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ifo-Studie
Was Deutsche über Bildung denken

Im frühkindlichen Bereich solle der Staat nach Ansicht der Deutschen mehr Verantwortung übernehmen, sagte der Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomie, Ludger Wößmann, im DLF. Wie das Institut in seinem Bildungsbarometer 2015 herausfand, gilt dasselbe aber nicht für das Studium bei Erwachsenen.

Ludger Wößmann im Gespräch mit Regina Brinkmann | 01.09.2015
    Ein Kleinkind steht an einer Glasscheibe in einer Kindertagesstätte.
    Ludger Wößmann: "Wir sehen zum Beispiel im frühkindlichen Bereich deutlichere Reformbereitschaften" (picture alliance / dpa / Arno Burgi)
    Regina Brinkmann: Beim Thema Bildungspolitik brennt den Deutschen so einiges unter den Nägeln, und sie haben viele Wünsche und Ideen, wie Kitas, Schule, berufliche und akademische Bildung in diesem Land besser werden könnten. Nachzulesen sind sie im aktuellen Bildungsbarometer des Münchner ifo-Zentrums für Bildungsökonomie. Leiter dieses Zentrums und verantwortlich für die Umfrage unter mehr als 4.200 Personen ist Professor Ludger Wößmann. Ich habe ihn vor dieser Sendung gefragt, welches Ergebnis ihn am meisten überrascht hat.
    Ludger Wößmann: Ich bin insgesamt überrascht davon, dass wir in der gesamten Breite der Fragestellungen vom frühkindlichen Bereich über die Schulen bis hin zum Studium, in vielen Themen eine hohe Reformbereitschaft der Bevölkerung sehen, wo wir also sehen, dass deutliche Mehrheiten der Bevölkerung Veränderungen - und genau nicht das, was wir bis jetzt haben - befürworten würden.
    "Wir sehen zum Beispiel im frühkindlichen Bereich deutlichere Reformbereitschaften"
    Brinkmann: In welchen Bereichen werden Reformen, Veränderungen gefordert?
    Wößmann: Wir sehen zum Beispiel im frühkindlichen Bereich deutlichere Reformbereitschaften, zum Beispiel danach gefragt, ob der Staat die Kosten übernehmen sollte, sodass die Kinder kostenfrei sind und der Staat die Steuergelder dafür benutzt, sehen wir deutliche Mehrheiten, die dafür sind. Wir sehen zum Beispiel auch - was ja jetzt gerade ein heißes Thema ist - die Gehaltsforderungen der Erzieherinnen, wo es gerade Tarifstreitigkeiten drum gibt: 79 Prozent der Deutschen sind dafür, dass die Gelder der Erzieherinnen und Erzieher steigen. Also hier ist ein sehr starkes Verständnis dafür, zu sagen, dass diejenigen, die für die Betreuung der kleineren Kinder da sind, doch deutlich aufgewertet werden sollten.
    Wir sehen gleichzeitig aber auch einen Wunsch danach, in diesem Bereich echte Qualitätsverbesserungen zu sehen. Danach gefragt, ob wir denn bundesweit einheitliche Qualitätsstandards etwa für die Ausbildung der Erzieherinnen oder auch für die Gruppengrößen bräuchten, sprechen sich 86 Prozent, also eine überwältigende Mehrheit der Deutschen, dafür aus, dass wir solche bundesweit einheitlichen Qualitätsstandards haben müssten.
    Brinkmann: Also es gibt Reformwillen. Wie weit sind denn die Deutschen oder die Befragten dazu bereit, auch ihren eigenen Teil, vielleicht auch ihren finanziellen Anteil zu leisten, dass eben Kitakräfte zum Beispiel besser bezahlt werden?
    Wößmann: Ja, wir haben zumindest in diesem Bereich explizit darauf hingewiesen, dass dafür Steuergelder benutzt werden müssen, dass also Steuern entsprechend anfallen - man hat den Wunsch, dass der Staat diese Kosten übernimmt. Interessanterweise ist das aber ganz anders als im Bereich der Hochschulbildung: Im Studium haben wir danach gefragt, ob denn Studierende einen Teil der Kosten ihre Studiums durch Studiengebühren selbst tragen sollten, die sind ja mittlerweile in allen Bundesländern wieder abgeschafft, das ist etwas, was wir nicht haben. Wir sehen aber zunächst mal einen Patt in der Bevölkerung - die Mehrheit ist weder dafür noch dagegen, aber ein Teil der Befragten wurde darüber informiert, wie hoch die derzeitigen Einkommen, derer mit einem Hochschulstudium im Vergleich zu denjenigen ohne Hochschulstudium sind und dann sieht man auch mal, dass diese deutlich mehr verdienen, und so informiert ist auch mal die Mehrheit der Bevölkerung für Studiengebühren.
    Vielleicht noch ein nächster Schritt: Wir haben auch gefragt, wären Sie eventuell dafür, wie es in einigen anderen Ländern der Fall ist, dass die Studiengebühren in nachgelagerter Form eingeführt werden, das heißt, während des Studiums zahlt man sie noch nicht und man zahlt sie erst, wenn man später ein Einkommen hat und nur wenn das Einkommen auch über einen gewissen Schwellenwert ist - hier finden wir, dass 59 Prozent, also eine sehr starke Mehrheit der Deutschen, für diese Art von Studiengebühren wären, was eben heißt, es ist nicht generell so, dass man möchte, dass der Staat alles finanziert, sondern schon einen Unterschied macht. Im frühkindlichen Bereich sollte der Staat mehr Verantwortung übernehmen, aber wenn es um das Studium bei den Erwachsenen geht, wird auch durchaus mehr Eigenverantwortung eingefordert.
    Brinkmann: Was sind denn eigentlich so heilige Kühe im Bildungswesen, also Dinge, die sich aus Sicht der Befragten nicht ändern sollten?
    Wößmann: Man sieht Bereiche, wie zum Beispiel ob denn Erzieherinnen und Erzieher ein Hochschulstudium haben müssten - das sind gewisse Reformvorschläge, die diskutiert werden -, hier sehen wir keine Mehrheiten. Da sind 55 Prozent der Befragten dafür, dass das so bleibt, dass es eben nicht notwendigerweise ein Hochschulstudium sein muss. Das wäre so ein Beispiel, wo wir keine Mehrheiten für Veränderung sehen.
    "In einigen Bereichen durchaus ein verzerrtes Bild in der Öffentlichkeit"
    Brinkmann: Welche Schlüsse sollten denn Bildungspolitiker jetzt aus Ihrem Bildungsbarometer ziehen? Weil, ich meine, Umfragen, dass man sich vielleicht das eine oder andere in der Bildungspolitik wünscht, gibt es ja viele, ändern tut sich meistens wenig.
    Wößmann: Ja, es ist zumindest so, dass wir hier sehen, wofür es denn möglicherweise Mehrheiten für Veränderungen gäbe. Das ist nicht automatisch so, dass das dann jetzt umgesetzt wird, aber es gibt auch in einigen Bereichen durchaus ein verzerrtes Bild in der Öffentlichkeit - man hätte, glaube ich, immer gedacht, dass die Mehrheit der Bevölkerung Studiengebühren ablehnt, aber das kommt sicherlich davon, dass hier in der öffentlichen Diskussion Bevölkerungsgruppen besonders laut zu hören sind, die diese ablehnen, aber dass sie gar nicht für die Gesamtbevölkerung stehen. Das heißt, ich denke, wenn die Politik verstärkt Informationen auch in die Öffentlichkeit bringt, warum bestimmte Reformen wichtig sind und warum zum Beispiel Studiengebühren Sinn machen, wenn es so ist, dass die Studierenden später die Besserverdienenden im Durchschnitt sind, dass all das Dinge sind, die viel mehr Akzeptanz für Reformen schaffen könnten als wir sie bisher haben.
    Brinkmann: Tja, mal sehen, ob es sich noch einmal ein Bildungspolitiker oder eine Bildungspolitikerin trauen, das heiße Thema Studiengebühren nach dieser Umfrage anzufassen. Über die Ergebnisse seines ifo-Bildungsbarometers habe ich mit dem Münchner Bildungsökonomen Ludger Wößmann gesprochen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.