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"Ich sehe wichtige Gründe, dort im Wendland zu protestieren"

Weil die Bundesregierung versuche, "in Gorleben Fakten zu schaffen", statt die bundesweite Suche nach Endlagern voranzutreiben, hält Bärbel Höhn den Protest gegen Castor-Transporte für sinnvoll. Trotz sinkender Umfragewerte sieht die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag ihre Partei gut aufgestellt. Auf dem Parteitag müsse weiter an Inhalten gearbeitet werden.

Bärbel Höhn im Gespräch mit Mario Dobovisek | 26.11.2011
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich die frühere Umweltministerin Nordrhein-Westfalens und heute stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, guten Morgen, Bärbel Höhn!

    Bärbel Höhn: Ja, guten Morgen!

    Dobovisek: Der Atomausstieg ist beschlossene Sache, die Suche nach einem Atommüllendlager wird wieder offen und ergebnisoffen geführt. Der Protest in Gorleben mache daher keinen Sinn mehr, meint Ihr Parteifreund und Ministerpräsident Winfried Kretschmann. – Nehmen Sie ihm jetzt sein grünes Parteibuch wieder ab, Frau Höhn?

    Höhn: Ja, er hat das schon etwas differenzierter gesagt. Aber ich will vielleicht gerade bei Herrn Kretschmann schon ein bisschen Milde gelten lassen, weil, durch den Koalitionsvertrag, den die Grünen dort auf den Weg gebracht haben, ist eigentlich der Weg für eine bundesweite Suche erst überhaupt geöffnet worden, und deshalb hat Herr Kretschmann natürlich da auch eine andere Funktion. Er muss gucken, dass er auf diesem Weg auch mit den anderen Ministerpräsidenten vorankommt, und das wird schon eine harte Nummer. Denn man sieht ja auch, dass Bayern da sehr blockiert, die wollen ja eigentlich nicht bei sich suchen lassen. Aber ich werde im Wendland sein und viele andere Grüne, wenn wir eben einen Teil unserer Tagesordnung hier auch auf der Bundesdelegiertenkonferenz abgearbeitet haben. Das ist schade, dass das parallel läuft, aber ich sehe wichtige Gründe, dort im Wendland zu protestieren.

    Dobovisek: Aber welches Bild gibt es ab, wenn die Grünen einerseits zum Protest aufrufen und 40 grüne Busse ins Wendland schicken und andererseits der Protest von der gleichen Partei als sinnfrei kritisiert wird?

    Höhn: Na ja, es ist nicht von der gleichen Partei, sondern es ist von einem wichtigen Mitglied dieser Partei. Er ist ja jetzt auch gestern schon ein Stück zurückgerudert und hat diese Position, ich sag mal, auch ein Stück wieder zurückgenommen. Also, insofern … Ich sage noch mal, warum es wichtig ist, im Wendland zu demonstrieren: Wir haben ja gerade in dieser Woche auch den Haushalt des Umweltministeriums verabschiedet im Bundestag oder, besser gesagt, in der Gesamtabstimmung ja dann am Freitag auch. Und da sind eingestellt 73 Millionen Euro für die weitere Erkundung, wir sagen ja, den weiteren Ausbau von Gorleben. Das ist dreimal so viel wie in diesem Jahr. Das heißt, die Bundesregierung setzt da gegen den massiven Widerstand auch der Opposition darauf, in Gorleben Fakten zu schaffen. Und ganze drei Millionen gegenüber diesen 73 Millionen werden für die Erkundung bundesweit ausgegeben. Und da erhebt sich schon der Verdacht, dass man versucht, dass die Bundesregierung versucht, in Gorleben Fakten zu schaffen, und dass dieser andere Teil, bundesweite Suche, da gegenüber in den Hintergrund tritt.

    Dobovisek: Wo sind Ihrer Meinung nach denn Standorte zu vermuten, die vielleicht besser geeignet sind als Gorleben?

    Höhn: Also, man muss eigentlich bei drei verschiedenen Gesteinsarten suchen. Das ist eben nicht nur Salz, wie in Gorleben oder in Niedersachsen, da gibt es ja auch viele andere Lagerstätten, sondern das auch Granit und Ton. Und wir haben ja momentan, im Bundestag läuft der Untersuchungsausschuss Gorleben und da ist ja noch mal deutlich geworden, dass Gorleben keineswegs ein geeigneter Standort ist, sondern das Gorleben politisch motiviert auf diese Stelle gesetzt worden ist. Das heißt aber auch, nach all diesem Vorlauf ist Gorleben natürlich auch politisch wirklich verbrannt und geologisch ganz sicher ungeeignet: Wenn Sie sehen, dass unter der Lagerstätte, wo der Atommüll aus Sicht der Bundesregierung eingelagert werden soll, ein Gasfeld ist, darüber die wasserdurchlässigen Salzschichten, das ist denkbar ungünstig für ein Atomlager für eine Million Jahre. Also, von daher geologisch absolut ungeeignet.

    Dobovisek: Geeignete Flächen könnten eventuell auch in Baden-Württemberg vermutet werden, das wäre möglicherweise ungünstig für eine grüne Regierung dort?

    Höhn: Ja, deshalb sage ich ja: Umso mehr Hut ab vor Ministerpräsident Kretschmann, der nämlich eine Entscheidung in seinen Koalitionsvertrag aufgenommen hat, die absolut nicht selbstverständlich ist, dass er gesagt hat, ja, wir sind auch bereit, in Baden-Württemberg zu suchen. Und genau dadurch, dass er das gemacht hat – also, gegen die eigenen, ich sage mal provinziellen Interessen, dass die Leute sagen, ja, okay, wir müssen suchen, aber nicht bei uns –, und über diesen Schatten ist er gesprungen und hat gesagt, wir müssen eben überall suchen, wo es solche Lagerstätten auch geben könnte, und das gilt eben auch für Baden-Württemberg. Und damit hat überhaupt die Diskussion eine ergebnisoffene Suche in ganz Deutschland für den bestmöglichen Standort. Es gibt keinen besten Standort, aber es gibt den bestmöglichen. Und wir wissen, dieser Atommüll ist hier in Deutschland produziert worden, und deshalb müssen wir hier in Deutschland auch eine Lösung suchen.

    Dobovisek: Es wird aber auch aus seinen Äußerungen, aus den Äußerungen Winfried Kretschmanns deutlich, dass Protestbewegung und Regierungsamt sich offenbar nur schwer vereinbaren lassen.

    Höhn: Es ist immer so, ich bin selber ja auch lange Zeit in einer Regierung gewesen, dass man bestimmte Punkte eben auch umsetzen muss, auch gegen Protest. Es gibt das ja auch in anderer Form. Ich will jetzt mal weg jetzt von diesen Atomprotesten: Wenn man zum Beispiel sagt, wir wollen weiterkommen bei der Energiewende, wir wollen weiterkommen zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien oder auch bei den Leitungstrassen, die man dafür braucht, dann muss man sich auch mit dem Protest auseinandersetzen, der da auch dort entsteht. Aber auch da sagen wir Grüne, wir müssen sehr frühzeitig mit den Menschen reden, die protestieren. Wir müssen frühzeitig eine grundsätzliche Entscheidung fällen und dann versuchen, mit den Menschen dort eine Lösung zu suchen, die die geringsten Probleme macht. Also, das heißt, auch hier mehr Bürgerbeteiligung, mehr Transparenz. Das ist ein Weg, den wir Grünen dabei gehen wollen, um da eben auch demokratisch und möglichst fair mit diesen Protesten umzugehen.

    Dobovisek: Die Grünen kommen bei aktuellen Umfragen auf 16 Prozent, das ist weit entfernt von Volksparteiergebnissen der vergangenen Monate. Was haben Sie falsch gemacht?

    Höhn: Na, ich glaube, dass diese Ergebnisse, die wir vor einem halben Jahr hatten – das habe ich damals schon immer gesagt –, dass die einfach einer besonderen Situation geschuldet waren und dass man die überhaupt auf langer Zeit gar nicht halten kann. Es ging damals um Fukushima, das war … Es ging auch um die Rücknahme der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, das war unser originäres Thema. Es ist momentan die Euro-Krise dran. Auch wenn wir da sehr gute Positionen haben und interessanterweise immer die Position, die die Bundesregierung dann einige Monate später dann selbst einnimmt, ist es doch so, dass eine große Euro-Krise eher die Menschen veranlasst, auch wieder zu den großen Parteien zu gehen. Und insofern finde ich, 16 Prozent, also 14 bis 16 Prozent, das sind ja momentan die Umfragen, finde ich extrem gut. Wir hatten beim letzten Mal bei der Bundestagswahl 10,7 Prozent, das war das beste Ergebnis, was wir je hatten, und wir haben jetzt, ja, ungefähr 40, 50 Prozent Zuwachs bei den Umfragen. Das mussten wir erst mal in den Griff kriegen, das finde ich ein sehr gutes Ergebnis angesichts der Themen, die momentan im Fokus stehen.

    Dobovisek: Ihr Parteifreund Boris Palmer hat das auf den Punkt gebracht, die Partei könnte nicht mehr segeln, sagt er, sondern sie müsse jetzt rudern. In welche Richtung muss die Partei denn rudern?

    Höhn: Ja, das machen wir ja auf dem Parteitag heute, das ist ja ein klassischer Arbeitsparteitag. Wir müssen, in den verschiedenen Themenfeldern müssen wir Konzepte erarbeiten, die auch tragfähig sind. Wenn wir nach der nächsten Bundestagswahl die Möglichkeit haben sollten, eben auch mitgestalten zu können, mit Verantwortung zu übernehmen, da muss man vorbereitet sein. Die Zeit in der Opposition muss man eigentlich für zwei Sachen nutzen: Der erste Punkt ist eine konstruktive Kritik an der Regierung und der zweite Punkt ist, die eigenen Konzepte auch regierungsfähig zu machen, also so, dass man dann auch durchstarten kann, wenn man Verantwortung hat …

    Dobovisek: … durchstarten auch gemeinsam mit der CDU in einer schwarz-grünen Koalition im Bund?

    Höhn: Wir haben immer gesagt, dass wir eine selbstständige Politik machen, und das ist auch eine gute Sache. Aber natürlich ist es klar, dass die inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit der SPD erheblich größer sind als die mit der CDU …

    Dobovisek: … nur, da reicht die Mehrheit im Moment nicht …

    Höhn: … ja, aber auf der anderen Seite ist es so, dass wir, glaube ich, genau mit diesem Weg der Eigenständigkeit, dass wir sagen, das sind unsere Konzepte sowohl in der Wirtschaftspolitik als auch in der Finanzpolitik, Europapolitik oder auch im Demokratiebereich, Netzpolitik, das diskutieren wir ja heute auf dem Parteitag. Genau da wollen wir vorankommen, unser grünes Konzept. Und das ist ein anderes als das der SPD und auch ein anderes als das der CDU. Und da stark zu sein und zu sagen, das sind unsere Inhalte, dafür kämpfen wir, dafür suchen wir auch einen Partner, mit dem wir es machen können. Aber auch in der Gewissheit, wenn das nicht klappt, können wir auch weiter gut Opposition machen. Ich glaube, das ist der Weg, immer am Inhalt orientiert zu sein.

    Dobovisek: Bärbel Höhn für die Grünen, stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch!

    Höhn: Bitte!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.