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Im Herzen Afrikas

Ruanda als Reiseziel? Der Name hat heute für viele keinen guten Klang - man denkt sofort an den Völkermord im Jahre 1994. Seitdem hat sich eine Menge zum Guten gewendet. Die Schrecken von damals sind nicht vergessen, aber der Frieden ist ins "Land der tausend Hügel" zurückgekehrt.

Von Gaby Mayr und Günter Beyer | 16.10.2011
    Von der Teerstraße am Hügel ist es noch ein gehöriger Fußmarsch zu Angélique Mukabutera. Im Zickzack schlängelt sich der Trampelpfad durch rote Erde talwärts. Mal folgen wir einem ausgewaschenen Bachbett, mal führt der Weg zwischen Gärten und Feldern hindurch, in denen großblättrige Stauden, winzige Setzlinge und hüfthohe Sträucher wachsen. Tief unten im Tal mäandriert der milchkaffeebraune Nyabarongo, der halb Ruanda durchströmt. Hinter Hecken lugen einfache Lehmhäuser mit Wellblechdächern hervor. Eines davon gehört Angélique Mukabutera.

    "Ich bin Landwirtin. Ich baue Süßkartoffeln, Bohnen und Manyok an. Ich züchte Vieh und halte Ziegen und Hühner."

    Die freundliche Bäuerin ist Anfang 40. Als junge Frau hat sie Furchtbares durchgemacht. Während des Völkermords an den Tutsi 1994 hat sie ihren Mann und drei Stiefkinder verloren. Angélique Mukabutera selber stammt aus einer Hutu-Familie vom Nachbarhügel.

    Die Erinnerungen sind immer noch lebendig. Wie sie sich tagelang im Busch verbargen. Hungerten. Regenwasser tranken. Bis eine Nachbarfamilie sie bei sich versteckte. Das alles geschah hier. In dieser friedlichen Landschaft.

    Für Besucher wie uns ist das schwer vorstellbar: Ruanda, das schöne "Land der tausend Hügel", bevorzugt durch seine Höhenlage 1500 Meter über dem Meer, verwöhnt von ausgeglichenem Klima. Keine extreme Hitze, selten Dürre. Meist fällt genug Regen für zwei Ernten.
    Ja, erzählt Angélique, heute geht's ihr gut. Ihre Kinder haben sogar die weiterführende Schule besucht. Das Leben ist wieder ... ganz normal.

    Eine Reise nach Ruanda ist eine Gratwanderung. Kann man die Schönheit des Landes genießen, die Freundlichkeit und Zuverlässigkeit seiner Menschen dankbar annehmen, ohne einen Blick zurück auf das Grauen des Jahres 1994? Gerade als Ausländer, deren Regierungen damals wegschauten, als das Morden begann?

    Ruanda liegt wirklich mitten in Afrika. Deshalb drangen arabische Sklavenjäger und europäische Eroberer erst spät ins ruandische Hochland vor. Im Laufe der Jahrhunderte war eine feudale Gesellschaft entstanden. Clans der Rinder züchtenden Tutsi stellten den König. Sie betrachteten die Hutu-Ackerbauern als ihre Untertanen. Aber es gab auch wichtige Gemeinsamkeiten: Tutsi und Hutu beteten traditionell zur selben Gottheit und sprechen dieselbe Sprache, Kinyarwanda.

    Zentrum der Tutsi-Monarchie war Nyanza im Süden. Dort residierte der "Mwami" in geräumigen Hütten mit hoch aufgewölbten Kuppeln. Der königliche Palast wurde unlängst restauriert. Wir müssen die Schuhe ausziehen, und Museumsführer Medard Bashana geleitet uns ins schummrige Innere der Haupthütte. Nachdem sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, erkennen wir eine riesige Schlafstelle.

    "Sie sehen jetzt auf das Bett des Königspaars. Ein echtes Kingsize-Bett! Nur dem König und der Königin war es erlaubt, in diesem Bett zu schlafen. In der ruandischen Kultur mussten die groß gewachsenen Könige einfach große Betten haben. Und nur der König konnte beim Schlafengehen den Haupteingang benutzen. Die Königin durfte das nicht. Denn in der ruandischen Kultur darf eine Frau, wenn sie zu Bett geht, keinesfalls über einen Mann hinwegsteigen. Deshalb musste die Königin einen Nebeneingang benutzen, wo andere Frauen saßen und traditionelle Tänze und Lobpreisungen aufführten."

    An Schlaf freilich war noch lange nicht zu denken. Ein Barmann, der übrigens auf keinen Fall heiraten durfte, hielt Erfrischungen für die Royals bereit. Medard Bashana deutet auf einen Paravent aus Strohgeflecht.

    "Dort hielt sich ein junger Mann auf. Er hatte die Aufgabe, über die königlichen Biervorräte zu wachen. Bier wurde traditionell aus Honig gebraut. Aber es gab auch Bananen-Bier und Bier aus Sorghum-Hirse."

    Mochten König und Königin noch so gute Zecher sein - am nächsten Tag warteten die Regierungsgeschäfte. Auf einem Schemel am Hütteneingang sitzend, empfing der König Gesandte und Bittsteller. Er konnte auch Straftäter begnadigen. Der Herrscher hielt allerdings auf Distanz. Eine weiße Schwelle vor der Hütte durfte niemals überschritten werden. Um der Strafe zu entgehen, konnte ein bereits Verurteilter allerdings versuchen, die bewaffneten Wächter auszutricksen.
    "Falls es dem Verurteilten gelang, die Palastwächter niederzuringen, die weiße Linie zu überqueren und schließlich den Pfeiler in der Mitte der Hütte zu berühren, wurde ihm vergeben. Die Wachen waren zwar mit Speeren sowie Pfeil und Bogen bewaffnet, aber diese Waffen durften sie nicht einsetzen. Sie mussten den Verurteilten einzig und allein mithilfe ihrer Körperkräfte überwältigen und aus dem Palast werfen."

    Hinter der Königshütte treten wir auf einen Hof. Dort ist das zu bewundern, was für Tutsi-Könige am meisten zählte: Schlanke braune Watussi-Rinder, gekrönt mit ausladenden, lyraförmigen Hörnern. Beim Grasen und Wiederkäuen lassen sie sich nicht stören.

    Ruanda ist ein kleines, dicht besiedeltes Land, kaum größer als Hessen. Trotzdem kommen Flora und Fauna zu ihrem Recht - in drei Nationalparks. Der Nyungwe Forest zum Beispiel ist ein ausgedehnter Bergregenwald - ein wichtiger Wasserspeicher für ganz Zentralafrika, die Wasserscheide zwischen Nil und Kongo-Fluss. Im Besucherzentrum Uwinka können wir uns eine geführte Tour aussuchen. Die Wanderung dauert ein paar Stunden oder gleich einen ganzen Tag.

    Der "Gelbe Pfad" ist bequem als Panoramaweg angelegt, verlaufen kann man sich zwischen Baumriesen, sprießenden Farnbüscheln und dichter Modervegetation kaum. Ranger Vedaste sorgt für den groben Überblick.

    "Vor uns erkennen wir das Bergland von Burundi, und rechts von Ihnen sind die Berge des Kongo."

    Vedaste spricht Englisch. Ruandas Regierung möchte Englisch statt Französisch als erste Fremdsprache durchsetzen. Ruanda ist sogar Mitglied des britischen Commonwealth geworden.

    Bekannt ist der Nyungwe Forest als Heimat zahlreicher Affenarten. Herden von Stummelaffen sollen hier zu Hause sein. Und Schimpansen, die wir aber auch nicht zu Gesicht bekommen. Dagegen stößt man überall auf Wegweiser zu ihrer Lieblingsspeise: leuchtend rote Blätter:

    "Wir nennen den Baum Carapa Grandiflora. Er trägt große Früchte. Die schnappen sich die Schimpansen, öffnen sie und kommen so an die Samen heran. Die essen sie dann."

    Eine wahre Schatzkammer ist der Nyungwe Nationalpark für die Herstellung natürlich wirkender, traditioneller Heilmittel. Vedaste zeigt uns eine wilde Begonienart.

    "Viele Pflanzen in diesem Wald werden für die traditionelle Medizin genutzt. Wenn ihr zum Beispiel Durchfall habt, nehmt ihr ein Blatt dieser Begonie, wickelt es in ein Bananenblatt und legt es ins Feuer. Nur zwei Minuten! Aus dem Begonienblatt tritt nun Flüssigkeit aus. Die wird gesalzen und getrunken. Sofort hört der Durchfall auf!"

    Den Tipp merken wir uns. Aber im Moment beunruhigen uns eher die finsteren Wolken. Es ist Regenzeit, wir wandern durch einen Regenwald. Klar, früher oder später kriegt jeder seinen Guss ab.

    In kürzester Zeit sind wir durchgeweicht bis auf die Knochen. Gut, dass es nicht weit ist zu einer ebenso trockenen wie noblen Unterkunft am Rande des Nationalparks.

    Die Nyungwe Forest Lodge liegt vor der dunkel aufragenden Kulisse des Waldes inmitten eines sanft gewellten, gelbgrünen Teefeldes. Der Schauer ist vorbei, als dunkle Punkte bewegen sich Pflückerinnen langsam zwischen den Reihen der Teesträucher. Bizarre Nebelschwaden steigen zwischen den Wipfeln empor und lassen die Baumriesen schemenhaft wie auf japanischen Seidenmalereien erscheinen.

    Das südafrikanische Büro M2K Architecture hat in Nyungwe beispielhaft neue Trends in der afrikanischen Hotel-Architektur vorgeführt. Der koloniale Typus "Nachgemachtes Eingeborenendorf" mit strohgedeckter Rundhütte und Klimaanlage ist passé. In Nyungwe fügen sich sandfarbener und anthraziter Naturstein und viel Glas zu einem leichten, transparenten Bau. Ein Pavillon mit Anklängen an die Bauhaus-Moderne inmitten eines grünen Tee-Meeres!

    Gäste können die Teeplantage auch besichtigen. Schließlich habe Dubai World, dem Grund und Boden gehören, die Lodge gerade hier, der Plantage wegen, gebaut, erzählt Hotelmanager Jerry Were bei einem Tee-Plausch in der Lounge.

    "Wir wollen die Schönheit dieses Ortes erhalten. Wir wollen, dass die örtliche Bevölkerung weiter den Tee erntet, verkaufet und die Einnahmen behält. Das ist unsere Idee, der Gesellschaft etwas zurückzugeben."

    <im_72012>ACHTUNG: Nur für Sonntagsspaziergang verwenden</im_72012>Auf die Annehmlichkeiten der Lodge folgen die Mühen der holprigen Landstraße. So gerät unsere Fahrt am Ostufer des Kivu-Sees unerwartet zur Tagesreise. Der Bergsee ist fünfmal so groß wie der Bodensee, seine Ufer sind zerklüftet und dicht besiedelt. Inseln buckeln über der Wasserkante.

    Gisenyi ist ein Badeort auf afrikanisch mit allen Attributen einer Sommerfrische: Sauberer weißer Sand, Palmen, Liegestühle und blau-weiß gestreifte Sonnenschirme. Links, auf den ruandischen Hügelrücken, blinken inmitten von Bananenhainen neue Wellblechdächer, rechts erscheinen umrisshaft die dunklen Wälder der Demokratischen Republik Kongo. Der malerische Kivu-See gehört zu den Pfunden, mit denen Ruanda touristisch wuchern könnte. Bis jetzt wirbt Ruanda fast ausschließlich mit den Berggorillas im Norden, die man auf teuren Walk-Safaris kennenlernen kann.

    Wir schlendern ein kurzes Stück Richtung Grenze zur kongolesischen Stadt Goma. Hier wird der ruandische Staat mithilfe großer Stellschilder offiziell: "Investitionen - ja. Korruption - nein!" ist da zu lesen. Bleiben wir also noch eine Weile in Ruanda, das Visum für die Demokratische Republik Kongo soll ohnehin sage und schreibe 285 Dollar kosten.

    An der Hauptstraße haben Kunsthandwerker und Händler ihre Büdchen geöffnet. Das übliche Angebot: Tierfiguren, geflochtene Körbe, Masken. Das überrascht nun doch: Im traditionellen Ruanda wurden gar keine Masken getragen. Mit Marcel Barando, einem der Händler, kommen wir ins Gespräch. Ja, stimmt, die Masken holt er aus dem benachbarten Kongo. Auch die Amulette mit Flusspferdzähnen.

    "Wenn du im Wald spazieren gehst und Tiere dich angreifen, kann das Amulett schützen. Du musst die Zähne reiben, damit sie glänzen, und sofort verschwindet das Tier."

    Im Kongo, sagt Marcel Barando, haben sie gute Maskenschnitzer. Das Leben dort sei viel billiger als in Ruanda. Dafür lebt man in Ruanda sicher.

    Ruanda, das "Land der tausend Hügel", besitzt natürlich auch eine Hauptstadt, die sich über einige Hügel ausbreitet. Auf unserer Kigali-Städtetour laufen - oder fahren - wir ständig hügelauf, hügelab. Die Orientierung ist schwierig. Es existiert zwar ein gedruckter Stadtplan fürs Zentrum mit Straßennamen auf französisch, aber nirgendwo sind Straßenschilder angebracht.

    Auch die "Avenue de la Paix" ist so eine Straße, die nur auf dem Stadtplan den klingenden Namen einer Friedensallee trägt. Sie führt in das alte Geschäftszentrum von Kigali und wird gesäumt von niedrigen Häusern aus der Kolonialzeit. Die Ventilationslöcher im Ziegelmauerwerk sehen aus, als habe man den feuchten Zement mit Kuchenförmchen ausgestochen. Das alte Kigali ist krumm und schief, Treppen entlang der Fassaden mit ihren Arkaden gleichen die Niveauunterschiede aus. Für das Angebot der Läden werben bunte Bilder: Schlüssel, Bleistifte, Fische. Ein blaues Schild preist ein öffentliches Schreibbüro an, wo die Arbeiten fortschrittshalber auf dem Computer erledigt werden. "Gare du Midi" nennt sich augenzwinkernd ein kleiner gelber Kiosk, als sei die benachbarte Bushaltestelle der Brüsseler Hauptbahnhof.

    All dies liebenswert Einfache und Selbstgemachte soll peu à peu verschwinden. Auf dem zentralen Hügel Nyiarugenge wachsen Hochhäuser empor - tintenblau verspiegelte Fassaden, überdachte Shopping Malls und Dachaufbauten wie Keksdosen und riesige Unterlegkeile. Im Büro der Distriktverwaltung treffen wir Stadtplaner Emmanel Ingabire vor dem atemberaubenden Modell der künftigen Metropolis.

    "Wir haben mehrere Länder besucht. Nun wollen wir einem Land nacheifern, das einen guten, überzeugenden Plan hat: Singapur. Aus Singapur kommt auch die Firma, die uns bei unserer Stadtplanung geholfen hat."

    Die ruandische Hauptstadt ist kaum wiederzuerkennen. Hochhausgebirge, breite Trassen für Autos und Busse, und im Tal zwischen den überbauten Hügeln ein Freizeitparadies mit Badesee. Um bestehende Kirchen und Moscheen macht "Kigali 2020" zwar einen Bogen. Aber abgesehen davon spielt Denkmalschutz kaum eine Rolle.

    Eine sehenswerte Ausnahme ist die ehemalige Residenz des deutschen Statthalters, erbaut vor dem Ersten Weltkrieg: Ein flacher Bau aus hellen Ziegeln mit eisernen Sprossenfenstern und großer Gartenterrasse, von der man weit in Kigalis Stadtlandschaft blicken kann. Das sogenannte "Kandt-Haus" wurde behutsam restauriert und ist eines der wenigen Zeugnisse der kurzen Zeitspanne, als Ruanda zusammen mit dem heutigen Tansania zum wilhelminischen Reich gehörte.

    Richard Kandt kooperierte als Kolonialbeamter mit den Tutsi-Königen. Die Interessen des studierten Mediziners galten allerdings weniger der Politik als der Naturkunde. Während seiner Regentschaft ab 1908 unternahm er zahlreiche Reisen und stieß im Nyungwe-Regenwald auf Quellflüsse des Nils.

    Im "Kandt-Haus" ist heute ein kleines Naturkundemuseum untergebracht mit ausgestopften Säugetieren, präparierten Insekten und allerhand Tafeln zu Pflanzenwelt und Geologie.

    An einem Relief erklärt Primarschullehrer Jean Pierre Tuyikuze einigen Schülerinnen die Topografie Ruandas.

    "Hier in diesem Haus ist es sehr einfach, den Kindern unsere drei Nationalparks zu zeigen, ohne selber dorthin zu reisen. Transport ist schließlich ein Problem. Und es ist sehr wichtig ihnen zu sagen, dass Richard Kandt der erste war, der Ruandas Hauptstadt den Namen Kigali gab. Kigali bedeutet übrigens in Kinyarwanda ‚etwas, das groß oder dick wird’."

    Vielleicht wird Kigali auch deshalb so "groß und dick", wird deshalb an allen Ecken und Enden gebaut, um die Schrecken der Vergangenheit zu bannen. In einem Land, in dem 800.000 Menschen in hundert Tagen ermordet wurden, finden sich Tatorte überall: Kirchen, in denen Flüchtlinge verbrannt wurden. Schulen, in denen man Menschen zu Hunderten abschlachtete.

    Ein Ort dagegen, wo Verfolgte Hoffnung schöpfen konnten, ist das "Hotel des Mille Collines" in Kigalis Zentrum.

    Heute bietet das "Mille Collines" ein angenehmes Ambiente für einen Sundowner. Eine Live-Band lässt "African Fusion" aus den Lautsprechern perlen, während hinter dem Swimmingpool die ersten Lichter im Tal angehen.

    Weltberühmt wurde die Nobel-Herberge, als ihr mutiger Geschäftsführer, der Hutu Paul Rusesebagina während des dreimonatigen Genozids über tausend Tutsi im "Mille Collines" Schutz bot. Der Spielfilm "Hotel Rwanda" erzählt diese Geschichte von Zivilcourage.

    Man muss um diese Vergangenheit wissen, denn keine Erinnerungstafel erinnert heute daran. Das lässt stutzen in einem Land, dessen Regierung sonst ständig den Völkermord an den Tutsi mahnend beschwört. Als wir im Hotel nachfragen, heißt es: Die Ereignisse von 1994 seien zu schrecklich, die älteren Mitarbeiter wollten daran nicht erinnert werden. In Wahrheit ist Ex-Manager Rusesebagina, der inzwischen im Exil lebt, bei der Regierung in Ungnade gefallen.

    Eigentlich geht Ruanda offen mit dem Tiefpunkt seiner Geschichte, dem Völkermord, um. Er wird nicht verschwiegen oder kleingeredet. Das Jahr 1994 steht oft für den Beginn einer neuen Zeitrechnung. "Unser neues Restaurant mit Barbecue wurde sechzehn Jahre nach dem Genozid eröffnet", heißt es auf der Homepage eines Hotels. Sieben nationale Gedenkstätten helfen, das Verdrängen zu verhindern. Im Gisozi Memorial, mitten in Kigali, sind die Gebeine von einer viertel Million Toten bestattet. Ein Garten mit Wasserfall und Tierskulpturen soll dem Grauen und der Hoffnung symbolisch Form geben. Aus dem Kopfhörer kommen Informationen, auch in Deutsch:

    "Stopp zehn. Der Garten der Uneinigkeit. Die Form des Gartens der Uneinigkeit soll die Explosion der ruandischen Gesellschaft während des Genozids darstellen. Das Wasser, welches aus dem Garten der Einheit fließt, bricht sich im Wasserfall. Dieser symbolisiert den Fall der ruandischen Gesellschaft."

    Überall im Land kann man auf verstörende Orte stoßen. Bilder, die man schwer los wird. Hunderte weiß gekalkter Skelette hat man in einer ehemaligen Schule in Murambi in die Klassenzimmer gepackt. Die Zeit steht still. Der mumifizierte Säugling liegt immer noch an der Brust seiner skelettierten Mutter.

    Wer in Ruandas schlimme Jahre eintaucht, braucht deshalb auch ... Abstand. Den kann man im Akagera National Park gewinnen, ganz im Westen des Landes. Die Landschaft der "tausend Hügel" geht über in eine weite wellige Savanne mit flachen Seen. Ranger Janvier, ausgerüstet mit Gummistiefeln und Fernglas, führt uns.

    "Man hat die Fläche des Parks halbiert. Viele Flüchtlinge wollten nach Ruanda zurückkehren. Deshalb hat die Regierung entschieden, den Park zu verkleinern und Land zu gewinnen, damit sie sich ansiedeln können."

    <im_72013>ACHTUNG: Nur für Sonntagsspaziergang verwenden</im_72013>Der verbliebene Rest ist immer noch ein Garten Eden für Tiere. Büffel, Elefanten, Zebras, Antilopen, Warzenschweine und Hippos. Selbst Löwen sollen im Park zu Hause sein. Zum Berühren nahe, zupfen Giraffen an der roten Piste Blätter aus einer Baumkrone. Sie beäugen uns aufmerksam. Pausenlos kreisen ihre Ohrbüschel. Sie verscheuchen die Fliegen, sagt Janvier.

    Berühmt ist der Akagera-Park für seinen Vogelreichtum. 600 Arten! Am besten kann man die Wasservögel vom Boot aus betrachten. Eine über und über zugewucherte Insel im Lac Ihema haben sie zu ihrem Vogelreich gemacht. Gut genährte Afrikanische Fischadler haben sich Kakteen als Ausguck gewählt, vielköpfige Ibis-Kolonien ihre Nester hoch oben in Baumwipfeln gebaut. Leicht ist der elegante storchenartige Jabiru an seinem weißen Federkleid mit schwarzem Kopf und Hals zu erkennen. Ein Vogel-Idyll, abgesehen von tückischen Krokodilen, die das Eiland, auf Baumstämmen am Ufer lungernd, bewachen.

    Und jetzt: Motor aus, das Boot treiben lassen. Und zuhören.