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Im Dickicht der Eiweiße

US-Forscher haben ein Eiweiß präsentiert, das bei der Entstehung kognitiver Störungen, Gedächtnisverlust und Lernschwäche bei Schizophrenie eine Rolle spielen könnte. Ihre Entdeckung könnte einen neuen Ansatz für die Entwicklung von Medikamenten gegen die Krankheit liefern.

Von Katrin Zöfel | 14.12.2011
    "Wir können keine der wichtigen Fragen zu Schizophrenie beantworten. Wir kennen die molekularen Mechanismen nicht. Wir wissen nicht, was genau in welchem Teil des Gehirns geschieht. Und solange wir das alles nicht wissen, können wir keine gezielten Therapien für die Symptome der Menschen entwickeln."

    Carol Tamminga ist Professorin für Neuropharmakologie am Southwestern Medical Center der Universität von Texas. Diese Aussage sei zwar überspitzt, gibt sie zu, aber grundsätzlich stimme: Es ist noch viel zu viel unklar. Vor fünf Jahrzehnten formulierten Wissenschaftler die Hypothese, dass ein Zuviel des Nervenbotenstoffs Dopamin der Grund für die Krankheit sein könnte, oder eine Überempfindlichkeit des Gehirns auf Dopamin. Inzwischen hat sich die Meinung durchgesetzt, dass dieses Modell zwar nicht vollkommen falsch, aber vermutlich viel zu einfach ist. Sämtliche Medikamente allerdings basieren immer noch auf dieser Hypothese.

    "Ich sehe das so: Was wir heute an Antipsychotika haben, ist ungefähr so wirksam und so spezifisch wie ein Aspirin bei Migräne. Es wirkt zwar - aber längst nicht immer und wir haben für Migräne inzwischen viel bessere Mittel. Bei Schizophrenie aber sind wir heute so weit, wie bei Migräne vor 20 Jahren."

    Es bleibt in der Medikamentenentwicklung hier also noch viel Luft nach oben. Doch dafür muss zunächst mehr über die Mechanismen der Krankheit herausgefunden werden. Ein neuer Vorschlag dazu kommt aus der Yale School of Medicine in New Haven.

    "Wir haben im Labor zeigen können, dass drei verschiedene Antipsychotika dazu führen, dass ein ganz bestimmtes Enzym inaktiviert wird, nämlich STEP."

    Was dafür spricht, sagt die Forscherin Nikisha Carty, dass dieses Enzym bei Schizophrenie eine Rolle spielt. Bei STEP handelt es sich um ein Eiweiß, das in einem bestimmten Teil des Gehirns bei allen Menschen verstärkt vorkommt, dem Striatum. Gewebeuntersuchungen haben außerdem ergeben, dass im Gehirn von Schizophreniepatienten mehr STEP vorhanden ist als bei Gesunden. Bekannt ist zudem, dass dieses Enzym direkt auf die Synapsen der Nervenzellen wirkt, also auf die Verbindungsstellen zwischen den Zellen. Mit anderen Worten: Das Enzym kann die Kommunikation zwischen Nervenzellen verstärken oder schwächen. Nikisha Carty präzisiert: STEP wirke auf bestimmte Moleküle an der Synapsenoberfläche, an denen der Nervenbotenstoff Glutamat andocken kann.

    "STEP sorgt dafür, dass diese Glutamat-Rezeptoren von der Oberfläche der Nervenzellen ins Zellinnere verlagert werden. Ist also mehr STEP vorhanden, hat man am Ende weniger Rezeptoren an der Zelloberfläche. Die Signalübertragung durch Glutamat wird verändert, und die wiederum ist in dieser Hirnregion entscheidend für viele kognitive Prozesse."

    Mit diesem Mechanismus könnte man einige typische Schizophrenie-Symptome erklären, unter anderem Gedächtnis- und Lernschwächen. Nikisha Carty versuchte, ihre Hypothese mit Mäuseversuchen zu untermauern. Die Idee: Mäuse, die genetisch so verändert sind, dass sie gar kein STEP-Protein bilden, müssten demnach unempfindlich sein gegen Phencyclidin. Das ist eine Substanz, die bei normalen Mäusen schizophrenieartige Zustände auslöst. Carty unterzog die genetisch veränderten Mäuse einem Lerntest. Üblicherweise schneiden normale Mäuse, die Phencyclidin bekommen haben, bei diesem Test ziemlich schlecht ab. Die veränderten Mäuse dagegen lernten gut und schnell, obwohl sie Phencyclidin bekamen.

    "Wenn wir also dieses Enzym STEP aus dem System nehmen, treten diese psychoseartigen Symptome nicht mehr auf. Wir sind natürlich noch sehr am Anfang, und wir haben noch lange nicht das ganze System verstanden. Aber wir haben damit einen klaren Hinweis darauf, dass STEP eine Rolle spielt, und wenn wir die Aktivität dieses Enzyms senken könnten, könnte das ausreichen, um einige Symptome zu mildern."

    Nikisha Cartys Kollegen im Nachbarlabor in Yale haben deshalb damit begonnen, nach Substanzen zu suchen, die die Aktivität von STEP beeinflussen könnten. Diese Suche aber werde lange dauern, man habe gerade erst damit begonnen.