Marianne Crebassa singt in Berlin

Ein Geschenk für Claude Debussy

Die Mezzosopranistin Marianne Crebassa
Die Mezzosopranistin Marianne Crebassa © Simon Fowler
03.05.2018
Im 100. Todesjahr von Claude Debussy haben die Staatskapelle Berlin, der Staatsopernchor und Daniel Barenboim ein besonderes Geschenk für den Jubilar und das Publikum vorbereitet. Es werden u.a. zwei Werke gespielt, die man nur selten im Konzertsaal erleben kann.

Staatsoper "Unter den Linden" Berlin

Aufzeichnung vom 01.05.2018
Claude Debussy
"La Damoiselle Élue"
Poème lyrique für Sopransoli, Frauenchor und Orchester
"Trois Nocturnes".
Triptyque symphonique für Frauenchor und Orchester
ca. 20.55 Konzertpause
Claude Debussys Briefe an seine Verleger
Michael Dasche im Gespräch mit dem Übersetzer und Herausgeber Bernd Goetzke
"Trois Ballades de François Villon".
Fassung für Singstimme und Orchester
"La mer". Drei sinfonische Skizzen für Orchester

Anna Prohaska, Sopran
Marianne Crebassa, Mezzosopran
Chor der Staatsoper "Unter den Linden" Berlin
Staatskapelle Berlin
Leitung: Daniel Barenboim

Inspiriert von englischer Dichtung

Im Jahr 1884 hatte der 22-jährige Claude Debussy – nach zwei erfolglosen Versuchen – endlich den begehrten "Prix de Rome" der französischen "Académie des Beaux-Arts" gewonnen. Der Preis hatte ihn enorm gereizt, denn außer einer erklecklichen Geldsumme brachte er dem Gewinner einen vierjährigen Aufenthalt in der römischen Villa Medici und eine Aufführungsgarantie für die kommenden Werke. Der Nachteil: In diesen vier Jahren mussten weitere Pflichtstücke nach Paris abgeliefert werden. Bereits zwei Einreichungen Debussys hatte die Jury scharf kritisiert.
So entstand im Jahr 1887/88 "La Damoiselle Élue", ein Poème lyrique für zwei Frauenstimmen, Frauenchor und Orchester. Der Untertitel weist schon darauf hin, dem Werk liegt ein Gedicht zu Grunde. Debussy hatte es in einer Anthologie englischer Lyrik gefunden, die 1883 in französischer Übersetzung veröffentlicht worden waren. Der Autor des Gedichtes, Dante Gabriel Rossetti, war Dichter und Maler gleichermaßen und gilt als der Kopf der 1848 gegründeten Bewegung der prä-raffaelitischen Bruderschaft, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die englische viktorianische Malerei vor dem Verfall zu retten. Rossettis Malerei und Dichtung waren ein Bezugspunkt für die symbolistischen Dichter in Paris, für deren Texte Debussy sich in dieser Zeit ebenfalls interessierte. In dem Text von Rossetti, und damit auch in Debussys Vertonung, seiner Kantate "La Damoiselle Élue", geht es um eine junge Frau, eine "auserwählte Jungfrau", die früh verstorben ist und sich im Himmel, umgeben von anderen glücklich vereinten Liebespaaren, nach ihrem auf der Erde verbliebenen Geliebten sehnt. Sie hofft vergebens, dass ihre Gebete auf ein Wiedersehen mit ihm erhört werden. Neben der Protagonistin selbst kommen auch eine Erzählerin und ein Frauenchor zu Wort, die die Situation anschaulich beschreiben.

Atmosphäre des Unwirklichen

Die "Drei Nocturnes" für Orchester sind ca. zehn Jahre später entstanden. Wie bereits in der frühen Kantate, ist die Palette des Farbenkünstlers Debussy und seine Vorliebe für eine schwebende Harmonik auch hier erkennbar. Der erste Satz mit dem Titel "Nuages" ("Wolken") ist ein atmosphärisch dichtes Stück in trüben Lichtstimmungen, das von Motiven des Englischhorns geprägt wird. Der zweite Satz lässt sich als Abbild eines nächtliches Festes verstehen, bei dem ein unbeteiligter Gast zu den Klängen einer Tarantella ganz unterschiedliche Szenen auf und neben der Tanzfläche zu beobachten scheint. Und im dritten Satz mit dem Titel "Sirenen" werden wir an ein nächtliches Meer versetzt, auf das ein silbriger Mond scheint. Die Atmosphäre des Unwirklichen wird verstärkt durch die Anwesenheit von Fabelwesen, von Sirenen. In seiner "Odyssee" hatte Homer die Sirenen als Mischwesen aus Mensch und Vogel beschrieben, die durch ihren betörenden Gesang die Seefahrer an gefährliche Stellen locken, bis ihre Schiffe in tödlichen Strudeln versinken. Bei Debussy sind diese unwiderstehlichen Sirenen durch acht Soprane und acht Mezzosoprane verkörpert, die mitten im Orchester sitzen.

"Niemand tratscht so viel wie die Pariserinnen"

Für die "Trois Ballades de François Villon" für Singstimme und Orchester aus dem Jahr 1910 hat sich Debussy deutlich von den duftigen anspielungsreichen Texten der Symbolisten abgewandt. Der Dichter der Balladen, Francois Villon, lebte im 15. Jahrhundert und gilt als wichtiger Dichter des französischen Spätmittelalters. Viel weiß man über ihn nicht, nur soviel, nach seinem Studium in Paris zog er als fahrender Sänger durchs Land und war aufgrund von Diebstählen und anderer Straftaten meist auf der Flucht oder in Haft. Wiederentdeckt und als Dichter anerkannt wurde er im französischen Sprachraum um 1830, als seine obrigkeitskritischen und deftigen Bänkel-Lieder und Balladen neu herausgegeben wurden. Die Symbolisten identifizierten sich mit Villons Rolle als frecher Außenseiter und schätzten seinen ironischen Ton. Wahrscheinlich ist auch Debussy so auf Villon aufmerksam geworden.
Die drei Balladen, die er vertont hat, sind extrem unterschiedlich. In der ersten Ballade leidet der Ich-Erzähler an Liebeskummer. Die Angebetete wird nun aber keineswegs gerühmt, sondern geschmäht: ihre Liebenswürdigkiet ist heuchlerisch, ihr Charme trügerisch, ihre Augen ohne Mitleid. Der Enttäuschte stellt sich die Schöne in der Zukunft alt und hässlich vor, was ihn aber auch nicht tröstet, und wendet sich wieder seinem Weinbecher zu.
Im Titel der zweiten Ballade heißt es, Villon habe sie für seine arme und alte Mutter verfasst, die sich von ihm ein Gebet gewünscht habe, das sie an die Muttergottes Maria richten könne.
In der dritten Ballade geht es um die hervorstechendste Eigenschaft der Frauen aus Paris, ihre Schwatzhaftigkeit. Villon nimmt sich viel Zeit, die Pariserinnen mit den Frauen aus der Lombardei und aus Neapel, aus Deutschland und Preußen, aus Griechenland und Ägypten, aus Spanien und Kastilien zu vergleichen, und kommt doch zu dem Schluss "niemand tratscht so viel wie die Pariserinnen".

Beobachtungen am Meer

"La Mer", ein Hauptwerk des Komponisten, besteht aus drei Teilen, die nicht Sätze heißen, sondern "sinfonische Skizzen". Wie schon in den "Nocturnes", so sind es auch in "La Mer" eher locker gereihte Momente, die in all ihren Details beobachtet und dargestellt werden.
Die erste Skizze "Vom Sonnenaufgang bis zum Mittag auf dem Meer" ist vor allem eine Studie über Licht, Wolken und deren Spiegelungen auf dem Wasser.
Im zweiten Satz "Spiel der Wellen" wird auch musikalisch nachvollzogen, wie unaufhörlich aus kleinen Partikeln und Impulsen etwas Großes entsteht und dieses Große seinerseits wieder in etwas Kleines zerfällt. Hier sind besonders die Wirbel und Strudel interessant, die musikalisch parallel ablaufen.
Und in der dritten Skizze scheint ein Unwetter aufzuziehen. "Dialog von Wind und Meer" heißt der entsprechende Titel, und das scheint ziemlich untertrieben zu sein, denn man hat hier den Eindruck, ein regelrechtes Gewitter zu erleben. Den stürmischen Winden hat Debussy chromatische Themen zugeteilt, den Wasserelementen, die er teilweise aus der ersten Skizzze aufgreift, diatonische, so dass auch harmonisch einiges durcheinandergewirbelt wird.