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"Ich möchte ihn trotzdem verstehen"

Der verstorbene rumäniendeutsche Dichter Oskar Pastior soll vor 40 Jahren als Informant für den rumänischen Geheimdienst Securitate gearbeitet haben. Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller sagte in Kopenhagen, die Anschuldigungen seien "sehr bitter", zu Pastiors Werk werde sie aber immer stehen.

Von Marc-Christoph Wagner | 25.11.2010
    Herta Müller war nicht nach Kopenhagen gekommen, um über Oskar Pastior zu sprechen. Der Abend in der Königlichen Bibliothek war seit Monaten angekündigt, seit Wochen restlos ausverkauft. Auf der Bühne saß die Nobelpreisträgerin, um über ihr Leben und Werk zu berichten. Am Ende aber kam auch dieses fast zweistündige Gespräch um die Pastior-Debatte nicht herum:

    "Es ist sehr bitter, ja, es tut mir richtig weh."

    Müller verteidigte Pastior nicht, bemühte sich aber um eine Einordnung, vielleicht sogar um Verständnis für Pastiors Lage - seine Lagererfahrungen, seine Angst vor weiterer Inhaftierung, die Härte des Regimes in den 50er- und 60er-Jahren, die auch ihre Generation so nicht mehr erlebt habe. Und dennoch, so Müller, hätte Pastior ihr gegenüber reden müssen:

    "Ich hätte es eigentlich erwartet. Aber Pastior war im Schweigen in allen Bereichen so geübt. Wenn man jahrzehntelang jeden Tag Angst hat, dass man verhaftet wird, dann ist das offenbar, dann gehört das, die Einsamkeit des Schweigens lernt man dann. Und als ich Pastior kennenlernte, war das 40 Jahre her. Es betraf nicht meine Generation. Es hatte mit meiner Situation nichts zu tun. Außerdem wusste er, was ich danach erlebt habe. In einer milderen Fassung. Das muss man immer sagen. Und was wäre passiert, wenn er mir das gesagt hätte? Ich weiß nicht, ob ich das verstanden hätte. Ob daran unsere Beziehung nicht sofort zerbrochen wäre. Ich weiß es nicht."

    Herta Müller kam dann auch zu sprechen auf die jüngsten Anschuldigungen von Dieter Schlesak, Pastior sei doch ein sehr viel aktiverer IM gewesen, als zunächst vermutet:

    "Es wäre ja interessant zu wissen, wie er sich heute dazu verhält, wenn er noch leben würde. Für mich ist es sehr bitter, es ist auch sehr traurig. Ich kenne zwei Oskar Pastior, also, es gibt zwei. Den einen kenne ich und ich habe ihn sehr gerne. Ich bin ihm heute unglaublich dankbar für diese Erinnerungsleistung, die er mir hier geschenkt hat. Den zweiten kenne ich nicht. Den habe ich jetzt kennengelernt. Mit dem bin ich nicht einverstanden. Den kann ich auch nicht entschuldigen. Aber ich möchte ihn trotzdem verstehen. Und den schlimmsten Vorwurf, den man ihm macht, das man sagt, er hätte einen bespitzelt, Hoprich, der sich nachher das Leben genommen hat, das ist nicht bewiesen. Dazu gibt es keine Akten. Das ist alles Hörensagen. Und das ist unverantwortlich."

    Eine innerlich bewegte Herta Müller kündigte an, die Oskar-Pastior-Stiftung werde sich um eine umfassende Aufklärung des Falles bemühen, warnte gleichzeitig vor vorschnellen Urteilen. Jeder Bericht, jede Denunziation sei schlimm. Pastiors Werk aber sei großartig und dazu werde sie, Müller, immer stehen. Die Auseinandersetzung um Pastior müsse kritisch, aber sachlich geführt werden, gerade von all jenen, die die Diktatur selbst nie erlebt hätten:

    "Also, ich glaube, endgültig begriffen hat man in Westeuropa nicht. Und das wird sich aber, glaube ich, noch ändern. Weil es dauert immer. Man wird noch so viel über die Zerstörung von Menschen, zu Millionen, nicht nur Zerstörung, auch Mord, in diesen Diktaturen sprechen müssen, weil sie sind einfach passiert. Und es gibt überall für jeden, der draufgezahlt hat, beschädigt ist oder umgebracht wurde, es gibt bei jedem jemand, der an ihn denkt. Es wird sich immer mehr summieren und es wird immer konkreter werden. In Details. Und es wird etwas zusammengetragen werden, das monströs zeigt, was diese Diktaturen an Verbrechen gemacht haben. Und das ist ja bei Pastior auch so. Ich bin auch wütend auf diese schreckliche Zeit, auf diese Diktatur, die einen sensiblen, integren Menschen zu solchen Dingen gezwungen hat, dass er sich anders nicht mehr helfen konnte. Und das wird in Westeuropa noch viel bewusster werden müssen - durch Details und durch Bücher und durch Informationen, die nach und nach kommen."