Donnerstag, 28. März 2024

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Ifo-Präsident Fuest zur Lage in Italien
"Schmerzhafte Anpassungen oder Euroaustritt"

Die Regierungsbildung in Italien ist gescheitert, übergangsweise soll ein Ökonom das Land regieren. Der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, sagte im Dlf, Italien habe nun zwei Möglichkeiten: Sparpolitik und Reformen oder Austritt aus dem Euro - mit dem Risiko einer neuen Finanzkrise.

Clemens Fuest im Gespräch mit Philipp May | 28.05.2018
    Der Direktor des Institutes für Wirtschaftsforschung (ifo), Clemens Fuest
    Nach Meinung des Ifo-Präsidenten Clemens Fuest sei es nicht akzeptabel, dass EU-Staaten wie Italien durchfüttern. Die italienischen Bürger hätten im Durchschnitt nach EZB-Statistiken ein höheres Vermögen als die deutschen. (dpa)
    Philipp May: Die Lage ist angespannt. Die politische Zukunft Italiens nach der gescheiterten Regierungsbildung völlig ungewiss. Fünf-Sterne-Chef Di Maio fordert sogar die Amtsenthebung von Staatschef Matarella. Der wiederum sucht nach Auswegen aus der Krise. Ein Technokratenkabinett um den Wirtschaftsexperten Carlo Cottarelli soll das Land bis zu möglichen Neuwahlen im Herbst durch die Krise führen. Am Telefon ist jetzt Clemens Fuest, Chef des Münchener Ifo-Instituts. Schönen guten Tag.
    Clemens Fuest: Schönen guten Tag, Herr May.
    "Lohnkosten und Preise müssen herunter"
    May: Ist Italien noch zu retten?
    Fuest: Italien ist zu retten, befindet sich aber in einer sehr schwierigen ökonomischen Lage. Italien hat quasi die Wahl zwischen Pest und Cholera. Auf der einen Seite kann man versuchen, im Euro zu bleiben. Dann muss man aber wettbewerbsfähiger werden. Das heißt, die Lohnkosten müssen herunter, die Preise müssen herunter. Das geht nur durch einen vorübergehenden Wirtschaftsabschwung. Oder man tritt aus, was zu einer riesen Krise führen würde und Europa in große Ungewissheit stürzen würde. Die wirtschaftliche Lage ist also extrem schwierig.
    "Versuchen, Italien im Euro zu halten"
    May: Was favorisieren Sie, Pest oder Cholera?
    Fuest: Ich bin der Meinung, dass man schon versuchen sollte, Italien im Euro zu halten. Man muss durch diese Anpassung gehen. Italien braucht Strukturreformen. Das ist kein einfacher Weg. Aber auszutreten, das würde noch zu viel größeren Risiken führen.
    "Politik sollte offen sagen, wie die Situation ist"
    May: Jetzt hat es ja in Italien zumindest ein paar, sagen wir mal, Reförmchen gegeben: Die Anhebung des Rentenalters zu Beispiel, was ja die Pseudokoalition wieder rückgängig machen wollte. Und selbst das hat die Bürger schon auf die Barrikaden und in Scharen zu den Eurofeinden getrieben. Wie soll denn da eine Gesundung und weitere Strukturreformen funktionieren gegen den Willen der Bürger?
    Fuest: Das wird nicht funktionieren gegen den Willen der Bürger und die Politik in Italien muss das den Menschen erklären. Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten, Abwertung innerhalb des Euro. Das bedeutet Sparpolitik, das bedeutet schwierige und schmerzhafte Anpassungen. Oder Euroaustritt. Die Koalition, die jetzt gescheitert ist, wollte ja Transfers aus anderen Ländern. Italien ist aber viel zu groß dafür und das ist in der Eurozone nicht vorgesehen, dass Steuerzahler in anderen Ländern dann die italienischen Pensionen bezahlen. Das müssen die Italiener selber schaffen. Es gibt hier keinen einfachen Ausweg. Die italienische Politik sollte offen sagen, wie die Situation ist.
    "Lega und Fünf Sterne werden wieder gewinnen"
    May: Müssten vielleicht nicht einfach die Euroskeptiker mal ans Ruder, um die Alternative erlebbar werden zu lassen für die Italiener?
    Fuest: Ich denke schon, es ist problematisch, wenn der italienische Staatspräsident das jetzt verhindert. Ich denke auch, letztlich wird man nicht verhindern können, dass die Euroskeptiker und dass die Populisten hier an die Macht kommen. Dann sollen die eben mal zeigen, wie sie es können. Es ist klar: Matarella hatte hier die Sorge, dass es zu einer großen Krise kommt, die dann den Austritt quasi erzwingen könnte, denn diese populistische Koalition wollte ja Staatsausgaben massiv erhöhen, Steuern senken, sogar eine Parallelwährung einführen, und das hätte wahrscheinlich dann zum Austritt geführt. Das wollte er verhindern, aber ob er das kann, das ist sehr fraglich. Heute steigen die Risikozuschläge auf italienische Anleihen weiter. Das heißt, die Kapitalmärkte werden immer nervöser, und die nächsten Wahlen, das zeichnet sich ab, werden Lega Nord und Fünf Sterne wieder gewinnen, und dann fängt das Ganze noch mal von vorne an.
    "Nicht akzeptabel, Italien durchzufüttern"
    May: Jetzt verweisen ja viele Experten immer darauf, dass Italien schlicht und ergreifend zu groß und zu wichtig ist im Vergleich zum Beispiel zu Griechenland, um es einfach so aus dem Euro zu schmeißen. Mit anderen Worten: Italien ist "too big to fail". Ist das so?
    Fuest: Na ja. Italien ist auch "too big to rescue". Das muss man sehen. Wir können ja nicht Italien zu einem Land machen, das auf Dauer von Transfers aus anderen Ländern abhängig ist. Italien ist ein reiches Land. Die italienischen Bürger haben im Durchschnitt nach EZB-Statistiken ein höheres Vermögen als die deutschen. Da ist es schlicht und einfach nicht akzeptabel, dass beispielsweise Menschen aus Spanien und Portugal, die ja auch durch schmerzhafte Reformen müssen, dass die Italien durchfüttern. Das wird nicht gehen. Deshalb, ich komme noch mal darauf zurück: Italien hat genau zwei Alternativen, die interne Abwertung, schmerzhafte Anpassungen, oder den Euroaustritt, so schlimm das Ganze für den Rest der Eurozone wäre.
    "Euro kann meines Erachtens ohne Italien funktionieren"
    May: Wäre das schlimm? Kann der Euro ohne Italien funktionieren?
    Fuest: Das würde wahrscheinlich zu einer neuen Finanzkrise führen. Der Euro kann meines Erachtens ohne Italien funktionieren; er wäre allerdings nicht mehr derselbe. Es wäre nicht mehr eine Währung für die gesamte EU, sondern nur noch für einen Teil.
    Ziel, Italien "auf jeden natürlich in der EU zu halten"
    May: Jetzt haben ja viele in Deutschland die Sorge, dass zum Beispiel mit dem Austritt der Engländer die südlichen Euroländer die Übermacht haben in der EZB und überhaupt auch in der Eurogruppe. Wäre das nicht möglicherweise dann wieder Waffengleichheit sozusagen?
    Fuest: Das eine würde ich jetzt mal mit dem anderen nicht verbinden. Es kann nicht unser Ziel sein, jetzt Italien rauszuwerfen, um die Stimmverhältnisse wieder zu verändern in der Eurozone oder in der EU. Das kann nicht das Ziel sein. Es ist auch klar, das Ziel muss es sein, falls Italien den Euro verlässt, das Land auf jeden Fall natürlich in der EU zu halten.
    Italien zu Reformen überzeugen
    May: Das sehen Sie schon, dass dann möglicherweise ein Komplettaustritt aus der EU auch im Raum stehen könnte? Italien ist immerhin Gründungsmitglied.
    Fuest: Ja, ja. Derzeit ist es ja so, dass man rechtlich aus dem Euro nur austreten kann, wenn man gleichzeitig aus der EU austritt. Das Problem kann man meines Erachtens lösen. Aber gravierender ist eher die politische Frage. Das heißt, wird es gelingen, Italien bei den Turbulenzen, die das Land erwarten bei einem Austritt, in der EU zu halten. Das ist mehr eine politische Frage und da wird es einiges an Staatskunst erfordern, um das zu gewährleisten. Wegen dieser Unwägbarkeiten bin ich der Meinung, man muss letztlich alles daran setzen, die Italiener zu überzeugen, die Reformen, die notwendig sind, durchzuführen, um im Euro zu bleiben.
    "Es kommt auf Italien selbst an"
    May: Wenn Sie die Mittel der Staatskunst ansprechen, was hat die EU denn im Zauberkasten beziehungsweise welche Angebote kann man denn den Italienern machen?
    Fuest: Die EU kann ziemlich wenig machen. Es kommt auf Italien selbst an. Italien selbst muss sich dafür entscheiden, im Euro zu bleiben. Der Rest der Eurozone hat ja schon sehr viel getan. Die EZB hat ja eine sehr expansive Geldpolitik durchgeführt. Das war der Versuch, Nordeuropa, vor allem Deutschland zu inflationieren, um die Wettbewerbsfähigkeit Italiens relativ zu Deutschland zu verbessern. Aber das klappt nicht so ohne Weiteres. Die Arbeitnehmer hier sind nicht ohne Weiteres bereit, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden durch Lohnerhöhungen, obwohl die Löhne ja schon stärker steigen als in Italien, aber das geht nicht schnell genug. Letztlich muss man hier nach Italien schauen. Nur die Italiener selbst können das lösen. Sollte es zum Austritt kommen, dann ist die EU gefragt, einen Weg zu finden, der gewährleistet, dass Italien in der EU bleibt beim Verlassen des Euro. Aber man kann nur hoffen, dass Italien selbst sich entscheidet, die Anstrengungen zu machen, im Euro zu bleiben.
    Ökonomische Probleme haben nichts mit Migration zu tun
    May: Muss man das nicht vielleicht, so wie in Europa immer alles mit allem zusammenhängt, sogar weiterdenken und sogar ein bisschen weggehen von dem Euro und auch sehen, dass ja nicht nur die eurokritischen Fünf Sterne gewählt worden sind, sondern auch die Lega mit knallharter Anti-Migrations-Politik? Möglicherweise müsste man als EU auch den Italienern in der Flüchtlingsfrage stärker entgegenkommen. Könnte das möglicherweise den Druck aus dem Kessel nehmen?
    Fuest: Das sollte man meines Erachtens tun. Ich glaube, Europa könnte solidarischer mit den Frontstaaten in der Migrationskrise sein. Dazu gehört vor allem Italien. Man könnte Italien stärker unterstützen. Das wird aber die Situation nicht entschärfen. Die ökonomischen Probleme Italiens haben relativ wenig mit der Migration zu tun. Das ist ein politisches Problem. Es geht vielmehr darum, dass Italien wirtschaftlich einfach nicht auf die Beine kommt, weil die Wettbewerbsfähigkeit fehlt.
    Es ist völlig richtig: Bei der Migration muss man zusehen, dass Italien Kontrolle darüber gewinnt, wer kommt überhaupt ins Land. Da kann Europa helfen und ich meine, man muss auch solidarisch sein und den Italienern helfen, auch finanziell helfen in dieser Migrationsfrage. Aber all das wird die grundlegenden wirtschaftlichen Probleme Italiens nicht lösen. Das können nur die Italiener selbst.
    Deutschland "muss auf Macrons Reformvorschläge antworten"
    May: Sie haben jetzt mehrfach noch mal auf die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit angesprochen. Da ist dieses italienische Drama. Auf der anderen Seite sehen wir Deutschland, das in völliger Sprachlosigkeit zu den Vorschlägen von Emmanuel Macron für Euroreformen verharrt. Mal eine grundsätzliche Frage: Ist das nicht alles, was wir hier erleben, ein Sterben auf Raten?
    Fuest: Ja das wird davon abhängen, was die Politik tut. Ich bin schon der Meinung, dass Deutschland sich bewegen muss und mehr dazu sagen muss, wie denn die Bundesrepublik Deutschland sich die Zukunft vorstellt. Das heißt, man muss auf Macrons Reformvorschläge antworten. Man muss das nicht notwendigerweise übernehmen, aber Deutschland müsste mit stärkeren eigenen Vorschlägen kommen. Ich rechne damit, dass da auch noch was auf den Tisch gelegt wird vor dem Gipfel, der im Juni ansteht. Aber es wäre in der Tat nötig, dass Deutschland nicht nur Nein sagt zu dem, was aus anderen Ländern kommt, sondern mit eigenen Vorschlägen an die anderen herantritt, am besten eine gemeinsame Position mit Frankreich findet, bei der man dann idealerweise auch Italien ins Boot holen kann. Das wird natürlich nicht einfach, überhaupt nicht einfach, weil man ja derzeit überhaupt keine Regierung in Italien hat, die handlungsfähig ist, aber Deutschland muss aktiver werden, das sehe ich auch so.
    Mehr Solidarität nur mit mehr Disziplin kombinieren
    May: Letzte Frage: Was wäre denn Ihr Vorschlag?
    Fuest: Mein Vorschlag wäre, dass man in der Eurozone eine Kombination anstrebt von Reformen, die mehr Solidarität bringen und mehr Disziplin. Wir brauchen von beidem mehr. Das eine geht nicht ohne das andere. In Deutschland wird oft das Ganze so diskutiert, dass man sagt, Solidarität ist gleich Transferunion, wir brauchen nur mehr Disziplin. Dieses Konzept funktioniert meines Erachtens nicht, genauso wenig wie es funktioniert zu sagen, wir lassen alles so wie es ist. Deutschland sollte diese Kombination verlangen, wir gehen Schritte in Richtung mehr Solidarität nur, wenn wir auch Schritte gehen in Richtung mehr Disziplin. Das kann man kombinieren und dann hat man ein ausbalanciertes und abgewogenes Paket.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.