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"Im italienischen Parlament sitzen dieselben Personen wie bisher"

Der Eurorettungsschirm könne Italien nicht retten, weil das Land wirtschaftlich zu groß sei, sagt Stefan Homburg. Sparprogramme seien fraglich, weil das Parlament über diese entscheide. Auch zweifelt der Wirtschaftswissenschaftler wegen des Schuldenschnitts an der künftigen Sicherheit von Staatsanleihen.

Stefan Homburg im Gespräch mit Peter Kapern | 11.11.2011
    Peter Kapern: Für den "Cavaliere" fällt der letzte Vorhang, irgendwann in den nächsten Tagen. Silvio Berlusconi, Regierungschef in Italien, hat seinen Rücktritt angekündigt und ein Nachfolger scheint schon ausgemacht, nämlich Mario Monti. Berlusconi will gehen, sobald das Reformpaket zur Sanierung der italienischen Staatsfinanzen vom Parlament verabschiedet ist. Heute befassen sich die Abgeordneten in Rom mit beidem: mit Berlusconis Abgang und mit den Reformgesetzen.

    Wochenlang haben wir also mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Gruseln verfolgt, wie das Damokles-Schwert namens Griechenland über der Europäischen Währungsunion schwebte. Die Rettung des maroden Landes schien, zur Schicksalsfrage Europas geworden zu sein. Ob Griechenland mit der gestern vollzogenen Regierungsbildung dieser Rettung näher gekommen ist, bleibt abzuwarten.

    Der Fokus der Finanzmärkte wie der Euroretter hat sich unterdessen verlagert: auf Italien, dessen Gesamtverschuldung bei 120 Prozent liegt, das immer höhere Zinsen zahlen muss und für das nicht der Grundsatz "too big to fail" gilt, sondern die Regel "too big to be saved" zu gelten scheint. Alle bislang aufgespannten Rettungsschirme sind nicht groß genug, um Italien zu retten, und deshalb steht die Frage im Raum: Kann man den Bankrott Italiens und damit das Ende des Euros überhaupt noch abwenden? Beantworten soll sie uns jetzt Professor Stefan Homburg, Wirtschaftswissenschaftler an der Leibnitz Universität in Hannover. Guten Morgen!

    Stefan Homburg: Guten Morgen!

    Kapern: Herr Professor Homburg, der Chef des Eurorettungsschirms, Klaus Regling, hat in einem Interview gesagt, für Italien laufe die Zeit ab. Liegt er damit richtig, oder ist die Zeit für Italien schon abgelaufen?

    Homburg: Es hängt davon ab, was man unter "Zeit ablaufen" versteht. Man darf auch hier nie zu viel Hysterie schüren. Selbst wenn zum Beispiel Italien insolvent würde, oder wenn die Eurozone zusammenbricht, heißt das nicht, dass wir eine Situation wie nach einem Krieg haben, denn real ist ja nichts passiert, es werden dann nur Vermögen vernichtet. Wenn man also die Frage so versteht, ob Italien jetzt ein Solvenzproblem bekommt, dann, glaube ich, ist die Antwort ja, denn die Zinsen, die Italien zahlen musste, sind in den letzten Tagen sprunghaft gestiegen.

    Kapern: Was kann Italien denn unternehmen, um das Zinsniveau wieder zu drücken?

    Homburg: Ich glaube, da kann Italien nichts unternehmen. Es ist so wie bei einem privaten Schuldner. Wenn ein privater Schuldner den ersten Kredit bekommt und dann den Zweiten nachfragt mit höherem Zins und dann den Dritten mit noch höherem Zins und dann einen vierten Kredit haben möchte, dann sagt die Bank, Nein, deine Kreditwürdigkeit ist nicht mehr gegeben, wir geben keine Kredite, und dies könnte Italien jetzt widerfahren. Und selbst wenn der neue Regierungschef Mario Monti nun einen Sparkurs einleiten könnte in Italien, würden sich dessen Wirkungen ja erst langfristig zeigen. Das hat nichts mit dem kurzfristigen Problem zu tun, dass Italien jetzt vielleicht schon in den nächsten Tagen keine neuen Kredite mehr platzieren kann am Markt.

    Kapern: Das heißt also, alle vertrauensbildenden Maßnahmen wie Sparprogramme, wie die Präsentation einer handlungsfähigen Regierung würden die Finanzmärkte nicht überzeugen?

    Homburg: Nein, glaube ich nicht. Also Spargesetze werden auch immerhin noch vom Parlament beschlossen und nicht von einer Regierung - das hat ja auch Ihr Eingangsbeitrag deutlich gesagt -, und im italienischen Parlament sitzen dieselben Personen wie bisher. Und ob die sich zu mehr als symbolischen Sparmaßnahmen durchringen können, das ist sehr die Frage.

    Kapern: Nun wird aber doch Italien immer attestiert, ein völlig anderer Fall zu sein als Griechenland, nämlich ein durchaus wirtschaftlich starkes Land, das es ja auch schon mal geschafft hat, seinen Schuldenstand durch eine Kraftanstrengung zu reduzieren. Zählt auch das alles nicht mehr?

    Homburg: Doch. Natürlich ist Italien ganz anders zu bewerten als Griechenland. Aber darin liegt nicht die Lösung, sondern eher das Problem. Griechenland, Portugal, Irland, die bisherigen Rettungskandidaten, sind kleine Staaten, während Italien von der Wirtschaftskraft her fast ein Fünftel der Eurozone ausmacht und deshalb zu groß ist, gerettet zu werden. Sie haben recht, dass Italien schon früher einen so hohen Schuldenstand hatte wie bisher, und Sie fragen im Grunde, warum sind die Finanzmärkte jetzt nervös, während sie vor fünf oder zehn Jahren nicht nervös waren. Der Grund dafür liegt in dem letzten Gipfel der Regierungschefs, als beschlossen wurde, dass private Gläubiger sich mit 50 Prozent Haircut beteiligen sollten, freiwillig oder notfalls unfreiwillig. Dadurch haben die Anleger jetzt das Gefühl bekommen, europäische Staatsanleihen sind nicht mehr so sicher, wie sie in den letzten 60 Jahren, also seit Ende des Zweiten Weltkrieges, waren. Und das ist Grund für die aktuelle Nervosität.

    Kapern: Aber macht da die Märkte nicht etwas nervös, was eigentlich zu den Basisausrüstungsgegenständen einer Marktwirtschaft gehört, nämlich dass Risiko und Erträge in einer Hand liegen müssen?

    Homburg: Nein, das würde ich nicht so sehen. Also die Hauptgläubiger sind ja hier auch nicht Banken; die Hauptgläubiger sind Pensionsfonds, Versicherungsunternehmen, die versuchen, die Gelder der Versicherten und der künftigen Rentner sicher anzulegen. Und bisher galt, seit Ende des Zweiten Weltkrieges, wenn ein Versicherungsunternehmen Geld in Staatsanleihen anlegt, dann ist das eine hundertprozentig sichere Anlage. Daraus erklärten sich auch die bisherigen Zinsen, die die Staaten zu zahlen hatten.

    Durch den Haircut für Griechenland hat sich dies jetzt fundamental geändert und sie können es zum Beispiel auch einem chinesischen Fonds nicht verübeln, wenn er sich fragt, wo ich jetzt im Fall Griechenlands verzichten muss auf die Hälfte der Forderungen, wie ist das denn dann im Fall Italiens, oder vielleicht auch im Fall Frankreichs und mittelfristig Deutschlands.

    Kapern: Also, Herr Professor Homburg, kurze Zwischenbilanz unseres Gesprächs: Italien kann aus eigener Kraft die Finanzmärkte nicht beruhigen, das Misstrauen dort nicht beseitigen. Dann haben wir noch zwei mehr oder weniger große Bazooka im Arsenal, nämlich den EFSF, also den Euro-Rettungsschirm und die EZB. Können die nicht dafür sorgen?

    Homburg: Also der europäischeRettungsschirm EFSF ist keine Bazooka, was Italien angeht, sondern eher ein Taschenrevolver, und es besteht ja Einigkeit zwischen allen Beteiligten, dass mithilfe der EFSF Italien nicht gerettet werden kann. Dann bleibt als einzige theoretische Möglichkeit übrig, dass die EZB in so großem Umfang italienische Staatsanleihen kauft, dass deren Renditen im Rahmen bleiben.

    Kapern: Eine Möglichkeit, die beispielsweise der Nobelpreisträger Paul Krugman heute in einem Interview im Handelsblatt befürwortet.

    Homburg: In einem Interview, in dem er zugleich gesagt hat, dass der Euro ein schrecklicher Fehler war. Das ist richtig. Es wirft aber zwei Probleme auf. Erstens würde dies einen gravierenden Rechtsverstoß bedeuten, wenn die EZB jetzt explizit dazu übergeht, Staatsschulden Italiens zu finanzieren. Und zweitens war es bisher so: Die EZB hat zum Beispiel griechische Anleihen aufgekauft und, wie man das nennt, sterilisiert. Das heißt, sie hat an anderer Stelle die Geldschöpfung verringert. Im Fall Italiens ist so eine Sterilisation wahrscheinlich nicht möglich, oder mit ziemlicher Sicherheit nicht möglich. Das bedeutet, wenn die EZB Italien rettet, würde die Geldbasis aller Voraussicht nach enorm steigen, und das hätte schon in wenigen Quartalen eine enorme Inflation zur Folge.

    Kapern: ... , die nicht in Kauf zu nehmen sei, wie Sie meinen?

    Homburg: Nein! Rechtlich sagt das Mandat der EZB ja, sie soll für Preisstabilität sorgen, was sie schon in letzter Zeit jetzt nur unvollkommen geschafft hat, und sie kann nicht gegen diesen Auftrag massiv verstoßen.

    Kapern: Auch nicht in Notzeiten wie diesen?

    Homburg: Auch in Zeiten wie diesen. Die Regeln sind ja gerade auch für schwierige Zeiten gemacht. Man kann nicht Staatsverträge zwischen 27 Staaten schließen und dann sagen, immer wenn die Zeiten schwierig sind, dann gilt das, was im Vertrag steht, nicht. Diese massiven Regelverstöße sind ja Ursache für den Vertrauensverlust, den wir jetzt seit eineinhalb Jahren erleben.

    Kapern: Herr Homburg, Italien kann sich nicht selbst retten, derEFSF kann Italien nicht retten, die EZB kann, und darf Italien nicht retten. Haben Sie den Euro schon abgeschrieben?

    Homburg: Ja!

    Kapern: Warum?

    Homburg: Aus den Gründen, die Sie jetzt genannt haben. Es kann sein, dass durch irgendwelche drastischen Maßnahmen und Rechtsverstöße die Staats- und Regierungschefs es schaffen, die Situation noch zwei, drei, vier Jahre hinauszuschieben. Es kann aber auch sein, genauso gut, dass uns schon nächste Woche gesagt wird, so geht es nicht weiter.

    Kapern: Und was kommt dann?

    Homburg: Dann wird der Reset-Knopf gedrückt und dann kommt ein Neuanfang. Voraussehen, welcher Neuanfang, kann kein Mensch. Es könnte sein, dass Deutschland zu einer eigenen Währung zurückkehrt, es könnte sein, dass Deutschland einen kleinen Währungsverbund, zum Beispiel mit Österreich oder den Niederlanden, hat. Ich bin kein Hellseher, aber dass der Euro zum Erfolg zurückgeführt wird, das ist nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen.

    Kapern: Düstere Aussichten im Interview mit Professor Stefan Homburg, Wirtschaftswissenschaftler an der Leibnitz Universität in Hannover. Herr Homburg, vielen Dank für das Interview.

    Homburg: Danke auch!

    Kapern: Schönen Tag!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.