Donnerstag, 25. April 2024

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"Ich versuche, Filme über die Schönheit des Menschen zu machen"

Der österreichische Filmemacher Michael Glawogger kennt keine Tabus. Er fragt sich, wie Menschen in den Metropolen dieser Welt überleben und welchen Preis sie dafür bezahlen. Drei momumentale Dokumentarfilme hat er dazu gedreht, jetzt läuft der Abschlussfilm "Whores' Glory".

Michael Glawogger im Gespräch mit Marietta Schwarz | 29.09.2011
    Marietta Schwarz: Drei Länder, drei Städte, drei Geschichten von Prostitution – "Whores' Glory" zeigt ja sehr extreme Bilder, extreme Orte. Sind es Orte, die Sie durch die Bilder oder durch die Geschichten fasziniert haben?

    Michael Glawogger: Im Grunde schon beides. Denn etwas, was für meine Art des Filmemachens wichtig ist, ist, Orte zu finden, die auch etwas als Orte erzählen. Also wenn Sie den ersten Teil hernehmen und dann geht es um den sogenannten Fishtank, dann erzählt dieser Ort als Ort schon etwas über die gesamte Anlage der Prostitution oder auch über das Mann-Frau-Verhältnis. Also wenn man genauer hinschaut, gibt es Lichtverhältnisse, die schon eine Geschichte erzählen. Weil diese Frauen, die hinter Glas sitzen, schön ausgeleuchtet, im Hellen strahlend sitzen, um sie auch schöner erscheinen zu lassen. Und die Männer sitzen eher in einem diskreten Dunkel. Das ist jetzt schon als Fakt interessant.

    Aber was ich dann noch interessanter fand, ist, dass wenn man hineingeht in diesen Fishtank, dass diese Scheibe, dadurch dass es außen dunkel und innen hell ist, zu einem Spiegel wird. Die Frauen ahnen zwar, wer da draußen sitzt, sehen sich aber im Grunde meistens selber. Das ist ein Ort, der für mich etwas erzählt, und so ging es mir auch mit den beiden anderen Orten. Ich tue mich filmisch immer schwer, wenn ich nicht etwas habe, was auch visuell spricht, weil ja Filmemachen eine visuelle Kunst ist. Dass es auf dieser Oberfläche in diesem Film hauptsächlich darum geht, den Frauen, die hier porträtiert werden, ihre Plattform zu geben, sie zum Sprachrohr zu machen, ist natürlich auf dieser Oberfläche der Tiefgang. Insofern muss es mir um beides gehen.

    Schwarz: Mir ist ein Satz in Erinnerung geblieben, da sagt ein Mann sinngemäß: "Hier an diesem Ort werden wir zur Ware der Frauen."

    Glawogger: Ja, ich nehme an, Männer sehen das manchmal so, denn sie bringen ja auch etwas, sie bringen ja das Geld. Also mit "Ware" hat er wahrscheinlich seine Worte nicht ganz so glücklich gewählt. Was er meint ist, wenn wir hier nicht wären, würden sie auch nichts verdienen. Das ist ein ganz einfach gemeinter Satz. Er sagt ja auch: Wir kommen hierher und kaufen uns einen Moment Glück. Ich nehme an und für mich ist das auch recht essenziell, dass es in dem Film zumindest ansatzweise auch eine Zwiesprache gibt, dass auch der Kunde zu Wort kommt. Und dass man eigentlich auch oft sieht, mit was für einer großen fast Naivität Männer in so etwas hineingehen. Und wie sie immer wieder mit Stolz glauben, dass sie der Eine sind, der der Frau, die schon zehn Männer davor hatte, den Kopf verdreht.

    Schwarz: Wie ist das denn für Sie als Filmemacher? Sie sind auch ein Mann, Sie kommen mit der Kamera an einen solchen Ort, eine Art tabuisierte Zone. Wie wird man da gesehen und wie sehen Sie sich selbst? Sehen die Prostituierten Sie auch ein Stück weit als Freier?

    Glawogger: Ja, also Prostituierte sind ja im Umgang mit den Medien bis zu einem gewissen Grad geschult, kann man nicht sagen, sie sind verbrannt. Denn nirgendwo wird gerne mal ein Bild gestohlen oder gemacht, für welchen Zweck auch immer, und das schätzen sie überhaupt nicht, sie schätzen überhaupt keine Öffentlichkeit, und schon gar nicht eine, die nicht aus einem Konsens heraus entsteht. Wenn sie das dann einmal zulassen, hat es immer etwas Geschäftsmäßiges. Also man kann schon sagen, eine Geschichte und ein Blow-Job, beides kostet Geld. Und von beidem weiß man nicht, ob's die Wahrheit ist.

    Schwarz: Sie haben also bezahlt?

    Glawogger: Natürlich! Sie machen keinen Film irgendwo auf der Welt über Prostitution, wo Sie nicht bezahlen, das ist vollkommen undenkbar.

    Schwarz: Trotzdem noch mal die Frage: Wohlfühlen ist wahrscheinlich ein unangebrachter Begriff, aber wie fühlt man sich als Filmemacher an diesen Orten?

    Glawogger: Wieso soll Wohlfühlen so deplatziert sein? Dort sind sehr viele Frauen, sehr viele Menschen, sehr viele interessante Menschen, warum soll ich mich da weniger wohlfühlen als woanders? Es hat mich das Thema interessiert. Man darf sich ja nicht vorstellen, nur weil man das jetzt mit westlichem Auge anschaut und denkt: Das ist schrecklich!, deswegen ist dort jede Sekunde des Tages schrecklich und deswegen will ich mich dort nicht aufhalten. Davon kann ja überhaupt keine Rede sein. Ich war gern dort, und ich hab Freundschaften geschlossen.

    Schwarz: Sie würden sagen, das westliche Auge ist das, was bewertet, und was es als schlecht bewertet?

    Glawogger: Es ist zumindest ein anderer Blick darauf. Natürlich ist das schwer zu begreifen, und natürlich schauen wir solche Sachen immer mit einem gewissen Staunen an und mit einer gewissen Furcht. Es haben ja auch ganz viele Menschen Furcht, in ein Bordell zu gehen. Dabei ist das dort auch nur ein Mikrokosmos, der auf seine Weise funktioniert.

    Schwarz: Was ist mit dem Begriff Voyeurismus – müssen wir den auch nennen?

    Glawogger: Das weiß ich nicht. – Ich weiß nicht einmal, was das ist! Ich weiß vielleicht das eine: Wenn man mir vorwirft, ein Voyeurist zu sein, sag ich: Aber gerne! Denn wenn ich nicht hinschauen wollte auf das Leben anderer, dann hätte ich einen anderen Beruf nehmen müssen. Also es wird eigentlich heutzutage sehr oft eine Übervorsicht gefordert, und die Protagonisten, über die man Filme macht, würden über diese Vorsicht lachen. Die nehmen dich nur ernst, wenn du mit vollen Händen ins Leben greifst. Sonst nehmen sie dich nicht ernst. Sonst du bist du einer von vielen, der man vorbeikommt und drei Fotos macht. Also wenn man Scheu hat, dieses Leben darzustellen, dann sollte man nicht anfangen damit, und wenn das jemand dann Voyeurismus nennt, dann sage ich: gern!

    Schwarz: "Whores' Glory" ist auch der Abschluss einer Trilogie. Sie haben drei Filme gemacht, die sich auf irgendeine Art und Weise mit Arbeit beschäftigen, mit dem Überleben in den großen Städten dieser Welt. "Megacities", "Workingman's Death" und jetzt "Whores' Glory". Inwieweit passt dieser Film über Prostitution in die Reihe – geht es vielleicht auch um so etwas wie eine Würdigung dieser Arbeit?

    Glawogger: Ich würde es einfacher sagen. Es sind drei Filme, die versuchen, die Zeit, in der ich lebe, zu beobachten. Und wenn Sie es moralischer haben wollen: Ich versuche Filme über die Schönheit des Menschen zu machen. Darüber wie der Mensch in widrigen oder nicht widrigen Umständen immer ein interessantes geschütteltes Wesen bleibt, aber auch immer einen schönen Weg findet, die Situationen, in denen er lebt, zu meistern. Und es haben oft Leute nach der Vorführung gesagt: Ich könnte so nicht leben! Und ich sag: Sie könnten sehr wohl, wenn Sie müssten!

    Schwarz: Mich haben die Bilder in allen diesen Filmen teilweise an Gemälde erinnert. Gibt es so etwas wie Vorbilder?

    Glawogger: Ja wenn, dann ist das immer Hieronymus Bosch. Das ist auch dem Film so nahe. Man sieht ein Ganzes, das man vielleicht nicht wirklich begreift, und wenn man mit der Nase hingeht, kann man gar nicht aufhören zu schauen, weil so viel da drinnen steckt und so viele eigene Geschichten und so viele eigene Facetten, und manches ist das Grauen, und manches ist die Schönheit, und manches ist die Schönheit im Grauen. Also über Hieronymus Bosch geht da nix drüber. Ich wundere mich fast immer, dass die Leute das so bildgewaltig finden, weil ich mach immer alles sehr einfach. Das sind nicht irgendwelche gekünstelten Kameraeinstellungen, sondern es ist einfach ein bisschen so ein genauer Blick oder eine ruhige Kamera, oder sie geht und schaut sich um. Es ist eine sehr simpel beobachtende Kamera, die aber mit einer gewissen Sorgfalt geführt ist, auch mit einer ästhetischen Sorgfalt. Und wenn man die Einfachheit in dieser Weise pflegt, dann zeigt die Welt auch ihr Gesicht. Manchmal sagen die Leute zu mir: Du machst die Welt schön! Und ich sag: Das geht nicht. Das kann niemand.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.