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IG Metaller zu Kritik an der Automobilindustrie
"Im Moment wird alles in einen Sack geworfen"

Tatsächliche Manipulationen, Manipulationsvermutungen im Zuge der Dieselaffäre, die Diskussion um Kartellgeschichten: All das führe bei den Menschen aktuell zu Verwirrungen, sagte Roman Zitzelsberger von der IG Metall in Baden-Württemberg im Dlf. Auch er sei wütend, man müsse aber die Dinge auseinanderhalten.

Roman Zitzelsberger im Gespräch mit Peter Kapern | 01.08.2017
    Roman Zitzelsberger, IG Metall-Chef in Baden-Württemberg.
    Trotz aller gegenwärtiger Kritik glaubt Roman Zitzelsberger, IG Metall-Chef von Baden-Württemberg, dass der Automobilindustrie der Switch hin zur Elektromobilität gelingt. Das sagte er im Dlf. (picture alliance / dpa / Bernd Weissbrod)
    Peter Kapern: Die Rettung des Dieselmotors haben sich Gewerkschafter und Betriebsräte zum Ziel gesetzt. Unverzichtbar sei er als Übergangstechnologie, so heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die gestern mit Blick auf den morgigen Diesel-Gipfel veröffentlicht wurde. Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel, Fahrverbote würden Pendler und Verbraucher treffen.
    Mit am Tisch in Berlin wird Roman Zitzelsberger sitzen. Er ist der Bezirksleiter der IG Metall im Autoland Baden-Württemberg und gleichzeitig Mitglied im Aufsichtsrat bei Daimler Benz. Guten Morgen, Herr Zitzelsberger!
    Roman Zitzelsberger: Guten Morgen, Herr Kapern!
    Kapern: Wie ist die Stimmung eigentlich derzeit in den Montagehallen, wenn sich die Kollegen da über den Diesel-Gipfel unterhalten?
    Zitzelsberger: Die Stimmung ist natürlich angespannt, die Stimmung ist nervös, das können Sie sich vorstellen, weil es auf der einen Seite die Verunsicherung gibt, was war denn jetzt tatsächlich, was in der Öffentlichkeit auch kritisiert wird? Da gibt es schon auch gegenüber der Führung der Unternehmen oder der Unternehmer eine entsprechende kritische Haltung. Auf der anderen Seite hat man aber natürlich auch eine große Sorge darüber, dass die ganze öffentliche Auseinandersetzung sich nachhaltig negativ auf die Automobilindustrie und damit auch auf die Arbeitsplätze auswirkt.
    Verwirrung an allen Fronten
    Kapern: Ist es denn die Debatte, die sich negativ auswirkt, oder ist es nicht das, was da in der Automobilindustrie abgelaufen ist in den letzten Jahrzehnten?
    Zitzelsberger: Es ist vermutlich eine Mischung daraus. Weil momentan, wer noch von sich behaupten kann, wirklich in der ganzen öffentlichen Auseinandersetzung, Berichterstattung und den Dingen, die da gemutmaßt werden, unterschreiben zu können, der ist schon ziemlich gut drauf. Weil das Problem ist, dass ja momentan alles in einen Sack geworfen wird: Tatsächliche Manipulationen, Manipulationsvermutungen, jetzt die aktuelle Debatte mit dem Kraftfahrtbundesamt, Kumpanei, die ganze Diskussion um irgendwelche Kartellgeschichten und so weiter, und so fort.
    Das führt natürlich zu einem Amalgam, das für die Menschen nur noch zu Verwirrung führt. Und insofern ist die Frage, beides spielt eine Rolle, nämlich auf der einen Seite die Verunsicherung gegenüber den Dingen, die vermeintlich oder tatsächlich auch falsch gelaufen sind, falsch gemacht worden, und auf der anderen Seite natürlich diese große Welle an öffentlicher Kritik daran.
    Kapern: Aber das klingt jetzt so, Herr Zitzelsberger, als hätten Sie da Zweifel dran, dass irgendetwas von dem, was da in dem Sack steckt an Vorwürfen, Anklagen, Vermutungen, überhaupt nicht den Tatsachen entsprechen würde?
    Zitzelsberger: Nein, so ist es eindeutig nicht, um das auch klar und deutlich zu sagen. Es ist schon auf unserer Seite eine ziemliche Wut, eine ziemliche Verärgerung darüber, wenn man beispielsweise die Nachrüstung, die Nachjustierung der Diesel-Euro5-Fahrzeuge, die bereits so eine Einrichtung haben mit Software, das hätte man schon längst angehen können, da hätte man schon vor über einem Jahr sicherstellen können, dass beispielsweise das, was man jetzt auf den Tisch legt, tatsächlich passiert wäre.
    Das ist so der eine Punkt. Das Zweite aber, ich nehme mal die ganze Auseinandersetzung um Kartell. Da gibt es jetzt eine öffentliche Berichterstattung, da ist auch heftige Kritik daran, und da sagt jetzt die EU-Kartellbehörde, da muss geprüft werden. Und da würde ich davor warnen, da jetzt zu früh zu sagen, aha, tatsächlich haben die da ein Kartell gemacht mit allem Möglichen, sondern das muss erstmal ordentlich aufgearbeitet werden, weil diese Form von Kartellen, wo es um technologische Absprache geht, da gibt es ja bis dato so gut wie keine Erfahrung.
    Kartelle haben sich bisher immer auf Preisabsprachen konzentriert. Und deshalb auf der einen Seite Verärgerung, ja, ohne dass man da irgendwie eine schützende Hand drüber legen will, auf der anderen Seite aber auch bitte die Dinge auseinanderhalten und ordentlich sortieren.
    Thema Feinstaub und Diesel spielt gar keine Rolle mehr
    Kapern: Herr Zitzelsberger, ich habe eben die Erklärung, die da Gewerkschafter und Betriebsräte gestern gemeinsam verabschiedet haben, erwähnt. Ich habe mir diese Erklärung mal durchgelesen. Ich hatte so ein wenig beim Lesen den Eindruck, als würden sich Gewerkschafter und Betriebsräte förmlich an die Dieseltechnologie klammern. Glaubt da in Ihren Reihen etwa immer noch jemand das Märchen, dass da in der VW-Werbung erzählt worden ist, in der ein Mann ein strahlend weißes Taschentuch an einen Dieselauspuff gehalten hat, um zu beweisen, dass da gar kein Dreck rauskommt?
    Zitzelsberger: Na ja, das ist natürlich Werbung, und das ist Marketing, und ich glaube, man muss schon mal sagen, was sind denn die realen Dinge? Die realen Dinge sind, dass beispielsweise das Thema Feinstaub und Diesel seit Euro4 gar keine Rolle mehr spielt, weil es Partikelfilter gibt.
    Übrigens nicht als Maßnahme von der Automobilindustrie im Vorfeld gemacht, sondern weil es da auch massive Kritik der Umweltverbände gab. Und deshalb ist auch diese Kritik an den Dingen, die falsch laufen oder falsch gelaufen sind, vollkommen richtig.
    Bei der Dieseltechnologie ist es aber nun mal einfach so, dass wir momentan einen Switch haben, weniger Diesel, mehr Benziner, die verkauft werden. Was ist das Ergebnis? Der Flottenverbrauch ging wieder auf 128,5 Gramm CO2 nach oben.
    Was klar ist, dass jetzt ohne eine Übergangstechnologie Diesel wir schlicht und ergreifend die CO2-Ziele reißen. Und jetzt will ich nicht CO2 sagen, das ist jetzt das einzig Maßgebliche, sondern wir müssen auf der anderen Seite die anderen Giftstoffe wie jetzt beispielsweise Stickoxide besser in den Griff kriegen. Und bei momentanen Technologien, die auf den Markt kommen, funktioniert das. Das Problem liegt bei den Fahrzeugen, die heute schon auf der Straße sind und vielleicht vor fünf oder vor zehn Jahren verkauft wurden.
    "Weniger das Samtpfötchen als mehr die technische Erkenntnis"
    Kapern: Aber da klingt, genau an dem Punkt klingt die gestern vorgelegte Resolution der Gewerkschafter sehr wenig ambitioniert, um das mal vorsichtig auszudrücken. Da ist von Nachbesserungen bis hin zu Euro5 die Rede, keine Festlegung, ob das jetzt das billige Softwareupdate ist oder die teure Hardwarenachrüstung. Warum so auf Samtpfötchen, Herr Zitzelsberger?
    Zitzelsberger: Das ist weniger das Samtpfötchen als mehr die technische Erkenntnis. Ein Großteil der Euro5-Flotte, und zwar ab der Mittelklasse aufwärts der Fahrzeuge, die hat ja bereits den SCR-Katalysator, der mit dieser Harnstoffnachbehandlung die Stickoxide weitestgehend rausfiltern kann oder deutlich reduzieren kann. Da braucht es keine Hardwarenachrüstung , weil da gibt es keine bessere Hardware, sondern man muss –
    Kapern: Aber wir haben doch gelernt, dass diese Tanks zu klein sind und deswegen immer diese Abschalteinrichtungen anspringen, damit der Harnstoff nicht so schnell verbraucht ist.
    Zitzelsberger: Wenn man den Harnstoff reduziert, dann reden wir im Unterschied von, was weiß ich, 1,6 Liter auf 1.000 Kilometer zu 1,8 Liter auf 1.000 Kilometer. Und ich glaube, insofern ist das kein Lernprozess, der da mit den Harnstofftanks geht, sondern da geht es einfach darum, dass dann gegebenenfalls etwas häufiger nachgetankt werden muss. Aber das heißt jetzt nicht, dass man dann plötzlich jede Woche zur Tankstelle fahren muss, sondern dann ist das vielleicht im Sechs- oder im Achtwochenrhythmus und vielleicht sogar im Halbjahresrhythmus. Also das sind alles Dinge, die beherrschbar sind.
    Entscheidend ist aber tatsächlich, dass man an der Stelle ja nicht jetzt einfach ein Auto nehmen kann, einen Tank ausbauen und einen größeren Tank einbauen. Das würde natürlich – das geht ja bautechnisch gar nicht, weil ja dann möglicherweise der Kofferraum vollgebaut ist mit irgendeinem Tank.
    "Das ist natürlich ein Fehler, das muss man klar sagen"
    Kapern: Aber die Deutsche Umwelthilfe sagt beispielsweise unter Berufung auf Kfz-Experten, dass genau das geht, und dass das Ganze 13,5 Milliarden Euro kosten würde und die Autoindustrie davon nicht überfordert wäre, von solchen Kosten.
    Zitzelsberger: Das ist doch aber genau der Vorwurf: Warum soll ich da jetzt einen größeren Tank einbauen, wenn ich den gleichen Effekt mit einer Softwarelösung auf die Reihe kriege? Dort, wo man eine Hardwarelösung braucht, das wäre bei den Fahrzeugen, die tatsächlich überhaupt gar nicht diese SCR-Technologie haben, und das sind insbesondere die kleineren Fahrzeuge aus dem Euro5-Bereich mit Diesel, weil dort schlicht und ergreifend der Einbau von diesen Teilen schon bei der Konstruktion nicht gemacht wurde. Das ist natürlich ein Fehler, das muss man klar sagen.
    Kapern: In der Resolution, die gestern veröffentlicht worden ist, da steht auch die Forderung nach einer Öko-Prämie drin. Warum sollen jetzt die Steuerzahler die Dividenden der Autoaktionäre retten?
    Zitzelsberger: Ich glaube, darum geht es doch nicht. Es geht doch darum ...
    Kapern: Das wird aber der Effekt sein.
    Zitzelsberger: Das wird er nicht sein, weil es geht doch jetzt darum, wie kriegt man schnellstmöglich insbesondere die Stickoxidbelastung – das ist doch der Kern, um was es geht – reduziert. Und da kann man insbesondere bei den Euro5- und auch bei den älteren Euro6-Fahrzeugen, die auf den Markt gekommen sind, die Softwarenachsteuerung machen. Aber man muss sich natürlich auch überlegen, was passiert mit Euro1 bis Euro4? Das sind immer noch Millionen von Dieselfahrzeugen auf der Straße, und da kann man in der Tat überlegen, wie kriegt man die so schnell wie möglich runter. Und wenn man beispielsweise so eine Öko-Prämie für Fahrzeuge Euro3, Euro2 macht, dann kann man da beschleunigt diese Fahrzeuge aus dem Verkehr ziehen und verschrotten und neuere Fahrzeuge hinbringen. Da hat die Automobilindustrie – da geht es nicht darum, der Automobilindustrie irgendwelche Dividenden oder Ähnliches zu retten, sondern die Luft sauberer zu machen.
    "Zu lange gezögert, die Nachbesserungen auf die Reihe zu kriegen"
    Kapern: Herr Zitzelsberger, ist eigentlich die deutsche Automobilindustrie die neue Montanindustrie, die auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit aberwitzigen Milliardensummen subventioniert werden muss, mit immer wieder neuen Öko-Prämien?
    Zitzelsberger: Nein, das glaube ich nicht. Die deutsche Automobilindustrie befindet sich ja, das kann man den ganzen Veröffentlichungen von Bilanzen und den Jahrespressekonferenzen, die jetzt in jüngster Zeit auch noch mal gewesen sind, deutlich sehen, das ist eine stabile Industrie, die gutes Geld verdient, wo auch gute Gewinne gemacht werden und die auch technologisch weit vorn ist. Wir reden ja heute über Kritik an Themen, die jetzt nicht aus dem gegenwärtigen Geschäft und aus dem zukünftigen Geschäften resultieren, sondern wir reden über insbesondere die Euro5-Norm, und wir reden im Dieselbereich über die Euro6-Norm, also Dinge, die drei, vier, fünf und mehr Jahre zurückliegen.
    Und deshalb glaube ich, dass die Automobilindustrie – und das muss man kritisieren – viel zu lange gezögert hat, diese Nachbesserungen auf die Reihe zu kriegen. Das ist Kritik. Aber auf der anderen Seite sich jetzt gerade auf einen großen Transformationsprozess vorbereitet, nämlich hin zu einer noch emissionsärmeren bis hin zu einer emissionsfreien Technologie. Und das sind die großen Herausforderungen, die bevorstehen, Stichwort Elektromobilität oder andere Antriebe, die weniger CO2-Emissionen verursachen. Und insofern glaube ich, dass da in den nächsten Jahren ein Switch zu einer ganz anderen, umweltfreundlicheren Technologie möglich ist.
    "Elektromobilität made bei Tesla ist eine ganz andere Geschichte"
    Kapern: Aber gerade beim Thema Elektromobilität, das Sie genannt haben, da musste ich kurz schlucken, als Sie gerade von einer stabilen Industrie, die technologisch weit vorn liegt, redeten. In der vergangenen Woche sind die ersten Tesla Modell 3 ausgeliefert worden mit 500.000 Vorbestellungen für dieses Fahrzeug. Die deutsche Automobilindustrie technologisch weit vorn?
    Zitzelsberger: Ja, unbedingt. Und zwar einfach deshalb, weil Elektromobilität made by Tesla ist eine ganz andere Geschichte wie das, um was es in der Automobilindustrie geht. Da hat einer eine unglaublich coole Idee gehabt, baut Autos, die extrem auf Emotionen setzen und die natürlich auch, was die Frage von Zukunftstechnologie betrifft, schon auch ein paar wegweisende Punkte auf die Reihe gebracht hat. Und der entscheidende Punkt ist aber der, dass wir eine Industrie haben, die quasi ja einen Switch aus Bestehendem zum Neuen auf die Reihe bringen muss ...
    Kapern: Daran sind schon andere Industrien gescheitert.
    Zitzelsberger: Ja, aber meine Wahrnehmung ist, dass an verschiedenen Technologien gearbeitet wird. Wir haben das ganze Thema der Hybridtechnologie, es wird teilweise an Wasserstofffahrzeugen, also an Brennstoffzellenfahrzeugen gearbeitet. Das Thema Batterietechnologie wird jetzt weiter nach vorn geschoben. Jetzt kann man durchaus kritisieren, wieso war das nicht schon vor zwei oder drei Jahren – aber es sind auch schon welche gescheitert, weil sie mit einer neuen Technologie viel zu früh dran waren.
    Ich bin davon überzeugt, dass dieser Switch jetzt hin zur Elektromobilität in den nächsten Jahren, und da reden wir ja nicht über drei, vier Jahre, und dann ist das alles anders, sondern da reden wir über anderthalb, vielleicht über zwei Jahrzehnte, bis das die intensivste Marktdurchdringung, bis das die Mehrheit hat, dass wir dann die Nase schon wieder nach vorn kriegen.
    Kapern: Sagt Roman Zitzelsberger, der Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg. Herr Zitzelsberger, Danke für das Gespräch heute früh. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
    Zitzelsberger: Ihnen auch. Danke, Herr Kapern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.