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Ikone des Menschheitsfortschritts

Als Neil Armstrong seinen Stiefel in den Mondstaub setzte, verwandelte sich Göttin Luna in eine Geröllhalde, auf der man Messgeräte platzierte. Zum ersten Mal konnten die Menschen ihren Heimatplaneten mit anderen Augen betrachten - in Echtzeit aus 400.000 Kilometern Entfernung.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 26.08.2012
    Die Menschen, die vor dem 21. Juli 1969 geboren wurden, sind heute in der Minderheit. Das heißt, die meisten Bewohner unserer Erde haben keine eigene Erinnerung an eine Epoche, als so etwas wie der Mondflug nur ein wilder Traum war. Unvorstellbar lange hatte diese Epoche gedauert, vom Anbeginn der Weltgeschichte bis zu jenem Tag, an dem Neil Armstrong die schmale Leiter der Landefähre Eagle hinabstieg, den Boden des uns nächsten und vertrautesten Himmelskörpers betrat und seinen legendären Satz sagte; und dieser Premierencharakter des historischen Ereignisses ist etwas, das sich in seiner metaphysischen Erhabenheit für uns Heutige fast fremd und suspekt anfühlt. Wir Heutigen leben nämlich geschichtsphilosophisch in einer Perspektive laufender Prozesse, wir leben mit Entwicklungen und gleitenden Übergängen statt mit Rekorden und heroischen Momenten.

    Die Mondlandung aber strahlte im Glanz der Erstmaligkeit, der für die Neuzeit schon vom Begriff her charakteristisch ist. Alles Neue musste erkundet und erobert werden. Es war die Ära der wissenschaftlich motivierten Entdeckungen und später der sportlichen Bezwingungen immer neuer Gegenden. Der Gedanke unbetretenen Geländes stellt für den neuzeitlichen Menschen eine Herausforderung per se dar, und da inzwischen wohl kein Fleck auf der Erdkruste mehr solche Unberührtheit aufweist, bleibt nur die allerdings recht reichhaltige Ausstattung des Weltalls übrig.

    In der Minute, als Neil Armstrong seinen Stiefel in den Mondstaub setzte und beinahe erstaunt feststellte, dass er sich ganz leicht und problemlos bewegen konnte, überlagerten sich gleich mehrere Epochenbrüche auf ganz verschiedenen Gebieten. Zum einen verlor der Mond auf immer seinen mystischen Status. Göttin Luna, verwandelte sich von einer fremden Macht, die auf das Meer, die Frauen und die Dichter wirkt, in eine graue Geröllhalde, auf der man Messgeräte platziert. Zum anderen ermöglichte die Mondfahrt sozusagen einen interstellaren Perspektivenwechsel, indem unser Blauer Planet vom Boden des leb- und atmosphärelosen Trabanten aus betrachtet und gefilmt werden konnte.

    Dieses Filmen und Betrachten selbst weist auf den dritten Aspekt des Noch-nie-Dagewesenen hin, und zwar den Beginn der Ära weltumspannender Simultanität. Wenn auch die damals verwendete Medientechnologie geradezu rührend anmutet – schließlich holten die Astronauten unter anderem eine 19-Millemeter-Filmkamera und eine Hasselblad aus ihrem Gefährt, um brauchbare Bilder zu machen –, und wenngleich die vom Nasa-Zentrum in Houston empfangenen und verteilten Audio- und Video-Signale qualitativ ziemlich dürftig waren, die Übertragung setzte einen Meilenstein für die Entstehung jener emphatischen Jetzigkeit, die unser modernes Weltgefühl prägt.

    Für all diese Facetten eines ganz großen Geschehens steht der Name von Neil Armstrong. Er gilt als Held, der aber wenig von sich hermachte. Es war keine falsche Bescheidenheit, denn er wusste, dass er das Große, was jeder in der Mondlandung erkennt, nicht selbst bewirkt hatte. Er hatte es nur erlebt, es ist durch ihn hindurchgegangen. "Er sprach mit langen Pausen, in denen er nach Worten suchte", schrieb Norman Mailer über ihn: "Wenn er dann wieder redete, schien die Wartezeit für den banalen Inhalt zu lang gewesen zu sein."

    Gewiss, er war ein nervenstarker Pilot, der den Eagle trotz Treibstoffknappheit in den letzten Minuten per Handsteuerung genau an der richtigen Stelle im Mare Tranquilitatis aufsetzte. Und natürlich gehörte enormer Mut zu der ganzen Mission; für den Fall des Scheiterns hatte der amerikanische Präsident schon eine Trauerrede parat. Und natürlich war und bleibt der soldatische Auftrag, zum Mond zu fliegen, auch ein Politikum – der damalige Kontext des Kalten Kriegs geht nahtlos in denjenigen der antiamerikanischen Verschwörungstheorien über, die um die Behauptung kreisen, die Mondlandung habe in Wirklichkeit nicht stattgefunden.

    Von den zwölf Menschen, die jemals auf dem Mond waren, leben jetzt noch acht. Sie haben auch unser Verhältnis zum Universum neu definiert. Aber die Reise, die Neil Armstrong jetzt angetreten hat, ist noch ein ganzes Stück weiter als der uns bekannte Kosmos.