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Im Ballhaus Naunynstraße
"Der klügste Mensch im Facebook"

Als sich im Arabischen Frühling im Jahr 2011 auch in Syrien die Proteste gegen Diktator Baschar al-Assad ausbreiten, beginnt ein Mann seine ganz persönliche Revolution - in den sozialen Netzwerken. Auf Facebook schreibt Aboud Saeed täglich Statusmeldungen. "Der klügste Mensch im Facebook", so nennt er sich selbst. Jetzt hat das Berliner Theater Ballhaus Naunynstraße ein Theaterstück inszeniert.

Von Marie Kaiser | 26.11.2015
    Aboud Saeed bei der Eröffnungsveranstaltung Flüchtlingsgespräche vom READ!
    Aboud Saeed bei der Eröffnungsveranstaltung Flüchtlingsgespräche vom READ! (Imago / Future Image)
    Willkommen in Aboud Saeeds kleiner Facebook-Show! Kaum hat der Selbstdarsteller im dunklen Anzug mit seinen Schlangenleder-Cowboystiefeln die Bühne betreten, beginnt er mit den Damen in der ersten Reihe zu flirten. Seine blau-verspiegelte Pilotenbrille nimmt er nur ab, um ihnen besser zuzwinkern zu können.
    "Ich chatte nicht mit Männern. Was aber nicht bedeutet, dass ich mit jeder Frau oder jedem Mädchen chatte. Ich akzeptiere keinerlei Kritik, so freundlich sie auch formuliert sein mag. Ich öffne mein Profil lediglich, um meiner selbst zu frönen."
    Der klügste Mensch im Facebook kommt aus Manbisch, einer kleinen Stadt in der syrischen Provinz Aleppo. Früher hat er dort Metall geschmiedet, jetzt feilt er an Formulierungen auf Facebook. Zwischen Bombenangriffen und Stromausfall schreibt er über den Diktator, der keinen Jazz hört, den Hintern von Shakira oder über das Rauchen.
    "Auf Facebook spricht jeder, mich eingeschlossen, während draußen das Schweigen tausende von Menschen umgebracht hat. Aber das ist die Gerechtigkeit. Auf Facebook spricht das Wort, hier braucht ein Mädchen keine modische Frisur, sie braucht kein Handy, sie braucht kein Silikon. Hier braucht der Mann keine Krawatte. Er muss sich nicht rasieren. Er muss kein Auto haben. "
    Ein Buch, das aus Statusmeldungen besteht
    Für den Schauspieler und Regisseur Karim Chérif ist Facebook eine einzige Bühne - und deshalb interessierte ihn das Buch von Aboud Saeed, das dem Theaterabend zugrunde liegt. Ein Buch, das allein aus Statusmeldungen besteht, die Aboud Saeed zwischen 2011 und 2013 auf Facebook veröffentlicht hat.
    "Also ich glaube das Schwerste war, die Facebook-Posts zusammenzustellen zu einem Stück. Weil Posts sind ja Momentaufnahmen. Und diese Momentaufnahmen zu einem Abend, zu einer Geschichte zu verweben, war glaub ich das Schwierigste."
    Cherif bringt den "klügsten Mann" auch als "großspurigsten Mann im Facebook" auf die Bühne. Und da er keinen Monolog inszenieren wollte, hat er sich eine Sparringspartnerin im bodenlangen Abendkleid an die Seite gestellt. Die Schauspielerin Bärbel Schwarz, die nicht nur Schlagzeug, Keyboard oder E-Gitarre spielt, sondern auch die Rolle von Aboud Saeeds Mutter übernimmt. Oder die Stimme des weißen Facebookfensters, das Tag und Nacht unermüdlich fragt:
    "Woran denkst du gerade? Ich weiß es nicht. Woran denkst du gerade? Oh Mann, Facebook du Idiot, das kann man gar nicht hier hinschreiben, woran ich denke."
    Mehr als bloße Selbstdarstellung
    Sein Leben auf Facebook ist für Aboud Saeed jedoch viel mehr als bloße Selbstdarstellung – sie ist seine Überlebensstrategie. Während der große Krieg sein Land vernichtet, geht sein kleines Leben weiter, und mittlerweile lebt er in Berlin:
    "I'm Aboud Saeed. I'm the one, who wrote everything. I'm the smartest guy on facebook."
    ...und der echte Aboud Saeed, der noch nie in einem Theater war, steht plötzlich selbst auf der Bühne. Zumindest für fünf Minuten. Wie auf Facebook darf er einfach erzählen, was ihm gerade in den Sinn kommt.
    "Wenn du etwas Wichtiges zu sagen hast, sag es auf eine alberne Art, nicht auf eine ernste. Albernheit ist viel tiefgründiger."
    Der klügste Mensch im Facebook ist Aboud Saeed schon deshalb, weil er sich mitten im Bürgerkrieg die Freiheit herausgenommen hat, albern zu sein. Genau diese alberne Tiefgründigkeit trifft Regisseur Karim Chérif auch in seiner Inszenierung. Allein zum Schluss fallen ihm die Erzählfäden aus den Händen. Seine Geschichte endet - wie das Buch - im Jahr 2013, in dem Aboud Saeed Syrien verlassen hat. Um doch noch etwas Aktualität in das Stück zu bringen, gibt es am Ende Bilder der zerstörten Stadt Aleppo, nichts als Ruinen gefilmt aus einem Hubschrauber. Nur - um genau solche Kriegsbilder ist es dem "klügsten Menschen auf Facebook" Aboud Saeed nie gegangen.
    "Der Krieg, den man im Fernsehen sieht, ist der große Krieg. Aber mich interessiert der kleine Krieg, der in das Leben der Menschen in jede Straße und in jedes Haus eingezogen ist. Das ist der wirkliche Krieg, den die Menschen jeden Tag zu spüren bekommen!"
    "Der klügste Mensch im Facebook" wird heute Abend um 20 Uhr wieder gespielt und ist dann noch bis zum 29. November zu sehen. Im Ballhaus Naunynstraße in der Naunystraße 27 in Berlin Kreuzberg.