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Im Fadenkreuz von Nationalisten und Terroristen

Brutale Ausschreitungen gegen Nord- und Südkaukasier gehören zum Moskauer Alltag. Die Miliz schlägt sich in vielen Fällen auf die Seite der Schläger. Und die Regierung geht nur zaghaft mit dem Problem um.

Von Robert Baag | 06.03.2011
    Vor einigen Wochen. Mitten im Zentrum Moskaus, auf dem Manegeplatz, einen buchstäblichen Steinwurf entfernt von der politischen Herzkammer Russlands, dem Kreml: Mehrere tausend überwiegend junge Männer sind zornig, brüllen laut in den Winternachthimmel: "Russkie vperjod...! - Russen - vorwärts! Russen - vorwärts!" - Und gleich hinterher "Einer für alle und alle für einen!" -

    Die OMON-Sonder-Miliz, martialisch verpackt, Gladiatoren gleich, in Helmen mit dunklem Visier, bewaffnet mit Schildern und Schlagstöcken steht einer tobenden Menge gegenüber - ein unbeweglich bollwerkartiger Block. Schließlich fliegen Steine, Flaschen, es ist zu sehen, wie sich kleine Grüppchen aus der Menge lösen, andere Jugendliche jagen, sie zu Fall bringen, zu prügeln beginnen - und dann die Rufe: "Russland - den Russen! Und Moskau nur für Moskauer!"

    Gegen so genannte "Schwarze" skandieren sie, gegen Menschen, die aus den nord- und südkaukasischen Republiken stammen, die aus den ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien nach Russland gekommen sind, um sich hier - meist mühsam - ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Doch bei den ausländerfeindlichen Rufen bleibt es auch diesmal nicht. Wer nur entfernt einem Kaukasier ähnlich sieht, muss buchstäblich um sein Leben fürchten, riskiert zumindest vom Mob brutal zusammengeschlagen zu werden. Garik:

    "Miliz musste uns schützen."

    Drei Milizionäre hätten sie schließlich, so gut es ging, verteidigt, berichtet später im russischen Fernsehen der dreizehnjährige Armenier Garik, der seine Freunde zu einem Geburtstags-Pizza-Essen in ein nahe gelegenes Café eingeladen hatte. Auf dem Heimweg seien sie dann aber am Manege-Platz vom Mob abgefangen und unter Schlägen in Richtung Polizei-Absperrung gehetzt worden. Dabei hätten sie ziemlich was abbekommen. Die Beamten mussten sie schließlich sogar unter ihrem Streifenwagen verstecken. "Sonst hätte man uns wohl totgeschlagen", erzählt der Halbwüchsige immer noch unter Schock stehend. Nur mühsam blinzelt er durch seine zu geschwollenen, schon violett und dunkelblau verfärbten Augenlider. Sein Vater, ein seit Jahren in Moskau lebender Armenier, ist wütend und verbittert:

    "Was für Menschen? Im Internet kann man sehen, wie ein etwa 40-jähriger Mann auf ihn einschlägt. Auf ein Kind! Das ist sicher bequem, was?! Dem würde ich gerne in die Augen schauen! Vernunft - das wünsche ich ihm!"

    Von der plötzlichen Dynamik dieser pogromartigen Ausschreitungen Mitte Dezember sind die Sicherheitskräfte der russischen Hauptstadt offenbar völlig überrascht worden. Dabei hätten sie vorgewarnt sein können. Einige Tage zuvor, im Anschluss an ein Fußballspiel war bei einer Schlägerei ein russischer Fan ums Leben gekommen. Erschossen aus einer umgebauten Luftpistole, von einem Nordkaukasier, einem Daghestaner - so macht die Nachricht sofort die Runde im Internet. Es kommt zu einer spontanen Demonstration mit ausländerfeindlichen Parolen gegen Kaukasier. Der mutmaßliche Täter kann festgenommen werden. Doch: Er plädiert auf "Notwehr".

    "Es war nur Selbstverteidigung. Töten wollte ich niemanden! Ich bin erst dazugekommen, als die Schlägerei schon im Gang war. Mich haben Leute angegriffen, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Ich bekam Stöße in den Rücken. Zwei Mann waren das - die kamen von hinten...!""

    Der Untersuchungsrichter hat keine Gegenbeweise. Deshalb setzt er den jungen Daghestaner gemäß der Strafprozessordnung bis zur Gerichtsverhandlung auf freien Fuß. Die nationalistische Fußballfan-Szene schäumt, vermutet Bestechung. Der Nordkaukasier habe sich, wie das eben so sei, bestimmt freigekauft, wird kolportiert. Und schon kurz darauf kann dann ganz Russland im staatlich kontrollierten Fernsehen den tobenden Mob auf dem Moskauer Manege-Platz besichtigen - in minutenlangen Live-Schaltungen.

    Auch wenn die Fernseh-Kommentatoren die nationalistisch-rassistischen Ausschreitungen kritisieren, festzuhalten bleibt: Die liberale Opposition hat bisher von soviel Sendezeit nur träumen können. - Äußerlich scheint in Moskau inzwischen wieder die öffentliche Ruhe eingekehrt zu sein. Doch Svetlana Gannuschkina von der Menschenrechtsorganisation "Staatsbürgerliche Zusammenarbeit" erlebt es anders:

    ""Fast jeden Tag, wenn ich mit der U-Bahn nach Hause fahre, stehen in der Station 'Tschis-tyje Pru-dy', also mitten in Moskau, irgendwelche in der Regel angetrunkene Grüppchen herum, wohl sogenannte Fußball-'Fans', vielleicht auch nur ganz gewöhnliche Faschisten. Die picken sich Passagiere heraus, fragen sie nach ihrer Nationalität. Manchmal wird dann auch jemand zusammengeschlagen. Sie schreien herum, brüllen nationalistische Parolen wie 'Russland den Russen' oder: 'Moskau nur für Moskauer', oder: 'Zugereiste, haut ab!'- allerdings in einer Fäkalsprache, die ich nicht wiederholen möchte. Die Miliz vor der Metrostation interessiert das alles nicht weiter. Die haben mir nur gesagt: 'Das geht uns nichts an - das findet auf U-Bahn-Gelände statt'."

    "Und im Vertrauen", so habe ihr dann einer der Beamten gesagt: "Wenn ich mich da einmische und was abkriege, bin ich noch nicht mal versichert." Einfach Angst habe der Ordnungshüter gehabt, ist sich Gannuschkina sicher. Aber auch die U-Bahn-Transport-Miliz habe sich nicht gerade eifrig gezeigt. Was für faschistische Losungen man dort denn schreie, wollte der Diensthabende am Telefon erst einmal gemächlich von ihr wissen:

    "'Russland - den Russen!', zum Beispiel. Und dann habe ich ihn zurückgefragt: 'Ist das vielleicht keine faschistische Parole?!' - Pause - 'Und wenn da gebrüllt würde', frage ich, 'Deutschland - den Deutschen?' Postwendend die Antwort aus dem Hörer: 'Ja, dann!' Das ist doch drollig, oder?!"

    Nikolaj Petrov vom Moskauer Carnegie-Center kann zwar über diese Episode ebenfalls lachen, sieht zugleich aber auch einen Ernst zu nehmenden, sogar gefährlichen Hintergrund:

    "Die Mentalität unserer Sicherheitskräfte ist so gestrickt, dass sie oft die Ansichten dieser rechten Bewegungen und Strömungen teilen, zumindest mit ihnen sympathisieren. Jedenfalls eher als mit den Linken. Sie stammen ja oft selber aus sozial verwandten Schichten wie die Rechten. Ein Anreiz Milizionär zu werden, kann gerade darin bestehen, ein wenig Gewalt über andere ausüben zu dürfen ebenso wie der Wunsch, wichtig zu sein und zu sich selbst zu finden."

    Svetlana Gannuschkina teilt diesen Befund. Aus ihrer Menschenrechtsarbeit bei der staatsunabhängigen Organisation "Staatsbürgerliche Zusammenarbeit" weiß sie, dass Sicherheitskräfte und Rechtsradikale in Russland punktuell ein beinahe symbiotisches Verhältnis zueinander haben können:

    "Du lieber Gott! Natürlich ist das so. Wir bearbeiten in Moskau und St. Petersburg gerade eine ganze Serie von Fällen, die so abgelaufen sind: Nationalisten überfallen Migranten aus den zentralasiatischen Republiken. Und wenn dann die Miliz anrückt, nimmt die dann die Asiaten mit, verprügelt sie und hängt ihnen gefälschte, erfundene Verfahren an, wegen angeblicher Raubüberfälle etwa. völlig ohne Grund!"'"

    Sollte sich demnächst das Verhältnis zwischen seiner DPNI, der sogenannten "Bewegung gegen die illegale Immigration", und der Miliz trüben, warnt Vladimir Jermolaev schon jetzt vor den Folgen. Der smart wirkende, eloquente Enddreißiger ist Vorsitzender des DPNI- Nationalrats, der derzeit wohl einflussreichsten Nationalistenorganisation Russlands. Zwar schwebt jetzt, im Wahljahr 2011, ein Verbotsverfahren unter anderem wegen Diskriminierung und Aufstachelung zum Rassenhass über der DPNI, doch Jermolaev sieht sich und seine Anhänger vor allem als verantwortungsbewusste russische Staatsbürger:

    ""In Moskau haben wir all die Jahre aktiv mit der Miliz zusammengearbeitet, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Wenn wir Aktionen, legale Aktionen, veranstaltet haben, haben wir das immer mit der Miliz abgestimmt. Ich sage Ihnen offen: Wir haben uns gegenseitig ethisch vor einander verpflichtet gefühlt. Es ist schwer vorstellbar, dass ich parallel dazu meine Leute zu irgendwelchen illegalen Handlungen aufrufen könnte. Das würden mir meine ethischen Grundsätze nicht erlauben.

    Sollte man uns das allerdings verbieten, dann wäre dieses System gegenseitiger Verbundenheit völlig zerstört, denn dann wären wir niemandem mehr gegenüber verpflichtet. Und wenn dann ehemalige Anhänger von uns sich vielleicht gesetzeswidrig verhalten wollen, möchte ich stark bezweifeln, ob ich mich verpflichtet sähe, sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen."

    Die Politik der russischen Führung sei bedauerlicherweise "anti-völkisch", klagt Jermolajev. Die Zuwanderer aus dem Nordkaukasus und Mittelasien unterwanderten längst ungehindert die russische Gesellschaft. Die DPNI könne dies beweisen, behauptet Jermolaev. Sein Blick wird stechend, als er zum Beleg aus einer Foto-Sammlung zusammengetragener Graffitis zitiert:

    "Das hier zum Beispiel, das kann man oft lesen: 'Wer nicht mit uns ist, der wird unter uns sein!', verfasst von einer 'Kaukasischen Bruderschaft' - Oder: 'Konflikte mit uns können gefährlich sein für Ihre Gesundheit!', die wohl ironisch gemeinte Überschrift hier: 'Warnung des inguschetischen Gesundheitsministeriums'. Und hier, sehen Sie: Die aufgesprayten Umrisse der Nordkaukasus-Republik Daghestan, umstilisiert zu einer Waffe."

    Es sei längst Zeit zu handeln, fordern Jermolaev und seine Anhänger. Doch bislang geschehe nichts, klagt er:

    "Aus der gegenwärtigen Situation mit ihren national begründeten Auseinandersetzungen, mit den Terroranschlägen, mit all den Konflikten auch innerhalb der russischen Armee, aus der Erkenntnis, dass der Staat nicht fähig ist diese Menschen zu assimilieren und zu integrieren, und zwar weil diese das gar nicht wollen, ergibt sich für mich folgendes Bild: Die russische Führung lehnt es ab, diese Realitäten im Land anzuerkennen, lehnt es ab, für die zentralasiatischen Länder eine Visumspflicht einzuführen.

    Sie lehnt es außerdem ab, ihre eigene Politik im Nordkaukasus als gescheitert anzuerkennen. Die russische Führung weigert sich, aus europäischen und weltweiten Erfahrungen zu lernen: Die politischen Führer Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Hollands haben den Schiffbruch des Konzepts einer multikulturellen Gesellschaft eingestanden. Die russische Führung jedoch wünscht es nicht, diese Erfahrung ihrerseits anzuwenden."

    Der Regierung sei es durchaus klar, dass es für sie extrem schwierig sei, zwischen dem russischen Nationalismus und dem kaukasischen Nationalismus das unabdingbare Gleichgewicht zu finden, meint hingegen Nikolaj Petrov vom Moskauer Büro der in den USA ansässigen Carnegie-Stiftung. Dass die "Vlast'", die "Macht im Land", verkörpert vom so genannten "Tandem Medvedev/Putin", sich bislang tatsächlich passiv verhalten habe, kritisiert auch Svetlana Gannuschkina von der Nichtregierungs-Organisation "Staatsbürgerliche Zusammenarbeit". Ihre Analyse hört sich verständlicherweise diametral anders an als die des nationalistischen DPNI- Vormanns Jermolaev:

    Die Staatsführung mache mit diesen nationalistisch-rassistischen Umtrieben nicht entschieden und energisch genug Schluss, kritisiert Gannuschkina. Ab und zu bandele sie sogar noch mit den Rechten an. So habe sich Ministerpräsident Putin nach dem Tod des Fußballfans fast schon demonstrativ mit dessen Freunden getroffen. - Die Problem- und Brennpunkte "Kaukasus" sowie der rechtsradikal-rassistische Bodensatz der Gesellschaft hängen seit langem eng verbunden wechselseitig aneinander. Die doch sehr auffällige öffentliche Zurückhaltung Putins bei diesem Themenkomplex ist für den Politologen Petrov indes nicht weiter verwunderlich:

    "Herr Putin ist Ende der 90er-Jahre an die Macht gekommen. Nach den Terroranschlägen auf Wohnblocks in Moskau! Er hat damals gesagt, er wisse, wie man die Sicherheit wieder herstellen und das Kaukasus-Problem lösen könne. Jetzt aber, besonders nach dem jüngsten Terroranschlag auf dem Flughafen von Moskau-Domodjedovo, würde jede beliebige Verbindung zu ihm unwillkürlich einen Imageverlust für ihn bedeuten. Schließlich sieht Putin sich als: a) Garant für die allgemeine Sicherheit, b) als denjenigen, der weiß und entscheidet, wie man das Kaukasus-Problem löst, und schließlich c) auch als denjenigen, der für Russland so gewaltige Projekte an Land gezogen hat wie die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi und die Fußball-Weltmeisterschaft 2018."

    Petrov meint erkannt zu haben:

    "Der Kreml wartet noch ab. Er weiß noch nicht, wie er den Domodjedovo-Anschlag bei seinen Wahlkampf-Vorbereitungen ideologisch-propagandistisch einbauen soll. - Putin jedenfalls distanziert sich weitestgehend davon."

    Moskau - ein Bezirk am südlichen Stadtrand. Es ist Wochenende. Samstagnachmittag. Schon von weitem ist die "Lesginka" zu hören, der traditionelle Tanz vielen Völker im Kaukasus. Zwanzig, dreißig junge Tschetschenen, Inguschen, vielleicht auch Avaren haben einen Halbkreis gebildet. Sie sind ausgelassen, haben Spaß. In der Mitte stampft ein vielleicht Zwanzigjähriger in rhythmischem Stakkato Tanzschritte, imitiert einen Berg-Adler im Flug, himmelt dabei theatralisch ein schlankes dunkelhaariges Mädchen an, das sich vor ihm langsam und graziös um die eigene Achse dreht, dabei ausdrucksvoll ihre Arme hebt und senkt, ihr Blick geht stolz und selbstbewusst haarscharf an den dunklen Augen des jungen Mannes vorbei.

    Russische Anwohner eilen vorüber, sehen aber oft demonstrativ weg. Sie wirken überwiegend verdrossen, mürrisch, auch offen abweisend und missbilligend. Selten, dass jemand von ihnen den jungen Leuten flüchtig zulächelt, sich am Ende vielleicht sogar dazustellt und den beiden beim ihrem mitreißenden Tanz zusieht.

    "Die Staatsmacht ist schuld! Sie ist schuld daran, dass man heute in Russland die Menschen nach 'Russen' und 'Nicht-Russen' einteilt!",

    beklagt sich erregt Timur Akiev. Er ist Bürochef der Menschenrechtsorganisation "Memorial" in Nazran', der größten Stadt der Nordkaukasusrepublik Inguschetien. Der mutmaßliche Selbstmord-Attentäter, der Ende Januar auf dem Flughafen Domodedovo 36 Menschen mit sich in den Tod gerissen hat, stammte aus Inguschetien. Sein Heimatdorf ist nicht weit entfernt von Nazran.

    Akiev weiß, dass viele junge Menschen im Nordkaukasus aufmerksam die Volksbewegungen in Nordafrika verfolgen, dass sie staunend den Sturz der tunesischen und ägyptischen Machthaber miterlebt haben, vollbracht von ihren muslimischen Glaubensbrüdern in den arabischen Staaten. Korrupte Eliten, das haben sie dabei gelernt, besitzen eines offenbar nicht: Eine Ewigkeits-Garantie, an der Herrschaft zu bleiben. Auch wenn es lange dauern mag, bis sie davongejagt werden. Selbstredend lasse sich nicht alles ein zu eins auf die russischen, auf die nordkaukasischen Verhältnisse übertragen, räumt Akiev ein, gibt aber zu bedenken:

    "Auch die Kaukasier besitzen eine hohe Selbstachtung, sind sehr stolz. Nicht nur die Tschetschenen, die Inguschen. Alle Kaukasier haben so eine Mentalität. Wenn man sie zu erniedrigen, zu beleidigen versucht, dann sind sie bereit sich zu verteidigen, vor allem aber, sich zusammenzuschließen."

    Käme es noch einmal zu solchen Szenen wie auf dem Manege-Platz in Moskau, dann würden auch Daghestanis kommen, Kabardiner. Sogar die russisch-orthodoxen Osseten würden sich anschließen, obwohl sie sonst allgemein als loyale Vorposten Moskaus im Kaukasus gelten. Aber selbst sie, so hat man mir erzählt, haben empört reagiert auf die Nationalisten-Angriffe gegen die Kaukasier insgesamt.

    Gut zwei Wochen nach dem Attentat von Domodedovo und knapp zwei Monate nach den nationalistisch-rassistischen Unruhen in Moskau verstreichen, ehe Staatspräsident Dmitrij Medvedev bei einer externen Sitzung des Staatsrates in der baschkirischen Stadt Ufa dann das Nationalitätenproblem in Russland öffentlich und grundsätzlich anspricht:

    "Diese Frage ist außerordentlich schwierig und ausgesprochen wichtig für unser Land. Sie betrifft die Aufrechterhaltungen des bürgerlichen Friedens in unserem Staat, eines Friedens, der auf zwischen-nationalem und inter-konfessionellem Einverständnis beruht. Das ist eine Grundbedingung für die Bewahrung unseres Staates, so wie er heute besteht. Deswegen müssen wir sehr ernsthafte Maßnahmen ergreifen, um die Verbreitung von ethnischem Extremismus zu unterbinden. Dazu müssen wir die echten, nicht aber die vermeintlichen Werte all jener Völker schützen und propagieren, die zu unserem multi-nationalen Land dazugehören."

    Von diesem eher allgemein gehaltenen Appell ihres Staatsoberhaupts zeigt sich die Menschenrechtlerin Svetlana Gannuschkina nicht sonderlich beeindruckt. Und die bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen spielen bei ihrer düsteren Prognose für die Zukunft Russlands auch eher eine Nebenrolle:

    "Ich glaube, dass Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion eine gute Chance gehabt hat, eine Föderation, ein echter, ernst zunehmender Bundesstaat zu werden. Aber das Putin'sche Modell der staatlichen 'Macht-Vertikale' hat all das abgewürgt und dabei alle demokratischen Institutionen zerstört. Deswegen geht es jetzt nicht nur um den Nordkaukasus, vielmehr muss gesagt werden, dass wir ein Imperium geblieben sind. Doch: Jedes Imperium zerfällt schließlich irgendwann!"

    Carnegie-Politologe Nikolaj Petrov ist seinerseits zutiefst pessimistisch, sieht in absehbarer Zukunft für eine friedliche Lösung des russisch-kaukasischen Dauerkonflikts so gut wie keine Chance. Er befürchtet sogar:

    "Der Kaukasus kann leider jeden Augenblick explodieren! Noch kennt niemand den Auslöser dafür. Aber zu viele Probleme haben sich dort angehäuft. Deshalb: Es kann dort knallen - jederzeit!"