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"Ich sehe überhaupt keine Reform"

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD hält die Erhöhung des Pflegesatzes um 0,1 Prozent nicht für ausreichend, um die Pflege für Demenzkranke und Kinder zu sichern.

Marlies Volkmer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 08.11.2011
    Tobias Armbrüster: Die schwarz-gelbe Koalition hat sich am Sonntag nicht nur auf Steuersenkungen geeinigt, sondern auch auf eine Reform der Pflegeversicherung. Unter anderem soll der Beitragssatz leicht angehoben werden, um 0,1 Prozentpunkte. Die Opposition bezeichnete das gestern als Reförmchen, der Schritt bleibe weit hinter den gesteckten Erwartungen zurück. Mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann hat darüber gestern Abend mit Marlies Volkmer gesprochen, sie ist die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Erste Frage an sie: Weshalb ist die SPD nicht bereit, die Reformschritte der Koalition anzuerkennen, auch wenn sie noch so klein sind?

    Marlies Volkmer: Es ist ja so, dass Herr Rösler, als er noch die Funktion des Gesundheitsministers hatte, das Jahr 2011 als Jahr der Pflege ausgerufen hat, und das hat natürlich große Erwartungen geweckt und diesen Erwartungen wird die Koalition jetzt in keiner Weise gerecht. Denn das, was jetzt seit gestern auf dem Tisch liegt, das ist ja auch kein Reförmchen. Das einzige was jetzt wirklich klar auf der Hand liegt, ist die Beitragssatzerhöhung um 0,1 Prozent ab Januar 2013, und das sind Mehreinnahmen in der sozialen Pflegeversicherung von 1,1 Milliarde, und dieses Geld, das reicht gerade mal, den Status quo zu sichern. Aber dieses Geld reicht nicht, um die notwendigen Verbesserungen für Demenzkranke, für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche, für Angehörige und für Pflegepersonal vorzunehmen.

    Dirk-Oliver Heckmann: Aber immerhin rund eine Milliarde Euro für Demenzkranke und ihre Angehörige, das ist ja immerhin ein Anfang, und Daniel Bahr, der hat gesagt, Rot-Grün habe an Verbesserungen für Pflegebedürftige nichts auf den Weg gebracht.

    Volkmer: Also das stimmt ja so nicht und das weiß Herr Bahr ja eigentlich ganz genau, dass das so nicht stimmt. Ich will bloß nochmal sagen, wozu denn eigentlich diese 1,1 Milliarde reicht. Die reicht eben tatsächlich nur, um den Status quo zu sichern, weil das Bundesgesundheitsministerium selbst ausgerechnet hat, dass schon im Jahr 2014 ein Defizit in der sozialen Pflegeversicherung sein wird von rund 1,6 Milliarden Euro, und da reichen also diese 1,1 Milliarden, die ich jetzt hier ab Januar 2013 habe, wirklich nur aus, um den Status quo aufrecht zu halten und ich kann keine Verbesserungen einführen.

    Heckmann: Aber erstmals, Frau Volkmer, spricht Daniel Bahr davon, dass die Demenz in der Pflegeversicherung berücksichtigt sei, dass es konkrete Verbesserungen im Alltag gebe, nämlich mehr Wahlfreiheiten, neue Wohnformen, die Stärkung der Selbsthilfe.

    Volkmer: Das ist ja schön, wenn das tatsächlich alles so käme. Nur ich glaube das nicht, weil ich es nicht sehe. Also ich kann zurzeit überhaupt nicht sehen, dass so etwas auf den Weg kommt. Und es ist auch nicht erstmals, dass was getan wird für Demenzkranke, denn immerhin ist auch in der Großen Koalition schon eine gewisse Verbesserung erfolgt. Wir haben gerade für Demenzkranke in den Pflegeheimen zusätzliches Betreuungspersonal auf den Weg gebracht, das von den Krankenkassen bezahlt wird, und wir haben auch für Demenzkranke mit einem erhöhten Betreuungsbedarf auch die Geldleistungen erhöht. Also es ist in dieser Richtung was getan worden, und das ist im Gegensatz zu dem, was jetzt die Koalition vorgelegt hat, auch tatsächlich vorhanden und ist abrechenbar.

    Heckmann: Kommen wir mal, Frau Volkmer, zur Finanzierungsseite. Es soll ja jetzt diese neue Versicherungslösung geben, analog der Riester-Rente. Daniel Bahr hat zugegeben, das ist zwar jetzt nicht die angestrebte Pflichtversicherung, aber immerhin sei es wichtig, dass es jetzt eine echte Kapitaldeckung gebe, denn es ist ja nun auch so, das umlagefinanzierte System, das ist doch am Ende, oder?

    Volkmer: Also ich denke, wer heute sagt, ein umlagefinanziertes System ist am Ende, der versteht eigentlich die Welt nicht mehr. Gerade in der heutigen Finanzkrise zeigt sich ja gerade die Überlegenheit eines umlagefinanzierten Beitragssystems gegenüber einer kapitalgedeckten privaten Vorsorge. Und wenn man sich das mal anguckt: es ist eine freiwillige private Zusatzversicherung, die hier jemand abschließen kann oder abschließen soll. Da wird es natürlich so sein: das werden auch etliche Leute abschließen, die werden niemals pflegebedürftig werden. Aber vor allen Dingen werden es viele Menschen nicht abschließen können, aus finanziellen Gründen, die eigentlich eine solche zusätzliche Pflegeleistung brauchen würden.

    Heckmann: Aber Daniel Bahr sagt, auch mit geringen Beträgen sei Vorsorge möglich. Außerdem gibt es ja steuerliche Vergünstigungen und einen Zuschuss für eben solche Personen, die sich das finanziell nicht leisten können.

    Volkmer: Ja. Wir sehen aber auch bei der Riester-Rente, dass hier eben nur ein Drittel aller Bürgerinnen und Bürger bisher eine solche Riester-Rente abgeschlossen hat, und das trotz aller staatlichen Förderung. Hinzu kommt ja auch – und das muss man ja auch bedenken -, man muss ja für einen langen Zeitraum erst mal Geld praktisch ansparen, um dann solche Zusatzleistungen haben zu können, und wir brauchen Geld für die Pflegeversicherung, also für die Verbesserung der Pflege, aber gleich und brauchen wir schnell. Denn es ist von allen unbestritten, dass wir zu deutlichen Verbesserungen kommen müssen, nicht nur für Demenzkranke, sondern auch für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche, für die Entlastung der Angehörigen. Und jeder sagt auch, wir brauchen mehr Pflegepersonal und das muss besser bezahlt werden. Und das brauchen wir nicht erst 2030, sondern das brauchen wir im Grunde genommen jetzt schon.

    Heckmann: Der Gesundheitsminister argumentiert auch, nur eine solche Versicherung gewährleiste, dass die Gelder dem Zugriff des Staates entzogen seien. Das heißt, was man einzahlt, das steht dann auch am Ende zur Verfügung. Ist das nicht ein Argument, das Sie überzeugt?

    Volkmer: Das steht nur dann zur Verfügung, wenn das Geld, was ich eingezahlt habe, nach 20 Jahren auch noch seinen Wert hat. Und im übrigen ist es eben so: gerade bei einer beitragsfinanzierten Versicherung, da hat der Finanzminister auch keinen Zugriff. Also das ist ja gerade der Vorteil einer umlagefinanzierten Versicherung, auch einer beitragsfinanzierten Versicherung, dass das Geld dem Zugriff des Finanzministers entzogen ist.

    Heckmann: Frau Volkmer, abschließend gefragt: Was glauben Sie, wie lange hält die jetzt beschlossene Reform? Wann steht die nächste Reform in diesem Bereich an?

    Volkmer: Ich sage es nochmal: Ich sehe überhaupt keine Reform. Ich sehe nur, dass hier erstmal irgendwas vorgelegt wird, das sind die 0,1 Prozent Beitragssatzerhöhung. Die hilft also sozusagen bis zum Jahr 2014, 2015, über die Runden zu bekommen, und ich sehe eben leider keine Reform und von daher ist es tatsächlich notwendig, dass wir die Möglichkeit haben, auch dann tatsächlich eine Reform im Sinne der Pflegebedürftigen und der Angehörigen durchzuführen.

    Armbrüster: So weit Marlies Volkmer, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, zu den Plänen der schwarz-gelben Koalition für eine Reform der Pflegeversicherung.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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