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Im Laboratorium eines Zauberlehrlings

Mit "Rienzi" hat Richard Wagner 1842 seinen Durchbruch geschafft, von dem er sich aber selbst distanzierte. Das gilt auch für "Liebesverbot". Beide Frühwerke hatten nun in Bayreuth in der Oberfrankenhalle Premiere.

Von Christoph Schmitz | 09.07.2013
    So beginnt das "Liebesverbot" von Richard Wagner. Anfang 20 war er, als er es komponiert. Auf dem Hügel hat er es nie hören wollen, aber auch sonst nicht. Unwürdig seines späteren Kanons war es ihm. Aber warum in aller Welt musste dieses Werk und die anderen beiden Frühwerke zum Jubiläum des "Zukunftsmusikers", wie der Tondichter sich selbst verstand, und dazu am Ort seiner republikanischen Musiktheaterutopie als kleine Festspiele vor den großen überhaupt aufgeführt werden? Warum zurück in die Vergangenheit, von der Wagner selbst nichts mehr wissen wollte, die er selbst verspottete? Wäre nicht etwa die avancierte Musik von heute gefragt gewesen, ein großes Auftragswerk eines renommierten Zeitgenossen, wie es als Neuerung für die Festspiele nach Wolfgangs Tod schon diskutiert worden war?

    Die Frage kann jetzt, nachdem das "Liebesverbot" und der "Rienzi" szenisch über die provisorische Bühne gegangen sind, weit weg vom Hügel in einer Sporthalle, beantwortet werden. Wagners Frühwerk als Höhepunkt neben zahlreichen anderen Veranstaltungen aufzuführen, war eine richtige Entscheidung!

    Denn bevor es richtig mit dem neuen Ring Ende des Monats losgeht, schauen wir ins weitgehend unbekannte Laboratorium eines Zauberlehrlings, eines Schülers der Klangmagie, der mit den musikalischen Zutaten seiner Zeit souverän hantierte und die Nationalsprachen der europäischen Oper um 1800 reproduzierte und auslotete nach Möglichkeiten eines eigenen Idioms.
    Leicht ist diese Musik im "Liebesverbot", witzig, ironisch. Die französische und italienische komische Oper klingen hier durch, Donizetti vor allem. Seinem Spaß am Volksklamauk hat Wagner zum ersten und letzten Mal freien Lauf gelassen.

    Constantin Trinks am Pult hatte alle Mühe das Getänzel von Orchester, Solisten und Chor im Takt zu halten. Dem verspielten Stück gibt das Regieteam unter Aron Stiehl viel Raum mit mobilen und auffächerbaren Riesenwänden, die das tropische Urwalddickicht der Sinnenfreuden zeigen und das strenge Marmorweiß klösterlicher Tugend. Die Liebenden suchen sich in karnevalesken Adam-und-Eva-Kostümen und kippen den Moralterror des deutschen Stadthalters von Palermo.

    Das sängerische Niveau jedoch bleibt oft unbefriedigend. Herausragend allerdings Christiane Libor als Isabella. Auch beim "Rienzi" können nur wenige Solisten überzeugen, wie Daniela Sindram als Adriano. Und der Hügel erprobte Robert Dean Smith kommt als Titelfigur gegen die Klangmassen kaum an.

    So wie auch der "Rienzi"-Regisseur Matthias von Stegmann die Geschichte vom Aufstieg und Niedergang des Volkstribunen nicht zu bändigen vermag. Mit einem Potpourri aus römischen Baurelikten, Videoprojektionen samt Ausschnitten aus Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" und an Wieland Wagners Abstraktionen erinnernde Lichtgestaltung wirkt alles recht unentschieden. Anders das Orchester unter Christian Thielemann.
    Thielemann bringt die Intensität und Kraft der Partitur zum Leuchten, ohne ins Schroffe, Übertriebene und Grobe, das in dieser Musik steckt, abzurutschen. Er besänftigt den jungen Wagner, was dem Werk sehr gut tut. Der Überdruck des Genies, das der Welt mit seinem "Rienzi" zeigen wollte, was es alles so drauf hat, ist nämlich oft unerträglich mit all dem Getöse, mit den Aufmärschen und dem Freiheitsgelaber. Und dennoch ist man immer wieder, wenn auch nur für Momente, überrascht, welch eigenwillige Klangtexturen Wagner weben kann. Manches, auch im "Liebesverbot" und auch in den "Feen", die heute Abend Konzert aufgeführt werden, weist schon weit voraus zum "Lohengrin", zum "Ring" und "Parsifal". Das Wunder der kopernikanischen Wende mit dem "Holländer" gleich nach dem Frühwerk wird einem bewusst. Doch die Urworte fürs Hügel-Werk hat Wagner schon zuvor erahnt.

    Zu Unrecht führen seine vermeintlichen "Jugendsünden" ein Schattendasein im Opernbetrieb. Die Bayreuther Festspiele öffnen einem dafür die Ohren.