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"Im Internet tummeln sich leider sehr viele Betrüger"

Vor 50 Jahren legte US-Präsident John F. Kennedy mit einer Erklärung vor dem Kongress die Grundlage für den modernen Verbraucherschutz. Heute seien die Verbraucher mächtig, weil sie gute Rechte hätten und Institutionen, die sich für sie einsetzten, sagt Gerd Billen vom Bundesverband der Verbraucherzentralen.

Gerd Billen im Gespräch mit Benjamin Hammer | 15.03.2012
    Benjamin Hammer: Verbraucherschutzorganisationen haben den heutigen Tag zum Weltverbrauchertag erklärt – ein Tag also, der uns allen gilt, weil wir alle konsumieren. Die Welt, in der wir Verbraucher heute leben, ist so bunt wie nie: Nie war die Auswahl größer, selten waren Preise niedriger. Einen Kredit über das Internet abschließen – kein Problem. Spontan nach London fliegen für 30 Euro - auch das geht. In Wahrheit aber ist diese Welt auch ziemlich kompliziert geworden, es wimmelt von neuen Produkten, verwirrenden allgemeinen Geschäftsbedingungen und es gibt irreführende Werbung, Lebensmittelskandale und das Internet.
    Dieser Tag soll auch an die Ursprünge des Verbraucherschutzes erinnern. Vor genau 50 Jahren war es US-Präsident Kennedy, der als einer der ersten überhaupt Rechte für Konsumenten proklamierte. Wo steht der Verbraucherschutz heute und was sind die Herausforderungen in der Zukunft? Darüber habe ich vor der Sendung mit Gerd Billen gesprochen, er ist der Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband. Und ich habe ihn zuerst gefragt, worüber er sich in den letzten Wochen ganz persönlich als Konsument geärgert hat.

    Gerd Billen: Über eine Mahnung einer Firma, die eine Abofalle im Internet gestellt hat, die uns also eine Rechnung geschickt hat über 96 Euro mit dem Hinweis, wir hätten einen ihrer Dienste in Anspruch genommen. Das ist aber erstunken und erlogen und jetzt muss ich mich wie viele andere Millionen von Verbraucher darum kümmern, diesen Anspruch abzuwehren.

    Hammer: Herr Billen, die Rechte der Verbraucher, die wurden ja lange Zeit sehr stiefmütterlich behandelt – auch in Deutschland. Aber das hat sich ja enorm gewandelt. Jetzt gibt es eine Stiftung Warentest, viele Verbraucherzentralen und meistens sehr engagierte Verbraucherminister. Und wir haben das Internet, wo man sich gut informieren kann. Sind die Verbraucher heute so mächtig wie nie?

    Billen: Ja und nein. Sie sind mächtig, weil sie gute Rechte haben, weil sie Institutionen haben, die sich für sie einsetzen. Wir haben Lebensmittelüberwachungen, wir haben auch andere Institutionen. Und dennoch ist es so, dass die technische Entwicklung weitergeht, dass immer neue Firmen auf den Markt kommen, und gerade im Internet tummeln sich leider sehr viele Betrüger und Wegelagerer, die versuchen, die Verbraucher abzuzocken. Also es gibt nicht nur die Kaffeefahrt als altes Ärgernis, sondern im Internet noch viel, viel mehr, die unterwegs sind.

    Hammer: Stellt das Internet Sie als Verbraucherschützer vor völlig neue Herausforderungen?

    Billen: Ja es sind ganz neue Fragen, mit denen wir uns befassen müssen. Es geht um die Frage Datenschutz, ist uns immer klar, in welche Form der Nutzung unserer persönlichen Daten wir einwilligen oder nicht, wenn wir uns in sozialen Netzwerken bewegen, wenn wir kostenlose Services in Anspruch nehmen.

    Hammer: BSE, EHEC, Dioxineier, Antibiotika im Hühnerfleisch – das sind ja alles Skandale der letzten Jahre, die Sie als Verbraucherschützer und auch die Verbraucherzentralen intensiv kommentiert und begleitet haben. Ist es bei solchen Skandalen nicht dann schon zu spät? Muss eine gute Verbraucherpolitik nicht die Skandale im Vorhinein verhindern?

    Billen: Ich glaube, das kann sie nicht. Deswegen haben die Skandale immer auch eine positive Funktion, weil sie eine Gelegenheit geben zu überprüfen, funktioniert die Lebensmittelüberwachung in Deutschland, ist sie gut aufgestellt, funktionieren die Qualitätssicherungssysteme in den Unternehmen, aber gibt es vielleicht auch Handlungsbedarf in den Privathaushalten. Also ich habe nicht die Hoffnung, dass es keine Skandale mehr geben wird; ich sehe sie als Chance, zu Verbesserungsprozessen zu kommen, zu Veränderungen zu kommen, und sowohl EHEC wie auch Dioxin zeigen, dass nach einem solchen Skandal wir meistens ein Mehr an Kontrolle erhalten haben.

    Hammer: Kontrolle fordern Sie auch, zum Beispiel für die Angaben auf Lebensmitteln. In dieser Woche haben Verbraucherschützer wieder einmal kritisiert, die Lebensmittel für Kinder, die seien in den meisten Fällen einfach ungesund. Aber viele Leute kaufen solche Produkte trotzdem. Ist das nicht ein generelles Problem, dass Sie als Verbraucherschützer viele Verbraucher einfach nicht erreichen?

    Billen: Wenn ich mir das im Lebensmittelbereich angucke, glaube ich, erreichen wir schon eine ganze Menge von Verbrauchern. Überwiegend verhalten sich die Verbraucher auch so – und das betrifft uns auch -, dass wir zu den vertrauenden Verbrauchern zählen, zu einer Gruppe also, die keine Lust hat, sich von morgens bis abends Gedanken zu machen über das, was sie einkaufen, die keine Lust haben, auf Siegel, aufs Kleingedruckte zu achten, und von daher, glaube ich, haben wir schon hier ein relativ gutes Verständnis. Wir schreiben ja nicht den Verbrauchern vor, was sie einkaufen sollen oder was sie essen sollen, sondern wir sagen ihnen nur, wenn sie eine Entscheidung getroffen haben, setzen wir uns dafür ein, dass sie die Informationen kriegen, die sie für ihre Entscheidung brauchen, und dass auch die Rahmenbedingungen so sind, dass sie unterstützt werden. Und im Lebensmittelmarkt heißt das, wenn heute Lebensmittelunternehmen sogenannte Kinderprodukte anbieten, die besonders gut sein sollen für Kinder zwischen ein und zwei Jahren, dann ist es auch ein Stück Entmündigung der Eltern, weil den Eltern auch nahegelegt wird, sie selbst seien nicht in der Lage, hier schon die richtigen Lebensmittel für die Kinder auszusuchen und zuzubereiten. Also es hat immer mehrere Facetten.

    Hammer: Das war Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband, zum Weltverbrauchertag.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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