Samstag, 20. April 2024

Archiv


"Ich möchte weniger Polizisten im Fußball und in den Stadien haben"

Der Fußballspieler Kevin Pezzoni hat wegen monatelangen Hooligan-Drohungen den Zweitligisten 1. FC Köln verlassen. Nun wird dem Verein vorgeworfen, den Pöblern nachgegeben zu haben. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) will konsequent gegen solche Straftaten vorgehen - aber nicht mit mehr Sicherheitspersonal.

Das Gespräch führte Silvia Engels | 05.09.2012
    Silvia Engels: Der Fall des Fußballprofis Kevin Pezzoni sorgt über die Fußballwelt hinaus für Entrüstung. Zweitligist 1. FC Köln war Ende letzter Woche der Bitte des Mittelfeldspielers nachgekommen, seinen Vertrag aufzulösen. Doch die Bitte hatte Pezzoni erst gestellt, nachdem er monatelang von Hooligans des FC Köln im Internet und dann auch vor seiner Haustür bedroht worden war. Der Kölner Verein musste sich danach fragen lassen, ob er dem Druck pöbelnder Fans nachgegeben habe.
    Frank Richter von der Gewerkschaft der Polizei hat sich ebenfalls zu dem Fall geäußert. Er sagte Folgendes:

    O-Ton Frank Richter: "Das sind ganz eindeutig brutale Straftäter, die so etwas machen. Das ist auch aus keiner Emotion heraus nach einem Spiel. Wenn man verloren hat, könnte man das ja bis zu einem gewissen Grade sogar noch nachvollziehen. Das sind ganz, ganz geplante Aktionen, und deshalb ist es eine ganz, ganz neue Qualität, die wir mittlerweile im deutschen Fußball haben."

    Engels: Soweit Frank Richter von der Gewerkschaft der Polizei. – Am Telefon ist nun Ralf Jäger, er ist der Innenminister von Nordrhein-Westfalen und gehört der SPD an. Sie haben das gehört. Guten Morgen, Herr Jäger. Stimmen Sie zu, haben wir eine neue Qualität der Bedrohung?

    Ralf Jäger: Guten Morgen, Frau Engels. – Ich stimme zu, dass sich etwas verändert hat im deutschen Fußball. Wir haben mehr Straftäter, mehr Störer, wir haben mehr Körperverletzungen, wir haben mehr Übergriffe. Das hat damit zu tun, dass sich der Fußball in den letzten zehn Jahren sehr verändert hat in Deutschland.

    Engels: Hat denn der 1. FC Köln richtig reagiert, dem Wunsch nach Vertragsauflösung Pezzonis nachzugeben?

    Jäger: Ich kann das nicht wirklich beurteilen, dazu bin ich zu weit weg. Aber man bekommt natürlich schon den Eindruck, dass, glaube ich, eine konsequente Vorgehensweise gegen diese Straftäter – und nichts anderes sind es; es sind keine Fans – angezeigt gewesen wäre, sich schützend vor den Spieler zu stellen, der ja, weil die Transferlisten zu sind, faktisch jetzt mit einem Berufsverbot belegt ist, wo man sich wirklich Sorgen machen muss um seine Zukunft, ob er überhaupt noch Fußball spielen kann in Deutschland.

    Engels: Der 1. FC Köln hat mittlerweile seine erste Stellungnahme dazu nachgebessert – dahin gehend, dass er sagt, es habe mehrere Gründe für die Vertragsauflösung gegeben. Aber es bleibt ja stehen, dass auch viele dieser Hooligans anonym im Internet jetzt dieses Nachgeben des Vereins als eine Art Sieg feiern. Sie mahnen an, da muss man konsequenter die Spieler schützen. Aber wie?

    Jäger: Es geht nicht darum, die Spieler zu schützen, sondern Gewalttäter und Straftäter aus dem Fußball fernzuhalten. Die jubeln jetzt, einen Spieler weggemobbt zu haben, suchen sich möglicherweise jetzt schon das nächste Opfer aus, sind Vorbild für andere Ultras in anderen Vereinen. Das darf so nicht weitergehen!

    Engels: Das Problem ist jetzt beim 1. FC Köln besonders akut aufgetreten, betrifft aber auch andere Vereine. Wie schwerwiegend sehen Sie das Problem, dass Fußballvereine radikale Gewalttäter nicht in den Griff bekommen?

    Jäger: Ich finde, erst mal muss man grundsätzlich feststellen, dass die allermeisten, 99 Prozent der Zuschauer, der Fans absolut friedlich sind. Die wollen friedliche Fußballfeste sehen, Emotionen erleben. Aber es ist auch eine kleine Minderheit von Gewalttätern, die sich unter diese Fans mischen, und da gibt es nicht "die" eine Maßnahme, mit der man das Problem lösen kann, sondern es gibt eine Fülle von Dingen, die zu tun sind, und da müssen alle Beteiligten, auch die Vereine, zu ihrer Verantwortung stehen und ihre Hausaufgaben machen.

    Engels: Dann listen Sie doch mal auf. Was wären die nächsten Maßnahmen?

    Jäger: Eine der nächsten Maßnahmen müsste natürlich sein, dass die Fans, die zu Auswärtsspielen fahren – das sind deutlich mehr geworden in den letzten Jahren -, noch intensiver von Ordnern des Heimatvereins begleitet werden, weil wir feststellen müssen als Polizei, dass wenn man die Fans zuhause im Stadion noch im Griff hat, sie sich auswärts, diese Straftäter, schlecht benehmen, dass es eine konsequente abgestimmte Vorgehensweise der Polizeien in den Ländern geben muss, wer randaliert, sieht das Spiel nicht, der fährt nach Hause, dass wir bessere und intensivere Zugangskontrollen in den Stadien brauchen, Zertifizierung der Sicherheitsunternehmen. All das haben wir übrigens zusammengefasst in einem Konzept in der vorletzten Woche, wo wir alle Beteiligten an einem Tisch hatten.

    Engels: Nun ist es ja so, dass eigentlich schon seit Monaten die Politik, oder seit Jahren die Politik, die Vereine immer versucht haben, letztendlich auf die vernünftigen Fans einzuwirken, Fanprojekte zu starten, auf Beruhigung zu setzen, auf Deeskalation. Ist dieser Weg gescheitert?

    Jäger: Nein, der ist auf keinen Fall gescheitert. Ich glaube, dass das auch der grundsätzlich richtige Weg ist. Wir dürfen nicht zu sehr über Fans reden, sondern müssen mit ihnen reden. Wir müssen auch wissen, was ihnen Probleme bereitet, was möglicherweise Gewalttäter in die Lage versetzt, andere mitzuziehen und zu motivieren, Straftaten zu begehen. Das ist die eine Seite, wirklich in Kooperation mit ihnen zu arbeiten. Aber andererseits müssen Polizei, müssen die Vereine, aber müssen auch die friedlichen Fans sich klar abgrenzen von Gewalttätern, die müssen wir isolieren und ächten.

    Engels: Isolieren und ächten. Möglicherweise aber auch härter von den schon bestehenden gesetzlichen Regeln von der Strafe her verfolgen lassen, also höhere Strafen für Gewalttäter rund um Stadien?

    Jäger: Ich glaube nicht, dass die Höhe der Strafe da tatsächlich abschreckend wirkt, sondern die Tatsache, dass es ihnen gelingt, anonym in einer Masse abzutauchen. Sie offenbaren sich ja nicht, nur ganz selten in ihrer Identität. Bessere Videotechnik, bessere Videoüberwachung in den Stadien kann da helfen und hilft auch. Das haben wir am letzten Wochenende in Dortmund festgestellt. Das ist auch wiederum eine der Maßnahmen, die zu tun sind. Ich möchte gerne noch mal betonen: Es gibt nicht die eine Maßnahme, die allen hilft, sondern es sind eine Fülle von Dingen, die zu tun sind, und da müssen wir jetzt ran, weil allein in Nordrhein-Westfalen 30 Prozent der Arbeitszeit der Einsatzhundertschaften im Zusammenhang mit Fußball gebunden werden.

    Engels: Sehen Sie denn irgendeinen Anknüpfungspunkt, wo eine gesetzliche Regelung möglicherweise auch gegen die Vereine etwas bewirken könnte?

    Jäger: Ich glaube, dass es nur mit den Vereinen geht. Ich glaube, dass auch Kostenbeteiligungen, die hier diskutiert werden, nur die Ultima Ratio sein können. Ich möchte nicht mehr Geld haben, sondern ich möchte weniger Polizisten im Fußball und in den Stadien haben. Die Vereine gehen sehr unterschiedlich mit diesem Phänomen um. Es gibt wirklich vorbildliche Vereine, die da ganz konsequent gegen vorgehen, es gibt andere, die noch ihre Hausaufgaben machen müssen. Die werden wir jetzt in den nächsten Wochen und Monaten drängen, das auch zu tun.

    Engels: Werfen wir mal einen Blick über die Grenze des Fußballs hinaus. Die Frage an den Innenminister: Wir haben beim Fall Pezzoni gesehen, Einschüchterung durch Gewalt, andererseits auch gezielte Einschüchterung über das Internet. Das ist auch in anderen Fällen zu beobachten, jenseits des Fußballs. Nimmt es zu?

    Jäger: Ja, natürlich. Wir leben in einer Zeit, in einer Gesellschaft, in der verbale Gewalt, die Toleranzgrenze dafür deutlich gesunken ist. Die Menschen pöbeln sich an im Internet, in den sozialen Netzwerken, Beschimpfungen selbst bei kleinsten Konflikten haben deutlich zugenommen, auch wenn die Gewalttaten insgesamt zurückgehen. Das stimmt mich bedenklich, das stimmt meine Innenministerkollegen der anderen Länder bedenklich, weil es übrigens auch Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter gleichermaßen trifft. Das ist ein gesellschaftliches Phänomen. Aber umso wichtiger ist es, dass man diesen Menschen mit einem solchen Verhalten nicht auch noch eine Plattform bietet, wie beispielsweise im Fußball, wo sie diese Art von Gewalt und verbaler Gewalt auch noch demonstrieren können.

    Engels: Was sollten generell die Vereine, aber auch das gesellschaftliche Bewusstsein aus dem Fall Pezzoni lernen?

    Jäger: Ich glaube, die Gesellschaft muss insgesamt lernen, dass wir respektvoller, wertschätzender alle miteinander umgehen müssen. Das muss aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Das betrifft genauso das Verhalten von Eltern gegenüber Lehrern, von Verkehrsteilnehmern gegenüber Polizei. Da sind wir alle ein Vorbild. Und wenn dieses Vorbild nicht richtig funktioniert, dann nehmen das andere extremistisch zum Anlass, gegen Vertreter des Staates, der Gesellschaft vorzugehen. Also ein respektvolles Miteinander auf allen Ebenen, glaube ich, ist aus der Mitte der Gesellschaft heraus erforderlich, um solchen Gewaltexzessen am Rande auch wirksam begegnen zu können. Das kann Polizei alleine nicht.

    Engels: Welche Leitplanken kann die Politik dann geben?

    Jäger: Auch in einer Vorbildfunktion deutlich zu sagen, dass wir vor Minderheiten Respekt haben, dass wir niemanden diskriminieren. Das betrifft aber Politik und andere Multiplikatoren der Gesellschaft gleichermaßen. Ich will noch mal betonen: Polizei ist dazu da, gegen solche Exzesse vorzugehen, das tut sie auch sehr konsequent. Aber die Wurzeln dazu liegen in der Mitte der Gesellschaft, und da muss sich eine Veränderung einstellen.

    Engels: Ralf Jäger, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, er gehört der SPD an. Wir sprachen mit ihm über Konsequenzen aus dem Fall Kevin Pezzoni, Mittelfeldspieler bis vor kurzem beim Fußball-Zweitligisten 1. FC Köln. Vielen Dank für das Gespräch.

    Jäger: Ich habe zu danken, Frau Engels.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.