Dienstag, 19. März 2024

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Ifo-Präsident Fuest zum Jamaika-Aus
"Wir müssen keinen Konjunktureinbruch befürchten"

Nach dem Abbruch der Jamaika-Verhandlungen habe sich die Unsicherheit verstärkt, sagte der Ökonom Clemens Fuest im Dlf. Panikmache sei aber aktuell falsch. "Die Konjunktur ist robust". Negative Folgen hätte es aber, wenn dauerhaft keine Regierung gebildet werden könne.

Clemens Fuest im Gespräch mit Birgid Becker | 20.11.2017
    Der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest, posiert vor einem Schild mit der Aufschrift "ifo".
    Ökonom Clemens Fuest vom Ifo-Insitut sieht für die Wirtschaft erstmal keine Risiken durch den Abbruch der Sondierungen (picture alliance / dpa / Christina Sabrowsky)
    Birgid Becker: Für das ganze Land wurde die Nacht vom Sonntag auf diesen Montag zur Wegscheide. Nein, es wird keine Jamaika-Koalition geben, kein erstes Experiment für diese Konstellation. Wie es weitergeht, Minderheitsregierung, Neuwahlen, so unklar war selten, wahrscheinlich nie in der Nachkriegszeit, wie Deutschland regiert werden wird. Wie riskant ist das ökonomisch? Das habe ich kurz vor der Sendung Clemens Fuest gefragt, den Präsidenten des Ifo-Instituts.
    Clemens Fuest: Für die Wirtschaftsentwicklung ist die Unsicherheit, die dadurch entsteht, sicherlich nicht hilfreich. Wir sollten es aber auch nicht übertreiben. Panikmache wäre jetzt falsch. Es ist normal, dass sich bei der politischen Konstellation, die wir haben, die Regierungsbildung einfach ein bisschen hinzieht. Insofern sollte man es jetzt nicht übertreiben. Schlecht wäre es, wenn wir dauerhaft in eine Situation kämen, in der in Deutschland keine Regierung gebildet werden kann. Das wäre dann wirklich negativ. Aber so weit sind wir noch nicht.
    "Bei Neuwahlen würde kaum etwas anderes herauskommen"
    Becker: Das heißt, ein paar Wochen Pause kann die Wirtschaft ganz gut vertragen?
    Fuest: Ja, das kann die Wirtschaft problemlos vertragen. Es geht eher um die Frage, besteht mittelfristig die Aussicht, dass eine Regierung kommt, und die besteht nach wie vor, denke ich.
    Becker: Was ist denn aus Ihrer Sicht wirtschaftlich verträglicher, Neuwahlen oder Minderheitsregierung?
    Fuest: Ich denke, dass Minderheitenregierungen in Deutschland zu negativ gesehen werden. Bei Neuwahlen habe ich das Problem, es wird ja kaum etwas anderes herauskommen als das, was wir heute schon haben. Insofern verlängert sich die Unsicherheit und dann ist man wahrscheinlich wieder so schlau, wie man jetzt schon ist. Minderheitsregierungen haben den Nachteil, dass immer eine gewisse Unsicherheit verbleibt: Was ist denn jetzt der Kurs der Politik. Man hat ja nicht einen Koalitionsvertrag, an dem man sich festhalten kann, keine klaren Mehrheiten im Parlament.
    Das ist ein Nachteil. Es gibt aber auch Vorteile. Das Parlament wird gestärkt. Die Regierung muss sich im Parlament Mehrheiten suchen. Das heißt, wichtige Debatten werden dann wirklich im Parlament auch geführt. Bislang ist es ja häufig so, dass in Koalitionszirkeln entschieden wird und die Abgeordneten das nur noch abnicken müssen. Minderheitsregierung würde bedeuten, das Parlament wird gestärkt. In skandinavischen Ländern, in Kanada haben wir gute Erfahrungen vielfach mit Minderheitsregierungen. Klar: zur deutschen Politik gehört das eigentlich nicht, zur deutschen politischen Tradition, aber ich denke, man kann ja auch mal was dazulernen.
    Parlamentsinitiativen bei Minderheitsregierung
    Becker: Was bleibt aber auf der Strecke bei einer Minderheitenregierung? Doch wahrscheinlich größere Projekte: Steuerreform, Maßnahmen gegen Altersarmut, Infrastrukturprojekte. Oder fürchten Sie das nicht?
    Fuest: Nein, das muss nicht sein. Ich denke, dass die Parlamentsabgeordneten, auch die der Parteien, die nicht in der Regierung sind, schon auch zu gewinnen sind für vernünftige Projekte. Das Risiko besteht eher darin, dass dann doch Parteitaktik im Parlament dominiert und man vielleicht alle Projekte verhindert, die von der Regierung kommen. Dazu darf es nicht kommen. Aber es kann ja auch Parlamentsinitiativen geben. Einzelne Fraktionen können sich profilieren, indem sie zum Beispiel vorschlagen, lasst uns was für die Infrastruktur tun, oder lasst uns was fürs Bildungssystem tun. Die Regierung kann das dann aufgreifen und durchaus das eine oder andere voranbringen.
    Becker: Gerade erst hat ja der Sachverständigenrat die Wachstumsprognose fürs kommende Jahr kräftig erhöht auf 2,2 Prozent. Die Arbeitslosenquote ist niedriger denn je. Der Sozialversicherung geht es gut, dem Haushalt mehr als gut. Jetzt dieses politische Vakuum. Sie sagen aber, der Ökonom muss keine Abstriche machen an diesem Szenario?
    Fuest: Ich denke nicht, dass wir Abstriche machen müssen, jedenfalls jetzt nicht. Wie gesagt: Die Unsicherheit, die sich jetzt verstärkt hat, ist nicht gut für die Konjunktur, aber die Konjunktur ist sehr robust und nur, weil sich das Ganze jetzt ein paar Wochen länger hinzieht, denke ich nicht, dass wir einen Konjunktureinbruch oder so was befürchten müssen. Das glaube ich nicht.
    "Deutschland nicht geschwächt"
    Becker: Wie steht es mit der Europapolitik, der Europolitik? Die Themen Reform der EU- und der Eurozone, da bräuchte ja Frankreich einen starken Partner. Wenn Deutschland der absehbar nicht ist, spielt das dann Polen und Ungarn in die Hände?
    Fuest: Soweit würde ich nicht gehen. Klar: Deutschland ist wichtig, das größte Land in der EU. Auch hier ist es so, dass man im Parlament eine Debatte führen kann, und ich glaube, schon, Parlamentsmehrheiten schaffen kann für eine Reform der Eurozone. Es wird dann ein bisschen komplizierter. Man kann nicht auf EU-Gipfeln etwas verhandeln, zusagen und sich verlassen, dass das dann zuhause abgenickt wird. Aber auch da finde ich es eigentlich gar nicht schlecht, wenn dann im Parlament noch mal offen diskutiert wird. Es wird ein bisschen komplizierter, aber auch in der europäischen Politik, auch in der Politik zur Reform der Eurozone kann man durchaus was bewegen.
    Becker: Wird es nur komplizierter, oder steht Deutschland mit einer womöglich geschwächten Bundeskanzlerin dann im Ganzen geschwächter da?
    Fuest: Ich denke nicht, dass man im Ganzen geschwächter dasteht. Es ist richtig: Die deutsche Regierung wird dann immer bei internationalen Verhandlungen unter dem Vorbehalt operieren müssen, dass man da Parlamentsmehrheiten gewinnen muss. Aber man kann ja auch mal vorher mit den entscheidenden Gruppen im Parlament reden und sagen, da steht ein Gipfel an, da kommen bestimmte Entscheidungen auf den Tisch, in welche Richtung sollen wir gehen, was würdet ihr mit unterstützen, und dann macht man das so.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.