Dienstag, 19. März 2024

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IG-Metall-Chef Hofmann
Dieselbetrug belastet auch die Beschäftigten

Der Dieselskandal sei auch für die Beschäftigten der Branche eine Belastung, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann im Deutschlandfunk. "Sie leisten gute Arbeit, aber diese Arbeit ist durch Betrug und Beschiss in Verruf gekommen." Hofmann forderte deshalb konkrete Maßnahmen hin zu mehr Integrität.

Jörg Hofmann im Gespräch mit Ramona Westhof | 22.06.2018
    Der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, im November 2017 während einer Protestkundgebung in Berlin.
    IG-Metall-Chef Jörg Hofmann fordert Aufklärung im Dieselskandal (picture alliance / dpa / Sophia Kembowski/)
    Ramona Westhof: Das Zoll-gegen-Zoll-Karussell dreht sich weiter. Seit heute macht auch die EU ernst und reagiert auf die US-Zölle auf Stahl und Aluminium mit Zöllen – genauer auf ganz traditionelle US-Waren wie Jeans, Whisky oder Erdnussbutter. Als Reaktion aus den USA steht schon die nächste Zolldrohung im Raum, nämlich die, Strafzölle auf europäische Autos zu erheben. Was heißt das eigentlich für die deutsche Industrie? Darüber spreche ich jetzt mit dem Chef der IG Metall, mit Jörg Hofmann. – Herr Hofmann, haben Sie eine Einschätzung? Wie würden sich solche Zölle denn auf die deutschen Autobauer auswirken?
    Jörg Hofmann: Nun sie wirken sich jetzt schon aus, weil die Handelsschranken, die die USA gegen China aufgebaut hat, jetzt schon unmittelbar deutsche Automobilhersteller treffen, die insbesondere aus den USA Fahrzeuge nach China exportieren. Daimler hat gerade gestern bekanntgegeben, dass damit auch das Ergebnis recht deutlich belastet wird, das Daimler erzielt. Und das ist nur ein Beispiel dafür, dass wir leider offensichtlich vor einer Spirale gegenseitiger Handelsgrenzen stehen, Zölle erhoben werden – nicht um vernünftig den Handelsstrom zu lenken, sondern zur Abschottung. Und da kann ich nur warnen davor. Hunderttausende von Jobs in Deutschland hängen von der Exportindustrie ab und Export lebt von einem freien und einem fairen Welthandel.
    Westhof: Heißt das denn, Sie halten US-Zölle auf Autos für realistisch, oder ist das vielleicht sogar vollkommen irrelevant, weil die Drohung der Zölle schon so einen starken Einfluss hat?
    Hofmann: Was man gerade in der US-Außenhandelspolitik wie in anderen Politikbereichen nicht einschätzen kann ist, welche Irrungen und Wirrungen da in den nächsten Tagen und Monaten vor uns stehen. Insoweit: Ob das realistisch ist oder nicht, es ist nicht unwahrscheinlich.
    Zwingende Voraussetzung ist für wirtschaftliche Entwicklung
    Westhof: Jetzt sind Sie ja nicht nur deutscher Gewerkschaftschef, sondern auch internationaler als Präsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes IndustriALL. Gibt es eigentlich so was wie eine transatlantische Solidarität zwischen den Beschäftigten in der Autoindustrie? Kann man da auf die US-Beschäftigten als Verbündete hoffen?
    Hofmann: Die USA hat einen extremen Niedergang ihrer Industrie erlebt, und viele Hoffnungen auch von Beschäftigten gerade in den Branchen, die wir vertreten in den USA, liegen nun darin, dass Handelsschranken Sicherheit bedeutet. Ich meine, das gaukelt Sicherheit vor. Die US-Industrie ist genauso gefordert, letztendlich auf Innovations- und Qualitätswettbewerb zu setzen, und solche Handelsschranken sind allenfalls kurzfristig eine Lösung.
    Wenn Sie mich in meiner Rolle als Präsident von IndustriALL Global ansprechen, dann sehe ich das Thema vor allem mit großen Befürchtungen gegenüber all den Schwellenländern, für die freier Handel in die reiche westliche Welt extrem bedeutsam ist, um überhaupt Wohlstand zu generieren. Wenn ich etwa an die gesamte Textilindustrie in Südostasien denke, wo freier Welthandel zwingend Voraussetzung ist für wirtschaftliche Entwicklung und damit auch zumindest für Basis an sozialen Rechten und Standards, dann ist eine Politik von Handelsschranken eine, die zunächst mal wieder die Ärmsten der Ärmsten trifft. Auch schon deswegen spreche ich mich deutlich dagegen aus.
    Der IG-Metall-Vorstandsvorsitzende Jörg Hofmann beim Forum Journalismuskritik im Deutschlandfunk
    Der IG-Metall-Vorstandsvorsitzende Jörg Hofmann (Deutschlandradio / Jann Höfer)
    Westhof: Noch mal zurück auf die Ebene der Beschäftigten. Gibt es da so was wie einen Austausch?
    Hofmann: Wir konnten uns auf unserer letzten Weltkonferenz auf eine Formulierung verständigen, dass freier und fairer Handel unser gemeinsames Ziel ist. Ich möchte aber nicht verleugnen, dass es da in der Interpretation dieser Formulierung durchaus auch Unterschiede gibt zwischen denen, die sehr deutlich für die Frage "keine Handelsbarrieren" eintreten, aber auch Kolleginnen und Kollegen, die durchaus mit einer gewissen Sympathie darauf schauen, dass ihre Märkte abgegrenzt werden.
    Hohes Interesse an schneller Aufklärung
    Westhof: Anderes großes Thema für die deutsche Autoindustrie ist ja der Dieselskandal. Der Audi-Chef sitzt in Haft, Daimler kann inzwischen auch nicht mehr von sich behaupten, nie betrogen zu haben. Was heißt denn das für die Beschäftigten? Ist es da jetzt auch vorbei mit dieser doch sonst sehr hohen Identifikation mit ihrer Firma?
    Hofmann: Sie wollen auch nicht beim Feierabend-Bier jeweils immer angesprochen werden, in welcher Firma Sie denn eigentlich arbeiten, die solche Umweltstinker produziert, die betrogen und beschissen hat. Für die Beschäftigten ist es zunächst mal eine hohe Belastung, weil sie sehen, sie haben gute Produkte, sie leisten gute Arbeit, aber diese Arbeit ist durch Betrug und Beschiss in Verruf gekommen. Deswegen drängen wir und drängen wir weiter auf Aufklärung und Verantwortungsübernahme, weil das ist keine Basis, wo eine Leitbranche für Deutschland ihre Zukunft gestalten kann. Wir brauchen dort dringend klare Bekenntnisse und klare Maßnahmen dafür, dass die Branche erkannt hat, wir müssen uns anstrengen in Richtung Entkarbonisierung. Wir müssen uns anstrengen mit neuen Mobilitätskonzepte. Allein das Weiter-so in allen Dimensionen reicht nicht.
    Westhof: Jetzt hat sich gerade bei Daimler der Betriebsrat von der Konzernspitze distanziert und selber Aufklärung gefordert. Bekommen Sie da von den Beschäftigten Rückmeldung, wie das aussieht, abgesehen davon, dass es nicht schön ist, ständig darauf angesprochen zu werden?
    Hofmann: Die Beschäftigten haben natürlich wie wir auch ein hohes Interesse an schneller Aufklärung, weil sie sind überzeugt davon – und das ist, denke ich, auch in hohem Maße gerechtfertigt -, die deutsche Automobilindustrie ist weiter Innovationsführer, bringt wunderbare Produkte und kann wunderbare Produkte entwickeln. Die Richtung muss stimmen in Richtung Entkarbonisierung. Die Richtung muss stimmen im Sinne von Innovation in neue Mobilitätskonzepte. Das unterstützen Beschäftigte, obwohl sie wissen, dass das für sie persönlich mit hohem, auch viel strukturellem Wandel, was Tätigkeiten und Arbeitsplätze angeht, verbunden ist.
    Westhof: Und jetzt mal aus Sicht der Arbeitnehmervertreter, die ja auch zum Teil in den Aufsichtsräten sitzen. Sie selbst sitzen ja im VW-Aufsichtsrat. Wie unberührt können die eigentlich bleiben von dem ganzen Skandal? Stellt sich da nicht auch die Frage der Mitwisserschaft vielleicht?
    Hofmann: Sie können mir abnehmen, dass ich nicht unberührt bin, sondern in hohem Maße involviert bin in eine schnelle Aufklärung und in konkreten Maßnahmen, was die Zukunftsfähigkeit angeht, was die Zukunft auch von Compliance und Integrität in den Unternehmen angeht. Insoweit: Wir spielen dort die Rolle der Dränger. Wir spielen die Rolle, die auch personell auf Konsequenzen setzt. Und wir spielen die Rolle, die die Belegschaften mitnimmt, dass Automobilität der Zukunft nicht mehr in der Form und mit dieser Art von Geschäftsmodellen betrieben werden kann, wie wir sie heute kennen.
    Westhof: Vielen Dank, Herr Hofmann!
    Hofmann: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.