich werde irgendwann auch beim Publikum durchfallen, das lässt sich gar nicht vermeiden. Es kommt dann nur darauf an, wie ich wieder auf die Beine komme. Ich möchte so viel lernen wie möglich und mich immer weiter herausfordern und es mir nicht bequem machen. Das ist mir wichtig, darauf konzentriere ich mich. Um alles andere kann ich mich nicht kümmern.