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"Ich werd' Visionär"

Nicht nur in der Industrie, sondern bereits an den Hochschulen werden Ingenieure händeringend gesucht. Denn so manche Universität hat nicht einmal ausreichend Hilfsstudenten, um Forschungs- und Auftragsarbeiten zu erledigen. Daher gehen die Hochschulen in die Offensive: Mit Werbeslogans, kostenlosen Forschungsreisen in ferne Länder und besten Berufsaussichten versuchen sie, Abiturienten für das Ingenieursstudium zu begeistern.

Von Remko Kragt | 27.11.2008
    Man fühlt sich ein bisschen wie an der Küste, aber das Meer ist weit weg. Diese Wellen schlagen an der Uni Hannover, genauer im Wellenkanal des Instituts für Wasserbau und Küsteningenieurwesen. Mitten im Kanal sind farbig markierte Steine zu einem kleinen Damm aufgestapelt. Drei angehende Bauingenieure - eine Studentin und zwei Kommilitonen - beobachten, ob ihr Wellenbrecher der Brandung Stand hält. Sie machen das nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse. Die Studenten arbeiten für einen Forschungsauftrag. Es geht um Küstenschutz im Kongo. Die Studierenden werden für ihre Mitarbeit bezahlt. Das an sich ist nichts Besonderes. Das Besondere aber ist hier die große Anzahl der Hilfwilligen (HiWis). Niels Kerpen, Student im neunten Semester.

    "Das ist eigentlich ganz extrem, dass fast jeder Student aus unserem Semester einen HiWi-Job hat, es gibt kaum einen, der keinen hat. Außenstehende Firmen aus der Wirtschaft, wo man denn mal ein Praktikum gemacht hat, die gefragt haben, denen konnte man dann auch nur antworten: Es hat quasi schon jeder bereits einen HiWi-Job hier."

    Ist die Lage für Studenten auch eher angenehm, für die Uni ist sie ein Problem. Institutsleiter Torsten Schlurmann etwa möchte viel mehr studentische Hilfskräfte beschäftigen, aber es sind einfach nicht genug Studierende da.

    "Das Bauingenieurwesen insgesamt ist relativ schlecht ausgelastet im Moment. Wir sind in etwa über die Semester verteilt vom ersten bis zum neunten Semester ungefähr 15, die hier in kleinen Verträgen arbeiten. Gleichzeitig aber in den Vertiefungskursen, das heißt die höheren Semester, die dann auch Diplomarbeiten in dem Bereich schreiben, die sind deutlich zu gering."

    Möglicherweise, vermutet Torsten Schlurmann, liege das an einem schlechten gesellschaftlichen Image der Bauingenieure.

    " Im gesellschaftlichen Bild ist er der Statiker, der eine Brücke baut oder vielleicht auch mal ein Hochhaus baut. Dass dahinter aber auch die gesamte Verkehrsplanung steht, der Wasserbau oder die Wasserwirtschaft, die Versorgung von Wasser oder die Entsorgung, oder auch Baumanagementprinzipien, Finanzierung, Abrechnung, man nennt das denn den sogenannten Lebenszyklus betrachten eines Bauwerks, das wird oftmals völlig verkannt."

    Der Hochschullehrer hat sich einiges einfallen lassen, um das Image seines Berufsstandes aufzupolieren und mehr Studenten an zu werben. Es wurde sogar eine Werbeagentur eingeschaltet.

    "Wir haben Plakate gemacht, wir haben Anzeigen geschaltet, wir sind durch die gastronomischen Betriebe in Hannover und in der Region Hannover und haben tatsächlich mit Postkarten und Werbemaßnahmen und solche Sachen verteilt, um überhaupt auf Bauingenieurwesen - "Ich werd' Visionär", so hieß diese Kampagne - um darauf aufmerksam zu machen."

    Eine kostspielige Angelegenheit, die vor Allem aus Spenden aus der Industrie finanziert werden kann. Dank dieser Hilfe kann Torsten Schlurmann mit weiteren Annehmlichkeiten für Studierende winken. Große Exkursionen etwa.

    "Viele meiner Studenten sind mit nach Indonesien gewesen, wo wir Messungen durchgeführt haben. Aufgrund der Tatsache, dass mir nicht nur Studenten fehlen, sondern auch Mitarbeiter, sodass also die vertiefenden Studenten bei uns auch mal eine große Reise aufgetragen bekommen. Das bezahlt das Institut, so sind die Zeiten."

    Hinzu kommen Praktikumsplätze für Schüler und - natürlich - auch immer wieder der Hinweis auf den nimmersatten Arbeitsmarkt. Noch vor wenigen Jahren hieß es etwa beim Arbeitsamt, das Bauingenieurstudium führe direkt in die Arbeitslosigkeit. Das hat sich grundlegend geändert. Niels Kerpen:

    "Bei uns im Semester haben wir jetzt auch ein bisschen herumgefragt und uns ist aufgefallen, dass jetzt auch schon fast jeder ein Jahr vor seinem eigentlichen Abschluss und dem Diplom schon Jobangebote hat, und das ist eigentlich schon so eine Sache, die wir zum Beginn des Studiums nie vermutet hätten."

    Und tatsächlich, nach einem Tiefpunkt der Neueinschreibungen vor wenigen Jahren bessert sich die Situation allmählich.

    "Wir sehen deutlich ansteigende Studentenzahlen in den letzten Jahren. Also es wird wieder besser. Nur, es könnte noch mehr sein, das müssen wir dazu sagen."