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"Ich würde liebend gerne mit Lars von Tier arbeiten"

Geraldine Chaplins neuester Film "Und wenn wir alle zusammenziehen?" thematisiert das Älterwerden. Wie die Schauspielerin mit ihrem eigenen Alter umgeht und welche Zukunftspläne sie hegt, hat sie Hans Rubinich verraten.

Hans Rubinich sprach mit Geraldine Chaplin | 03.04.2012
    In grellroter Bluse, die Sonnenbrille im kurzen schwarzen Haar, mustert sie mich freundlich. Ich beginne das Gespräch - weil es, wenn man ehrlich ist, dazugehört – mit der Frage nach ihrem berühmten Vater.

    "Er ist da. Jeden Tag ist er bei mir. Der Schatten, der mich warmhält. Und jeder identifiziert mich mit meinem Vater, und ich liebe das. Er ist der Mensch, der auf der ganzen Welt so sehr geliebt wird, du kannst die Tochter des berühmtesten Mannes der Welt sein, was ich bin, aber er ist der am meisten geliebte Mann. Und das ist solch ein Geschenk."

    Ein Geschenk, das sie gerne angenommen hat. Geraldine Chaplin kommt aus einer Familie mit acht Kindern. Ihr Vater sei streng gewesen, sagt sie. Und sehr genau bei seinen Filmen.
    "Ich versuche so diszipliniert zu sein, wie er mich gerne hätte und so sorgfältig, wie er mich gewollt hätte und so perfektionistisch, wie er mich gewollt hätte. Nicht für ihn. Es ist witzig, denn ich habe mich mit Jane Fonda darüber unterhalten. Sie sagt: Ich tue für meinen Vater alles. Ich denke mir: Was würde er davon halten? Und bei mir ist es überhaupt nicht so. Es ist nur das, was er mir vorgelebt hat."
    An der Seite von Jane Fonda, Pierre Richard und Daniel Brühl spielt Geraldine Chaplin in ihrem neuen Film. Es geht ums Älterwerden. Zwei Ehepaare und ein Single beschließen, nicht ins Altersheim zu gehen, sondern lieber eine Wohngemeinschaft zu gründen. Auch im wirklichen Leben der 67-Jährigen spielt das Thema "Alter" eine immer größere Rolle.
    "Du gelangst an den Punkt als Schauspieler, an dem du plötzlich älter bist. Und folglich bekommst du die großen Rollen nicht mehr. Es sei denn, du bist ein Mann. Wenn du eine sehr kleine Rolle hast, musst du sehr viel in einen kleinen Zeitraum hineinpacken. Und du musst verstehen, dass du der Geschichte völlig untergeordnet bist. Und, dass du nicht unbedingt etwas sehr Interessantes bist. Während du, wenn du Hauptdarsteller bist, viel mehr Freiheiten hast."

    Diese Freiheiten erlebte Geraldine Chaplin vor allem in den Siebzigerjahren. Besonders in den Filmen, die sie mit dem spanischen Regisseur Carlos Saura gedreht hat. Mit ihm war sie auch privat liiert und sie haben einen gemeinsamen Sohn.
    "Wir haben über alles gesprochen. Aber es hatte immer mit den Filmen zu tun, die wir machten. Es ist wunderbar nach Hause zu kommen und dieselbe Leidenschaft und dasselbe Interesse zu haben. Und wir stritten oft. Und hatten große Auseinandersetzungen, auch wegen meiner Rollen. Und ich sagte: Ich denke, sie sollte dies tun. Und er war damit nicht einverstanden. Oder anders: Manchmal gab er mir eine Szene zu schreiben. Er sagte: Schreibe diese Szene."
    Die Zeit von damals scheint ihr sehr gegenwärtig zu sein - das Spanien der Siebzigerjahre zur Zeit der Diktatur Francos.
    Als ich ihr ein Foto aus dem Saura-Film "Züchte Raben" zeige, senkt sie den Kopf. Sie schaut sich die Filmszene an und erinnert sich. Sie spielte damals eine liebevolle Mutter, die von ihrem Ehemann betrogen wird und daran zerbricht.

    Ihr Lebensgefährte Carlos Saura galt als politischer Filmemacher. Obwohl politische Filme zu dieser Zeit in Spanien gar nicht gemacht werden durften. Um die Zensur zu umgehen, wählte er eine indirekte Filmsprache, arbeitete mit Metaphern und Symbolen. Dennoch wurden seine Filme regelmäßig zensiert, zerschnitten und gekürzt. Unbeirrt machte Saura weiter mit seiner Art von Filmen, sie spielten eine tragende Rolle in seinem Leben und in seiner Beziehung zu Geraldine Chaplin.
    "Die 70er waren großartig. Denn ich machte einen Film mit Saura und er sah mich als diese eher hysterische, zerbrechliche, neurotische Frau in den meisten seiner Filme. Ich machte einen Film mit Robert Altmann in Englisch. Und er sah mich so, dass ich in seinen Filmen immer dieselbe Rolle spielte. Das ist diese verrückte, abgedrehte und aus sich herausgehende Verrückte."
    Und welche Rollen würde sie heute am liebsten spielen?
    "Nun, das sind nicht die Rollen, die mir angeboten werden. Nein - denn ich wäre daran interessiert, eine 20-Jährige zu spielen. Das ist ein bisschen schwierig. Obwohl Walter Matthau zu sagen pflegte: Warum bieten Sie mir immer dieselben Rollen an? Ich bin ein Schauspieler. Ich kann ein Baby spielen. Aber ich bin froh, einfach wenn ich Arbeit bekomme, und freue mich, mit guten Regisseuren zu arbeiten."
    Einen hat sie schon lange fest im Blick:

    "Ich würde liebend gern mit Lars von Trier arbeiten. Oh 'Melancholia', oh Gott, das ist ein guter Film."

    Informationen:

    "Und wenn wir alle zusammenziehen?"
    Originaltitel: "Et si on vivait tous ensemble?"
    Kinostart: 5. April 2011