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Identifizierung von Weltkriegssoldaten
Zahnzement zur Namensklärung

Im Jahr 2011 wurde bei Straßenarbeiten im Elsass ein Teil des sogenannten Kilianstollens entdeckt, in dem sich 21 Leichname befanden. Dabei handelt es sich um deutsche Soldaten, die während des ersten Weltkriegs verschüttet worden waren. Drei der Skelette konnten nicht eindeutig Namen zugeordnet werden. Das haben französische Archäologen nun geschafft, mithilfe der sogenannten Zementchronologie.

Von Michael Stang | 27.03.2015
    Historische Quellen und ein Gedenkkreuz bezeugten zwar die Existenz des Kilianstollens in Frankreich, seine genaue Lage war jedoch bis 2011 unbekannt. Erst bei Straßenbauarbeiten wurden Teile der Schutzanlage aus dem ersten Weltkrieg entdeckt. Der 125 Meter lange Stollen war für bis zu 500 Soldaten angelegt. Am 18. März 1918 stürzte nach einem Bombenangriff ein Teil der Anlage ein. 13 Männer konnten tot geborgen werden, die übrigen 21 blieben Jahrzehntelang begraben.
    "Der Kilianstollen in Carspace ist für Historiker ein interessanter Ort, weil hier französische Soldaten während des ersten Weltkriegs die Deutschen besiegt haben. Und weil die deutschen Soldaten im März 1918 lebend verschüttet wurden, haben wir hier praktisch einen 100 Jahre alten Schnappschuss der Geschichte vorliegen",
    sagt Archäologe Benoit Bertrant aus Douai. Er wurde als Experte bei der Bearbeitung der Skelette hinzugezogen. Denn die Forscher hatten ein Problem. Zwar waren die Namen der verschütteten Soldaten bekannt, jedoch waren viele Teile der Kleidung zerstört oder zersetzt, sodass die Zuordnung Name/Skelett bei drei Männern mit normalen anthropologischen Methoden nicht möglich war. Eine Sterbealterbestimmung über den Zahnstatus etwa ermöglichte nur grobe Angaben wie: Mitte 20 bis Mitte 30. Da die drei Soldaten jedoch zwischen 27 und 36 Jahre alt waren, kamen die Forscher da nicht weiter. Helfen sollte die sogenannte Zementchronologie, auf die sich der französische Wissenschaftler spezialisiert hat.
    "Bei dieser Methode können wir an einem Zahn die Ringe beziehungsweise Jahre zählen: von dem Jahr an, in dem der Zahn durchgebrochen ist bis zum Tod. Im Prinzip funktioniert das wie bei den Jahresringen von Bäumen, nur dass wir hier die Zahnwurzel durchsägen und die Zementringe zählen, von denen im Laufe des Alters jedes Jahr einer gewachsen ist."
    Denn mit steigendem Lebensalter wird zunehmend Zement an der Wurzeloberfläche angelagert. Die einzelnen Schichten lasen sich deutlich unter dem Mikroskop unterscheiden und abzählen. Die Mess-Ungenauigkeit liege bei höchstens drei Jahren, weil der Zahnwechsel vom Milch- zum bleibenden Gebiss individuell variiert. Dennoch sei die Zementchronologie die präziseste Methode für die Sterbealterbestimmung, so Benoit Bertrant.
    "Das Zählen der Zementringe geschieht bisher per Hand, was anstrengend und unpräzise ist, weil allein das Erkennen eines einzelnen Jahresrings oft schwierig ist. Wir haben mit einer Firma daher eine Software entwickelt, die das selbstständig, objektiv und nahezu fehlerfrei macht. Manuell zählt man höchstens zehnmal, mit teils unterschiedlichen Ereignissen. Unsere Software zählt hingegen 100 Mal."
    Den drei Soldaten entnahmen die Forscher jeweils einen Zahn und zersägten die Wurzel, damit sie einen Querschnitt hatten. Der Rest war Routine.
    "Von den 21 ausgegrabenen Soldaten konnten ja drei Skeletten der jeweilige Name nicht eindeutig zugeordnet werden. Wir hatten aber die Namen und das Alter der Soldaten. Jetzt mussten wir mit unserer Methode also nur noch das exakte Sterbealter der drei Verstorbenen nachzählen und konnten dann ganz einfach die Namen den entsprechenden Skeletten zuordnen."
    Danach war klar, wer Dietrich Lotz war, der im Alter von 32 Jahren starb, ebenso konnte Kurt Paaris zugeordnet werden, der mit 36 Jahren den Tod im Elsass fand und ebenfalls ist nun geklärt, welches die sterblichen Überreste von Gotthold Wolframm sind, der im Alter vom 27 Jahren am 18. März 1918 im Kilianstollen verschüttet wurde.